10 nach 8: Annabelle Hirsch über Emmanuel Macron

 
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21.06.2017
 
 
 
 
10 nach 8


Macron-Mania? Naja.
 
Emmanuel Macron ist ein Star. Aber längst nicht jeder mag seinen Sound. Es wird dauern, die Mehrheit der Franzosen davon zu überzeugen, dass er ein guter Präsident ist.
VON ANNABELLE HIRSCH

Wie beliebt ist Emmanuel Macron wirklich? © Philippe Huguen/AFP/Getty Images
 
Wie beliebt ist Emmanuel Macron wirklich? © Philippe Huguen/AFP/Getty Images
 
 

Vor etwas mehr als einer Woche, wenige Tage vor der ersten Runde der Parlamentswahlen in Frankreich, geisterte ein seltsames Zeitschriftencover durch die Kioske des Landes. Es war eines jener Cover, die man wohl je nach Geschmack als besonders mutig oder besonders lächerlich einstufen könnte, das aber in jedem Fall von einer gewissen Verunsicherung bezüglich der allgemeinen Lage der Dinge sprach. Sicher waren seiner Veröffentlichung zahlreiche Diskussionen vorangegangen. Diskussionen, in denen sich die einzelnen Redaktionsmitglieder fragten: "Sollen wir das machen?", "Ist es nicht zu schrill?", "Sollten wir Haltung bewahren?", "Oder doch ein bisschen durchdrehen?"

Bei L’Express hatte die Mehrheit offenbar für das Durchdrehen gestimmt, weshalb man auf besagtem Cover einen wie üblich lächelnden Emmanuel Macron in einer Art Emoji-Aquarium stehen sah. Um ihn herum schwammen Küsschen, Sternchen, Smileys und hochgestreckte Daumen, über seinen Bauch zog sich in Großbuchstaben ein kreischendes Macronmania (mit einem Herzen im O). Gleich eine Mehrzahl von Überschriften ironisierte den Hype um den jungen Präsidenten und besagte Dinge wie: "Putin macht ihm keine Angst", "Er kann auf Wasser laufen", "Er rettet die Welt vor Donald Trump" und "Tsunami bei den Parlamentswahlen". Das ganze mutete an wie ein Bravo-Cover aus den neunziger Jahren, auf dem Emmanuel Macron weniger als Staatsmann inszeniert wird, sondern als aufsteigender Popstar, ein Justin Bieber der Politik, der prallgefüllte Konzerthallen zum Vibrieren und seine Fans zum Kreischen bringt.

Und irgendwie stimmt es ja auch. Emmanuel Macron selbst wollte seine "Meetings", also seine Kampagnentreffen, wie "Politkonzerte" organisiert haben. Die Beziehung zu seiner 24 Jahre älteren Frau Brigitte Trogneux inszenierte er so geschickt, dass sie immer wieder gemeinsam auf Paris Match-Covern landeten und damit ganz bereitwillig den Wunsch der Franzosen nach einer guten Story bedienten. Wahrscheinlich fällt heute noch den meisten als Erstes dieses private Detail zum neuen französischen Präsidenten ein. So wie bei einem Star.

Der Überraschungsgast

Das kann man gut oder schlecht finden, es scheint aber zu funktionieren. Zumindest suggerieren das die Ergebnisse der Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag. Insofern bewahrheitete sich der letzte Teaser des L’Express-Covers: Emmanuel Macron ist bei den Parlamentswahlen gelungen, was keiner für möglich hielt. Er hat mit seiner Bewegung La République en Marche, kurz LREM, die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung erreicht. Mit 350 von 577 sind es zwar weniger Sitze geworden, als man noch eine Woche zuvor nach der ersten Wahlrunde spekulierte (da wurden 400 prognostiziert), trotzdem befanden mehrere Zeitungen, dies sei ein "Tsunami", eine Kompletterneuerung, ein weiterer Coup des jungen Präsidenten.

Die sogenannten traditionellen Parteien, allen voran die Parti Socialiste, wurden an den Rand, wenn nicht gar ins Abseits gedrängt und durch neue, oft unbekannte und unerfahrene LREM-Vertreter ersetzt. Marine Le Pen und ihr Front National schnitten noch schlechter ab als bei der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen. Und selbst Jean-Luc Mélenchon und seine "Unbeugsamen" sind zwar mit siebzehn Abgeordneten vertreten, waren aber schwächer, als es die überraschend hohe La France Insoumise-Wählerschaft während der Präsidentschaftswahlen hatte ahnen (oder fürchten) lassen.

Es sieht fast so aus, als könnte Emmanuel Macron die Revolution gelingen, mit der er im vergangenen Herbst etwas vorlaut sein Manifest-Buch Révolution betitelt hatte. Denn auch wenn man noch vor einem Monat daran zweifelte, scheint es, als hätten die Franzosen sich dafür entschieden, diesem "Überraschungsgast im Élysée-Palast" eine Chance zu geben. Zumindest teilweise. Denn so bemerkenswert diese absolute Mehrheit ist, so wenig zeugt sie von einer Macron-Manie, wie man sie bei L’Express herausschreit: 57,4 % der Franzosen sind am vergangenen Sonntag nämlich nicht wählen gegangen. Das sind noch weniger als am Sonntag davor, weniger als je zuvor in der Geschichte der V. Republik. Emmanuel Macron kommentierte dieses Teilnahmetief mit der Aussage, das liege wohl daran, dass die anderen Parteien ihre Wählerschaft nicht gut genug mobilisiert hätten. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass sein Fanclub zwar sehr aktiv und engagiert, aber eben nicht besonders groß ist.

Die Anti-Macron-Stimmung legt sich nicht.

Im Gegensatz zu Macrons Erfolg bei den Parlamentswahlen ist das kaum erstaunlich. Kurz nach seiner Wahl zum Präsidenten besagte eine Umfrage, rund 60% der Franzosen seien dagegen, dass Macrons LREM die Mehrheit in der Nationalversammlung erreicht. Noch vor der Wahl warnte ein Text in Le Monde davor, sich von einer scheinbaren Macron-Mania täuschen zu lassen. Der Text stammte vom Regisseur und Nuit Debout-Helden François Ruffin (der Jean Luc Mélenchon unterstützt) und hieß Offener Brief an einen jetzt schon gehassten Präsidenten. Darin warnte Ruffin Emmanuel Macron davor, seinen sehr wahrscheinlichen (und eingetroffenen) Sieg bei der Präsidentschaftswahl als Liebesbeweis der Franzosen misszuverstehen. Er würde nicht besagen, warnte Ruffin, dass die Menschen sich für ihn entscheiden, sondern lediglich, dass sie noch genug Verstand haben, um zu verhindern, dass Marine Le Pen in den Élysée-Palast einzieht. In Wahrheit aber, das sagte der Autor immer und immer wieder, wiederholte es wie ein Mantra, werde Emmanuel Macron gehasst.

Nur ein Präsident

Wahrscheinlich haben am vergangenen Sonntag so einige Beobachter an diesen Brief gedacht und mit Erschrecken festgestellt, dass Ruffin vielleicht recht gehabt hatte. Sie mussten feststellen, dass die Anti-Macron-Stimmung, die noch kurz vor seinem Sieg sehr stark war, sich auch nach über sechs Wochen fehlerfreier Regierungsstarts nicht gelegt hat. Und dabei wurde ihnen vielleicht auch bewusst, dass ein Macron-Mania-Cover wie das vom L’Express am Ende über ein Phänomen lacht, das viel kleiner ist, als manche gern glauben möchten. Die Begeisterung existiert, seine absolute Mehrheit spricht dafür, nur hat der Tsunami bisher zwar die Nationalversammlung, aber nicht die Herzen der Wähler erfasst. 

Emmanuel Macron ist ein Star, nur mag eben nicht jeder seinen Sound. Die Franzosen sind kritisch und sie sind vorsichtig, ihr Widerstandswille ist groß. Allerdings spricht die schwache Wahlbeteiligung weniger vom Hass, den Ruffin zu erkennen glaubte – wäre es so, hätte man massiv gewählt und zwar gegen LREM –, als von einer grundsätzlichen Müdigkeit. Die fünf Jahre Hollande-Regierung haben ein Klima der Mutlosigkeit hinterlassen, und die letzten zwei Jahre haben das Land tief gespalten. Einigen in Frankreich hat die Wahl eines so jungen, neuen, unerwarteten Kandidaten den Elan gegeben, der bisher fehlte, die Masse wartet jedoch offenbar noch verunsichert auf das, was nun passieren wird. Er wird mehr als ein paar Monate brauchen, um die Gesamtbevölkerung davon zu überzeugen, dass Erneuerung gut und Zukunftsglaube nicht töricht ist.

Emmanuel Macron ist, wie die Süddeutsche Zeitung vergangene Woche schon bemerkte, kein Heilsbringer, sondern trotz seiner Popstarattitüde am Ende auch "nur" ein Präsident. Seit dieser Woche einer mit viel Macht. Sie jetzt richtig zu nutzen und die Franzosen nicht mit Charme und guten Headlines, sondern mit Taten zu überzeugen, wird seine Aufgabe und die seiner jungen Regierung sein. Die Chancen stehen gut, dass ihm das, wie bisher so vieles, gelingen wird.

Annabelle Hirsch, geboren 1986, ist Deutsch-Französin und lebt als freie Autorin in Paris. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8".
 

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