Kiyaks Deutschstunde: Und dann noch diese Sportsprache

 
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Kiyaks Deutschstunde
22.06.2017
 
 
 
 
Was meinen Politiker, wenn sie sagen, was sie sagen? Und: Was meinen sie wirklich? Mely Kiyak sagt’s Ihnen!


Und dann noch diese Sportsprache
 
Martin Schulz verkörpert das Prinzip: Ran darf, wer genug Sitzfleisch hat. Aber es ist wie bei einem alten Möbelstück: Seine beste Zeit liegt hinter ihm.
VON MELY KIYAK

Über Angela Merkels Wesen und Wirkung zu sinnieren, wie in der Deutschstunde von vergangener Woche, erscheint angesichts der Aufgabe, das Gleiche nun mit Martin Schulz zu versuchen, wie eine Fingerübung. Das hat sicher damit zu tun, dass Angela Merkel als Kanzlerin seit zwölf Jahren täglich in den Medien präsent ist, wohingegen Martin Schulz diese Präsenz nicht vorweisen kann, obwohl er als Politiker länger im Amt ist. Nur wirkte er im Wesentlichen im Europäischen Parlament.
 
Die Politikberichterstattung aus Europa ist im deutschen Tageszeitungsgeschäft jedoch kein eigenständiges Ressort. Die Korrespondenten arbeiten allen Redaktionen zu. Ihre Informationen landen als Beigabe mal hier, mal da, helfen, ein Politikerporträt zu schreiben oder eine europäische Richtlinie besser zu verstehen. Stars hat das Europaparlament weder in Politik noch Medien zustande gebracht.
 
Ochsentour-Absolvent
 
Nur so ist zu erklären, dass der Europapolitiker Martin Schulz, der sagenhafte 23 Jahre Abgeordneter war, in Deutschland als Kanzlerkandidat der SPD als "frisch" und "unverbraucht" wahrgenommen wird. Die 23 Jahre verstehen sich exklusive Kommunalpolitik. Seine Jahre als Bürgermeister in Würselen kommen noch obendrauf. Vielleicht wäre es interessant, zu erwähnen, dass Schulz und Merkel fast gleichaltrig sind. Merkel ist die klassische Quereinsteigerin, die in Ruhe zu Ende studiert hat und fast ein Jahrzehnt lang ihren Beruf ausübte, während Martin Schulz der fleißige Prototyp des bundesdeutschen Ochsentour-Absolventen ist.
 
Mit 19 Jahren in die SPD eingetreten kletterte Schulz Sprosse um Sprosse die Karriereleiter hoch in diesem sehr speziellen Kreis-Bezirks-Kommunaldingsbums-Style mit abwischbaren Tischdecken, altem Kaffee und Keksen mit Schokoüberzug. Im Wesentlichen steht Schulz für genau das, was Politik in Deutschland zu einer echten Demokratie macht: Jeder darf ran, sofern er oder sie über ein strapazierfähiges Gesäß verfügt. Auch deswegen ist der Vorwurf, in Deutschland herrsche eine Elite, verfehlt. Wer hierbei schon Elitenverachtung verspürt, weiß nicht, wie viel Eliteuniversität und Geld in Amerika, Frankreich oder England benötigt werden, um ein Mandat zu erlangen.
 
Disput mit Berlusconi
 
Es gab einen sehr speziellen Moment, als Martin Schulz berühmt wurde und deshalb die Tagesschau ausnahmsweise ein paar Bilder aus Straßburg sendete. Es war ein Tag im Juli 2003.
 
Schröder war Kanzler und Silvio Berlusconi EU-Ratspräsident. Der Grund für die Berichterstattung war nicht die Flüchtlingspolitik Italiens. Auch nicht die Äußerungen des an der italienischen Regierung beteiligten Lega-Nord-Chefs Umberto Bossi, der vorschlug, auf Flüchtlingsboote zu schießen – so alt ist nämlich die Problematik der Mittelmeerflüchtlinge, und so alt ist auch schon die Idee, Flüchtlinge einfach zu erschießen. Nein, der Grund war ein Disput zwischen Berlusconi und Schulz.
 
Vom Handwerkerauto zum Lifestyle-Objekt mit Geländewagen-Qualitäten
 
Lange war der Kombi vor allem praktisch und somit vor allem bei Handwerkern Objekt der Begierde. Diese Zeiten sind längst vorbei, denn aus den praktischen Heckladern sind elegante Lifestyle-Autos geworden. Mehr...
 
Martin Schulz hatte sich die Freiheit herausgenommen, als unbekannter deutscher Abgeordneter die Politik Italiens kritisch und rhetorisch elegant zu durchsäbeln – angefangen bei der rechtsradikalen Regierungsbeteiligung, über die Flüchtlingspolitik und die Abhängigkeit der italienischen Presse, bis hin zur Beißhemmung der Parlamentarier gegenüber Berlusconi. Schulz' Motiv: Das, was in Italien passiert, geht alle Europäer an. Selten war der Urgedanke von einer europäischen Solidarität derart kurz, knapp und bündig verstanden und vorgetragen worden.
 
Was kann er dafür, dass vieles immer noch Gültigkeit hat?
 
Diese Kritik lief jedoch gar nicht in den Nachrichten. Gezeigt wurde, wie Berlusconi süffisant und machohaft in Anspielung auf einen in Italien produzierten Film über Konzentrationslager Schulz entgegnete:
 
"Ich schlage Sie für die Rolle des Kapo vor."
 
Man sah, wie Schulz auf die Übersetzung wartete und, als sie ankam, entsetzt von seinem Stuhl hochsprang. Aus dem Stegreif hielt er eine druckreife Gegenrede mit dieser zentralen Botschaft: "Der Respekt vor den Opfern des Faschismus verbietet mir, darauf einzugehen. Aber mir ist klar geworden, dass ein amtierender Ratspräsident, wenn er mit der geringsten widersprüchlichen Debatte konfrontiert wird, seine Contenance in dieser Form verliert."
 
Das ist 14 Jahre her. Kein Held der Welt kann die Woge der Sympathie so lange, bis in die Jetztzeit herüberretten, und natürlich war Schulz damals jünger, wilder, mutiger. Er gehörte zu den Pionieren des Europaparlaments, so wie wir es heute kennen. Vieles war neu und im Aufbruch, die EU-Werdung ebenso wie die sehr rechten und die sehr linken Parteien, die eine Sprache verwendeten, die noch nicht abgenudelt war.
 
Sein Problem ist nicht die Wurst
 
Doch wenn man länger als zwei Jahrzehnte die immer gleichen alten Probleme verhandelt, verwundert es nicht allzu sehr, dass ein Mensch müde wird und seine Rhetorik aus der Routine speist. So wirkt Martin Schulz heute. Er hat immer noch diesen Würselen-Sound im Sprech; er spult seine Europasätze ab, ja gut, was kann er dafür, dass vieles immer noch Gültigkeit hat.
 
Schulz' Problem ist ganz sicher nicht, dass er in einer Würstchenfabrik dabei gefilmt wird, wie er ein Stück Wurst verdrückt, derweil die Kanzlerin vermeintlich die Weltrevolution einleitet. Martin Schulz' Problem ist, dass man ihm die Dringlichkeit seines Anliegens nicht mehr abnimmt. Es wirkt nicht nur einstudiert, sondern ist es auch. Ein Haufen Politberater haben in Windeseile einen Kanzlerkandidaten gebastelt, der jetzt so tun muss, als habe er darauf hingearbeitet.
 
Alles beim Alten
 
Und dann noch diese Sportsprache. Immer ist da die Rede vom Boxkampf oder dem Einstecken eines Gegentors. Die Vergleiche rühren wohl noch aus der Zeit, als er meinte, als Fußballer Karriere machen zu können. Politische Niederlagen in Metaphern aus dem Sport zu kleiden, soll suggerieren, dass man es sportlich und lässig nimmt. Tatsächlich wirkt er dadurch tief gekränkt.
 
Steuerpolitik, Gleichstellungspolitik, alles wichtig, alles dringend. Sicher ist Schulz eine ehrliche Haut und engagiert und was man ihm an Gutem und Richtigen noch alles nachsagt, aber seine Zeit wirkt abgelaufen. Das mag an den Zeiten liegen. Sie sind andere geworden, während er der Alte geblieben ist. Warum dann aber ihn wählen, wenn die Konkurrentin, genau wie er, auch die Alte geblieben ist? Das ist, als würde man eine schöne alte Vitrine gegen ein schönes altes Vertiko austauschen. Mal ehrlich: Wer tut denn so etwas?
 
Nächste Woche an dieser Stelle: Nachdenken über Christian L.


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