Freitext: Rainer Merkel: Unser Freund, der Baum

 
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28.06.2017
 
 
 
 
Freitext


 
Unser Freund, der Baum
 
Bäume vor dem Balkonfenster gaukeln immerhin ein wenig Idylle vor. Aber was, wenn die Stadt sie abholzen will? Dann bangen wir nicht nur um das lauschige Grün.
VON RAINER MERKEL

 
© Mad House/Unsplash.com
 
Erst war uns noch nicht klar, was das bedeutete: Der Baum war gar nicht tot. (Unser Baum, von dem wir annahmen, er würde zu den vom Grünflächenamt ausgewählten Kandidaten gehören und gefällt werden müssen.) Es ist gut, einen Baum vor dem Haus zu haben. Wir haben es auch L. zu erklären versucht, der allerdings behauptete, Bäume vor dem Haus zu haben, empfände er als irgendwie „unsauber“. Bäume im Libanon, zum Beispiel in Beirut, woher L. stammt, erscheinen dort zunehmend als irrealer Luxus, der die Stadt daran hindert, sich aller Räume zu bemächtigen, die Geld einbringen und für höhere Mieteinnahmen sorgen. Entwicklungen, unter denen L. jetzt in München so furchtbar leidet. Er wohnt in einer Wohnung, die so klein ist, dass wir ihn leider nicht besuchen können, da er eigentlich nur über einen einzigen Schlafplatz verfügt. Trotzdem sind wir natürlich erleichtert und glücklich: Der Baum hat überlebt.
 
Es ist noch gar nicht so lange her, da hat das Grünflächenamt, Fachbereich Grünflächen, Pflege, Unterhaltung und Entwicklung angekündigt, dass „eine Eberesche, fünf Eschen und elf Scheinakazien im Rahmen der Verkehrssicherheit“ gefällt werden müssen, da sie „ihre Standfestigkeit“ verloren haben. Während dieser Tage rechneten wir stündlich damit, dass der Baum verschwindet. Es waren ohnehin düstere Tage, es waren die Tage der Trump-Depression, aus denen dann später die Trump-Komödie wurde, bis schließlich gar kein Genre mehr dazu passte, was Trump sich alles so ausdachte. Obwohl es ja gerade solche Leute wie Trump sind, die Einrichtungen wie das Grünflächenamt oder überhaupt gleich das Bezirksamt Mitte, Abteilung Weiterbildung, Kultur, Umwelt, Natur, Straßen und Grünflächen am liebsten vom Erdboden verschwinden lassen möchten. Für einen Augenblick spielten wir sogar mit dem Gedanken, mal beim Grünflächenamt anzurufen und uns zu erkundigen. Wir hätten die vielen Tippfehler und die vielen fehlenden Kommata in dem Rundschreiben der Behörde als Anlass nehmen können, nach „unserem Baum“ zu fragen. Aber wie furchtbar, wie unglaublich spießbürgerlich wäre das denn gewesen?
 
Wir haben L. schon davon erzählt: „Es ist nicht so wie in der Sonnenallee. Bei uns in der Straße legen die Leute um die Bäume, die vor ihren Häusern stehen, kleine Minigärten an.“ Manche von ihnen mit Drahtkonstruktionen oder kleinen Miniaturholzzäunen. So sind sie gegen Übergriffe besser geschützt. (Es löste in uns kein Triumphgefühl aus, dass es gerade diese Bäume erwischte, sodass die Miniaturgärten mit ihren Osterglöckchen schon bald ihr klägliches Dasein in der Nähe eines Stumpfes fristen mussten, den das Grünflächenamt wie zur Abschreckung auf dem Bürgersteig zurückgelassen hatte.) „Seid ihr verrückt?“, fragte L. in seiner Antwort. Er meinte nicht uns, er meinte die Deutschen allgemein, obwohl er nichts anderes versucht, als sich in einen von ihnen zu verlieben, um endlich Wurzeln in diesem Land zu schlagen. Er will aber nicht einsehen, dass es auch hier Kräfte gibt, die alles zu zerstören versuchen, so wie es auch schon Lenin probiert hat, vor dessen Name sich die Mittelklasse schon immer fürchtete, der aber jetzt in der Gestalt von Trump-Berater Stephen Bannon die „Demontage des administrativen Staates“, seine endgültige „Dekonstruktion“ und Zerstörung betreiben will. „Na und“, sagte L. „Dann ist es wenigstens vor eurem Haus sauber und ihr habt nicht den ganzen Dreck in eurer Wohnung herumfliegen.“

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