10 nach 8: Sabine Kray über Feminismus

 
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23.06.2017
 
 
 
 
10 nach 8


Die Angst vor dem F-Wort
 
Angela Merkel möchte sich nicht als Feministin bezeichnen. Viele erfolgreiche Frauen schrecken vor diesem Wort zurück. Warum eigentlich?
VON SABINE KRAY

Wer auf diesem Panel sieht sich selbst als Feministin? Auf diese Frage auf dem Women20-Gipfel in Berlin heben Ivanka Trump (links) und Christine Lagarde (Mitte) die Hand. Angela Merkel nicht. © Emmanuele Contini/NurPhoto via Getty Images
 
Wer auf diesem Panel sieht sich selbst als Feministin? Auf diese Frage auf dem Women20-Gipfel in Berlin heben Ivanka Trump (links) und Christine Lagarde (Mitte) die Hand. Angela Merkel nicht. © Emmanuele Contini/NurPhoto via Getty Images
 
 

"You paddle like a boy, so fast and so strong." Der israelische Austauschsportler hatte mir damals das größte nur mögliche Kompliment machen wollen, als ich nach einem gewonnenen Rennen aus meinem Kajak stieg. Wir waren 13 und ein bisschen verknallt. Aber schon damals störte mich etwas. ICH war schnell, ICH hatte hart trainiert. Was sollte dieses Mädchengerede? Für Oren war meine Schnelligkeit dann auch kein Beleg dafür, dass Mädchen echte Athletinnen sein konnten, sondern eher dafür, dass er hier ein besonderes Exemplar von Mädchen vor sich hatte. Heute ist mir klar, dass mein biologisches Geschlecht sehr wohl von Bedeutung ist.

Warum fällt mir diese Geschichte ausgerechnet jetzt wieder ein? Nun, seit einigen Wochen geht mir Angela Merkels Auftritt beim Women20-Gipfel in Berlin, bei dem es um die Stärkung der Rolle von Frauen gehen sollte, nicht mehr aus dem Kopf. Auf die Frage, ob sie Feministin sei, gab sie, wie der Guardian es treffend formulierte, the most Merkelesque of answers, indem sie eine eindeutige und verbindliche Antwort umging. "Ehrlich gesagt, ähm, möchte ich … Also: Die Geschichte des Feminismus ist eine, bei der gibt es Gemeinsamkeiten mit mir und es gibt auch solche, wo ich sagen würde, da gibt es Unterschiede. Und ich möchte mich auch nicht mit einem Titel schmücken, den ich gar nicht habe, denn ich sage mal, Alice Schwarzer oder so haben ganz schwere Kämpfe gekämpft und jetzt komm ich und setze mich auf die Erfolge und sage: 'Ah, ich bin jetzt 'ne Feministin, das ist aber toll.' Insofern: Ich habe keine Angst. Wenn Sie finden, dass ich eine bin, stimmen Sie ab, okay? Aber ich möchte mich nicht mit der Feder schmücken. So."

Immer wieder begegnen mir erfolgreiche Frauen, die sich mit der Bezeichnung Feministin nicht assoziieren möchten. Haftet der Bewegung etwa immer noch das Image eines bissigen Köters an? Wäre es in Merkels Fall so etwas wie politischer Selbstmord, sich aktiv zu bekennen? In jedem Fall scheint von einem solchen Bekenntnis in fast allen Bereichen jenseits der Popkultur eine Bedrohung für Erfolg und Karriere auszugehen. Natürlich kann Emma Watson sich als Feministin bezeichnen, in der freien Wirtschaft aber scheinen viele Frauen noch immer zu befürchten, dass ihnen ein solches Bekenntnis zum Problem gereichen könnte. Und auch wenn die Quote in den letzten Jahren immer mehr an Akzeptanz gewonnen hat, sprechen sich meiner Erfahrung nach besonders erfolgreiche Frauen immer noch häufig gegen sie aus. Ich war mal eine von ihnen.

Bis heute fällt es auch mir schwer hinzunehmen, dass Frausein sehr wohl eine Rolle spielt. Ganz egal, ob ich gerade einen Erfolg oder eine Niederlage zu verzeichnen habe. "Seid nicht solche Mädchen!", schrie der Trainer damals manchmal von seinem Motorboot aus – das habe ich mir zu Herzen genommen. Noch in meinen Zwanzigern hätte ich mich der Haltung angeschlossen, die Ronja von Rönne vor zwei Jahren in ihrem viel kritisierten Artikel mit dem Titel Warum der Feminismus mich anekelt vertrat. In der Zwischenzeit hat sie sich von diesem Text distanziert, in dem es unter anderem hieß, es sei immer mehr eine Frage des Selbstbewusstseins und nicht des Geschlechts, eine Gehaltserhöhung zu fordern: "Wir leben in einem Land, in dem der Einzelne für sich kämpft." Das ist eine Haltung, die gar nicht so neu ist, wie sie zu sein vorgibt – es ist eine Haltung, die man als typisch neoliberal bezeichnen könnte.

Der Neoliberalismus glaubt daran, dass sich die Stärksten am Markt behaupten werden. Egal in welcher Hinsicht. Erfolg und Misserfolg sind individuell. Disziplin und harte Arbeit haben noch jeden weitergebracht. So sieht es offenbar auch Sheryl Sandberg, wenn sie Frauen die Parole "Lean In" zuruft. Häng dich rein! Nimm dir, was dir zusteht! Dass diese Strategie für Arme, Unterprivilegierte und Minoritäten, wenn überhaupt, nur unter größten Widrigkeiten gelebt werden kann, wird dabei übersehen. An die Stelle struktureller Veränderungen tritt die Bewunderung individueller Leistungen gegen alle Widerstände.

Eine Reihe von Menschen glaubt noch immer daran, dass allein die Präsenz einer Frau an der Spitze der Bundesregierung, die Lage auch für den Rest der Frauen auf dieser Welt verändern könne. Ein solches Denken basiert laut der britischen Feministin Laurie Penny auf der Logik des sogenannten Trickle-down-Effekts. Es ist dieselbe Überzeugung, der auch Donald Trump anhängt, wenn es um den wirtschaftlichen Erfolg Amerikas geht: Der Erfolg der oberen Zehntausend wird demnach letztendlich auch denjenigen zugutekommen, die von alltäglichen Widrigkeiten erdrückt werden.

Trickle-down-Gleichstellung dank Angela Merkel? Ich vermute eher, dass die Einschätzung der meisten Männer noch immer jener meines 13-jährigen Sportlerfreundes gleicht: Respekt! Diese Frau regiert wie ein Mann, so kompetent und so stark. Die Trickle-down-Logik, die ich auch von anderen Frauen höre, klingt ungefähr so: Immerhin könnten kleine Mädchen jetzt sehen, dass auch Kanzlerin ein Beruf für Mädchen sei. Wirklich? Das ist alles, was ihr von der ersten Bundeskanzlerin der deutschen Geschichte erwartet?

Oft wird gelobt, welch geringe Bedeutung Merkel der Tatsache einräumt, dass sie eine Frau ist

Kommen wir noch einmal zurück auf die Frauenquote, das wohl zentralste und potenteste Instrument in der Gleichstellungsfrage. Fast zwölf Jahre hat es für deren Einführung gebraucht und momentan profitiert nur ein Bruchteil der deutschen Arbeitnehmerinnen von ihr. Wir sprechen von 106 börsennotierten Unternehmen, die nun eine Frauenquote von 30 Prozent in ihren Vorständen haben. Hinzu kommen die Gremien des Bundes. Ab 2018 soll die Quote in den Gremien auf 50 Prozent erhöht werden. Ist es naiv zu fragen, warum diese Regelung nicht auch für die Privatwirtschaft und ab einer gewissen Unternehmensgröße flächendeckend gilt? 3.500 weitere Unternehmen sind zu einer freiwilligen Zielsetzung angehalten. Diese darf allerdings auch bei 0 Prozent liegen.

Oftmals wird lobend hervorgehoben, welch geringe Bedeutung Angela Merkel der Tatsache einräumt, dass sie eine Frau ist. Sie hat in ihrem Leben einiges erreicht, offenbar möchte sie lieber die eigene Leistung gewürdigt sehen, anstatt sie in den Kontext jener unabänderlichen Realität gestellt zu finden. Das ist verständlich. Sie vergisst in ihrer Antwort beim W20-Gipfel dann auch nicht, sich bei Frauen wie Alice Schwarzer für die Vorarbeit zu bedanken, doch die Beteuerung, sie wolle sich nicht mit fremden Federn schmücken, ist nichts als Blendwerk in diesem Wahljahr 2017, ein typischer Merkelismus, um noch einmal den Guardian zu zitieren.

Denn während es selbstverständlich jeder Frau freisteht, sich vom Feminismus – was auch immer sie darunter versteht – zu distanzieren, kann eine solche Aussage aus Angela Merkels Mund nicht privat sein. Sie steht im Dienst des deutschen Volkes und damit sind ihre Worte niemals privat, sondern stets politisch. Gut die Hälfte dieses Volkes sind Frauen. Frauen, die nach wie vor weniger verdienen als Männer, Frauen, die im Berufsalltag mit sexistischen Bemerkungen und einer nach oben hin immer morscher werdenden Karriereleiter zu kämpfen haben. Auch Frauen, die höchstens zum Fensterputzen auf irgendeiner Leiter stehen dürfen. Frauen, die bitte schön froh sein sollen, dass sie beruflichen Erfolg und Familie gleichzeitig bewerkstelligen dürfen, Frauen, die sobald sie eine starke Meinung vertreten, vor allem im Internet beschimpft und bedroht werden.

Angela Merkel hat sich, besonders in den letzten Jahren, für andere Menschen starkgemacht. Dazu steht sie, gegen jeden Widerstand. Dafür bewundere ich sie. Und damit wird sie eines Tages auch in die Geschichtsbücher eingehen. Aber vielleicht – und es fällt mir gar nicht leicht, das auszusprechen – müssen wir sie am Ende tatsächlich beim Wort nehmen und annehmen, dass unsere Bundeskanzlerin gar keine Feministin ist.

Sabine Kray wurde 1984 in Göttingen geboren. Heute lebt sie in Berlin, wo sie als Autorin und Übersetzerin arbeitet und sich als Mentorin für junge Mädchen bei der Bürgerstiftung Neukölln engagiert. Ihr Debüt "Diamanten Eddie" ist im Frühjahr 2014 bei der Frankfurter Verlagsanstalt erschienen. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8".
 

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10 nach 8
 
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