Kiyaks Deutschstunde: Nachdenken über Christian L.

 
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Kiyaks Deutschstunde
28.06.2017
 
 
 
 
Was meinen Politiker, wenn sie sagen, was sie sagen? Und: Was meinen sie wirklich? Mely Kiyak sagt’s Ihnen!


Nachdenken über Christian L.
 
Als die FDP im Bundestag vertreten war, richtete sie keinen großen Schaden an. Und als sie weg war, ging es auch irgendwie. Wird das mit Christian Lindner anders?
VON MELY KIYAK

Obwohl man in Deutschland nicht Personen, sondern Parteien wählt, ist es häufig so, dass der Wähler einen bestimmten Politiker meint, wenn er seine Stimme einer Partei gibt. Die Kunst der politischen Kommunikation besteht also darin, das Parteiprogramm mit einem Gesicht zu verknüpfen. Es gibt Politiker, die sich fürchterlich abrackern müssen, und dann gibt es andere, die mit wenig Inhalt und viel personality glatt durchrutschen.
 
Unvergessen das Plakat zur Wahl des Abgeordnetenhauses in Berlin 2011. Die SPD plakatiert Klaus Wowereit, der von einem Kind ein Stoffkrokodil ins Gesicht gedrückt bekommt. Wenige Wochen später trat der Regierende Bürgermeister seine dritte Amtszeit an.
 
Wolfgang Kubicki wurde als Spitzenkandidat für die FDP in Schleswig-Holstein 2017 mit seinem Foto und dem Spruch "Wollen reicht nicht. Man muss es auch können" beworben. Was wie der Claim für ein Potenzmittel klang, führte für Kubicki und seine Partei gemütlich in den Kieler Landtag. Nur zur Erinnerung: Die FDP ist jene Partei, die 2013 aus dem Bundestag flog.
 
Lindner sieht super aus
 
Gespannt wartete man also darauf, was Christian Lindner, dem die Welt der Werbeagenturen aus frühen beruflichen Gründen nicht fremd ist, zur NRW-Wahl präsentieren würde.
 
Christian Lindner entschied sich für die Berliner Werbeagentur "Heimat" und ließ sich für den NRW-Landtagswahlkampf – hier stimmt diese viel verwendete Formulierung – in Szene setzen. Heraus kam ein Werbespot, der Christian Lindner in unterschiedlichen Kontexten zeigt. Lindner umjubelt, Linder einsam. Lindner im Stau, Lindner in Sneakers, Lindner hat auch passende Schuhe zum Anzug. Lindner schaut gedankenverloren durch das Fenster eines Flugzeuges. Lindner sieht super aus. Selbst wenn er müde ist. Oh ja, er ist bestimmt oft müde, denn Lindner ist eine Minute und 26 Sekunden lang ununterbrochen unterwegs. Weil: "Es geht um unser Land."
 
Die Bilder sind schwarz-weiß. Die Beats rhythmisch. Schnelle Schnitte. Null politischer Inhalt. Die riskanteste Entscheidung war sicher die des Voice-Overs. Lindner spricht den Text selbst. Obwohl ihm das satte und voluminöse Timbre fehlt, das man von Männern mit breiten Kreuzen kennt. Der Bouffier hat so ein Naturmoll in der Brust. Der Kretschmann eher nicht. Lindner erzählt seine Story so: Immer war da jemand, der mich aufhalten wollte. Ich aber machte weiter. Der Sprechsound hat ein bisschen was von Poetry Slam. Mehr gerappt denn gesprochen.
 
Wenn bekannter wäre, wie viel Geld, Zeit und Energie eine Partei darauf verwendet, die passende Werbeagentur zu finden, um sich im öffentlichen Raum zu bewerben, würden noch viel mehr Menschen auf die Ästhetik einer Kampagne eingehen und sie detailliert auseinandernehmen. Die Wahlkampfplakate und Spots sind neben den Talkshowauftritten die wichtigste Säule der Kommunikation zwischen Partei und Wähler.
 
Trotzdem wäre es völlig falsch, einen solchen Spot Bild für Bild auseinanderzunehmen, denn das ganze Kunstwerk dient der Manipulation.
 
Der Zuschauer soll konsequent am Nachdenken gehindert werden. Er soll verführt werden und das Produkt kaufen. Der Spot hat exakt die Bildsprache, die man von Autowerbung und Rasierschaumclips kennt. Lässt man den Ton aus und die Bilder laufen, würde man sich nicht wundern, wenn am Ende ein Nassrasierer aus Chrom eingeblendet wäre und der Spruch "18 Klingen. Auch am Kinn stoppelfrei". Diese Form der Parteiwerbung ist einmalig in Deutschland. So einen Spot hat es nie zuvor gegeben. Das Ergebnis ist bekannt. Der Konsument kauft. 12,6 Prozent Marktanteil in der relevanten Zielgruppe, 28 Sitze im Landtag, Glückwunsch "Heimat".
 
Was fällt einem noch zu Lindner ein?
 
Jeder Werbespot über Antischuppenshampoo hat mehr Gesellschaftsvision
 
Die Frage ist eigentlich synonym mit der Frage, was fällt einem zur FDP ein? Was fällt einem überhaupt zu Menschen ein, die wie Lindner im Sozialstaat groß geworden sind, ein Leben lang von ihm profitierten, weil sie für ihre Schulausbildung nichts bezahlen mussten, für ihr Studium nicht, und selbst zur Firmengründung Kapital vom Staat bekamen und in die Insolvenz gehen konnten, ohne anschließend ein Leben lang tief verschuldet aus der bürgerlichen Existenz geworfen zu werden?
 
Selbst wenn man nicht viel Kenntnis über politische Systeme hat, so sieht man doch, dass der Liberalismus in Amerika und England mit dem Konzept der Eigenverantwortung, für die die Liberalen dieser Welt das Wort Freiheit permanent missbrauchen, gescheitert ist. Und zwar total. Das vermeintlich ethische und moralische Gewissen der Gesellschaft hat in Amerika nicht dazu geführt, dass Krankenhäuser arme Menschen in Not ohne Sozialversicherung behandeln. Selbst als in England Armut und Verwahrlosung in Gewalt umschlugen, fühlte sich niemand verantwortlich.
 
Ach, das war noch was
 
Der größte Unterschied zwischen den Linken und den Liberalen ist, dass die einen Frieden und Wohlstand sichern wollen, indem sie an Aufstieg glauben und ihn ermöglichen wollen und die anderen meinen, dass man vorhandenes Vermögen bewahren müsse, um nicht in den Abgrund zu taumeln. Aber um Geld bewahren zu können, muss man es erst mal haben.
 
In Interviews wehrt Lindner oft sämtliche Begriffe wie neoliberal, marktliberal, egalwasliberal mit dem Argument ab, dass es sich um missbrauchte oder überholte Begriffe handele. Am Ende ist er immer einfach nur Christian Lindner.
 
Zur Frage, was die FDP 2017 überhaupt ausmache, fallen Vorschläge wie Internetversand für verschreibungspflichtige Medikamente und das Recht eines jeden Users, Daten im Netz löschen zu können. Jeder Werbespot über eine Flasche Antischuppenshampoo hat mehr Gesellschaftsvision als die derzeitige FDP, die im Wesentlichen von Kubicki und Lindner nach außen vertreten wird. Man vergisst so leicht: Als die FDP im Bundestag vertreten war, richtete sie keinen großen Schaden an. Und als sie weg war, ging es auch irgendwie.
 
Bleiben also die alles entscheidende Fragen: Braucht Deutschland die FDP, um gut leben oder wenigstens gut koalieren zu können? Oder braucht die FDP Deutschland, um nicht auszusterben?  
 
Nächste Woche an dieser Stelle: Doppelnachdenken über Katrin G.-E. und Cem Ö.


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