Fünf vor 8:00: Kampf den Steuerpopulisten - Die Morgenkolumne heute von Mark Schieritz

 
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FÜNF VOR 8:00
29.06.2017
 
 
 
   
 
Kampf den Steuerpopulisten
 
Zahlreiche Lobbyisten wollen uns einreden, dass die Steuern hierzulande viel zu hoch sind. Sie haben unrecht, aber ihre falschen Zuspitzungen sind schwer zu durchschauen.
VON MARK SCHIERITZ
 
   
 
 
   
 
   
Wissen Sie, wie viel Einkommenssteuer Sie bezahlen? Ich habe nachgeschaut, es sind in meinem Fall inklusive Solidaritätszuschlag etwa 23 Prozent. Ich bin – das muss dazugesagt werden – verheiratet und habe zwei Kinder. Wie viel ich verdiene, verrate ich nicht, dazu nur so viel: Ich finde, es müsste mehr sein, aber man kann davon auch ganz ordentlich leben.
 
Warum ich das erzähle? Weil die Politik offenbar der Meinung ist, dass ein durchschnittlicher Steuersatz von 23 Prozent ein Skandal ist und meine Steuern sinken müssen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich zahle gerne weniger Steuern, zumal in Zeiten, in denen die Steuereinnahmen schneller steigen, als der Staat das Geld ausgeben kann. Aber ich hätte auch gerne die Vorhand von Roger Federer. Oder ein Pony.
 
Die Frage ist also, ob das Thema Steuern die Aufmerksamkeit verdient, die es gerade bekommt. Mit anderen Worten: Ob die Zukunft des Landes wirklich davon abhängt, wie viele Steuern ich bezahle.
 
An dieser Stelle wird die große Koalition der Steuersenker wahrscheinlich eine Studie der OECD anführen, der zu entnehmen sei, dass der Staat sich mit Ausnahme von Belgien in keinem anderen Land so viel vom Bruttoeinkommen nehme wie in Deutschland: Im Schnitt betrage der Anteil inklusive Sozialabgaben 49,4 Prozent.
 
Spielwiese für populistische Manöver aller Art
 
Die Zahl ist korrekt, doch sie gilt für einen alleinstehenden Arbeitnehmer ohne Kinder. Ein verheirateter Arbeitnehmer mit zwei Kindern muss nur 34 Prozent seines Einkommens abgeben. In dieser Betrachtungsweise fällt Deutschland in der internationalen Steuervergleichstabelle auf Rang neun zurück – hinter Länder wie Österreich, Finnland, Frankreich oder Schweden.
 
Das Thema Steuern ist kompliziert, das macht es zur idealen Spielwiese für populistische Manöver aller Art. Wer weiß schon, dass nicht das Bruttoeinkommen die Grundlage für die Berechnung der Einkommensteuer ist, sondern das zu versteuernde Einkommen, bei dem Freibeträge etwa für die Altersvorsorge abgezogen werden? Dass der ab einem Einkommen von 54.000 Euro fällige Spitzensteuersatz von 42 Prozent nicht für das gesamte Einkommen gilt, sondern nur für den Teilbetrag, der über dieser Grenze liegt? Oder dass knapp zehn Millionen Menschen in Deutschland überhaupt keine Steuern bezahlen, weil sie nicht genug Geld verdienen?
 
Die von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie finanzierte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft etwa wirbt mit dem Beispiel einer verheirateten Krankenschwester mit zwei Kindern, die angeblich 1.547 Euro im Jahr sparen würde, wenn die Steuern so gesenkt werden, wie es die Arbeitgeber sich vorstellen. Das wäre in der Tat viel Geld für eine Familie, die vom Gehalt einer Krankenschwester leben muss. In einer Fußnote allerdings wird darauf hingewiesen, dass der Ehemann der Krankenschwester ebenfalls berufstätig ist und das Haushaltseinkommen sich auf insgesamt 76.000 Euro beläuft. Damit sieht die Sache schon etwas anders aus.
 
Kuriose Debatte
 
Die Steuerdebatte ist auch deshalb so kurios, weil die Steuerlast in den Augen der Bürger nicht das dringendste Problem zu sein scheint. Die meisten Deutschen sind mit ihrer wirtschaftlichen Situation mehr oder weniger zufrieden. Sie haben bestimmt nichts dagegen, wenn der Staat die Steuern senkt, aber wenn nicht, dann ist das offenbar auch nicht so tragisch. So sind die Kampagnen der Steuerlobbyisten letztlich der Versuch, den Leuten ein Problem einzureden, dass es so nicht gibt.
 
Es deutet jedenfalls wenig darauf hin, dass der deutsche Staat "in Richtung Kleptokratie" marschiert, wie Christian Lindner meint. Die deutsche Steuerquote belief sich im vergangenen Jahr nach amtlichen Angaben auf 22,53 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das entspricht in etwa dem langfristigen Durchschnittswert der vergangenen Jahrzehnte. Und aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ist ohnehin nicht die Zeit für wuchtige Steuersenkungen. Die Wirtschaft läuft so gut wie lange nicht mehr, und wenn sie etwas nicht braucht, dann ist es ein zusätzlicher Nachfrageimpuls.
 
Richtig ist: Das Steueraufkommen wird in den kommenden Jahren steigen, weil mit steigendem Einkommen höhere Steuersätze greifen. Nach Berechnungen des Finanzministeriums steigt die Steuerquote bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode auf 23,28 Prozent. Deshalb spricht im Prinzip auch nichts gegen eine moderate Entlastung der Bürger. Aber richtig ist auch: Es gibt wichtigere Dinge.
   
 
   
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