Davos der Hochschulpolitik | Plattform für Peers | 3 ½ Fragen an Andrea Bossmann | Dr. acad. Sommer: Unternehmer am Tisch

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
in diese Woche starten wir gleich mit den ganz großen Themen. Es geht also um  Wissenschaftsfreiheit, Autonomie, Integrität, Peer Review und die (fehlende) Anerkennung von Gutachtern. Eine aufmunternde Erkenntnis gibt Andrea Bossmann in ihren Antworten auf unsere 3 1/2 Fragen weiter. Handfeste Tipps zum Umgang mit Unternehmern hat Dr. acad. Sommer alias Uli Rockenbauch auf Lager. Und im c.t. sehen Sie, wie ein Moskauer Institut den Peers in der Wissenschaft ein Denkmal setzt.
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Davos der Hochschulpolitik
Think Big. Hamburgs Universitätspräsident Dieter Lenzen hat damit zum Glück kein Problem. Ein „Davos der Hochschulpolitik“ sollen die internationalen Treffen von Hochschulpräsidenten werden, die die Hochschulrektorenkonferenz, die Körber-Stiftung und die Universität Hamburg organisieren. Zur zweiten und vorläufig jüngsten Tagung kamen vergangene Woche knapp 50 Uni-Chefs aus aller Welt nach Hamburg und gingen nicht auseinander, ohne eine Deklaration für Autonomie und Wissenschaftsfreiheit verabschiedet zu haben. Beschlossen wurde auch ein Offener Brief an Ungarns Staatspräsident Viktor Orban zum Erhalt der bedrohten CEU (Tagesspiegel, ZEIT). Wie fragil die Wissenschaftsfreiheit und die Hochschulautonomie in Europa sind, zeigt der kürzlich veröffentlichte Autonomie-Bericht der EUA. Wer sich durch die Studie klickt und den Bedarf nach einem „Davos der Hochschulpolitik“ danach immer noch bezweifelt, sollte die Statements zur Lage der Wissenschaftsfreiheit
lesen, die Spiegel Online von Teilnehmern der Hamburger Tagung einholte.
  
 
 
Plattform für Peers
Wer Autonomie fordert, muss ihr gerecht werden. Liebe Wissenschaft, mach bitte endlich Schluss mit Schummel und Betrug! Ob Forschungspfusch auch strafrechtlich bewehrt werden sollte, wurde unlängst nämlich bei der Weltkonferenz für Forschungsintegrität diskutiert – und zum Glück verworfen (THE, Deutschlandfunk). Die Wissenschaft muss sich selbst kontrollieren dürfen, lautet der Tenor der Amsterdamer Tagung. Gut. Das Problem: Für eine funktionierende Selbstkontrolle braucht es neben Zeit und Geld auch ein Peer-Review-System, in dem die Leistungen der Gutachter anerkannt werden. Einen viel versprechenden Ansatz in diese Richtung bietet die Plattform Publon. Im Jahr 2012 gegründet erlaubt sie Wissenschaftlern, ihre Peer-Review-Leistungen sichtbar zu machen. Rund 150.000 Forscher nutzen die Chance bereits (Guardian). Weiter so!
  
 
 
Studiengebühren in NRW
Die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen befinden sich auf der Zielgeraden. Armin Laschet (CDU) und Christian Lindner (FDP) lassen jedenfalls schon einmal erste Ergebnisse sehen: Studierende ohne EU-Pass sollen an NRW-Hochschulen künftig pro Semester 1.500 Euro zahlen (Focus, Der Westen). Damit würde das Bundesland mit den meisten Hochschulen dem Beispiel Baden-Württemberg folgen, das zum Wintersemester Gebühren für Nicht-EU-Ausländer einführt. Wie es dazu kam, beschreibt Jan-Martin Wiarda in seinem Blog.
  
 
 
Raumgreifende Wissenschaft
Die kleine Schweiz ist in der Wissenschaft ja traditionell ganz groß. Damit das so bleibt, möchten die Universität Zürich, die ETH und das Uniklinikum mehr Platz haben. Und zwar genau dort, wo  sie sind. Im Zentrum der Stadt. Ein Universitätsquartier mit weltweiter Reputation soll und könnte entstehen, wenn es nicht Bürgerinnen und Bürger gäbe, die auch noch etwas von ihrer Stadt haben wollen. Die Auseinandersetzung zwischen raumsuchenden Spitzenforschern und Nachbarn, die sich verdrängt fühlen, ist ein Lehrstück für alle, die sich über das Verhältnis Wissenschaft und Gesellschaft Gedanken machen. Die NZZ hat die Debatte aufbereitet.
  
 
 
Very poor value for money
Theresa May und ihre Tories sind in Großbritannien nicht die einzigen, die einen miesen Lauf haben. Die Hochschulen wurden fast zeitgleich abgewatscht. Wie eine Studie des Higher Education Policy Institute zeigt, ist mittlerweile gut ein Drittel der Studierenden mit der Lehre unzufrieden, die ihnen ihre Hochschulen bieten. 2012 waren es noch 18 Prozent, die „poor or very poor value for money“ beklagten (Guardian). HEPI befragt die Studierenden jährlich. Die jüngsten Ergebnisse wurden einen Tag vor den Unterhauswahlen veröffentlicht und zeigen: Bei weiteren Studiengebührenerhöhungen ist in UK mit heftigem Protest zu rechnen. 76 Prozent der Befragten lehnen das Vorhaben der Tories ab, die jährlichen Gebühren auf rund 10.500 Euro (9.250 Pfund) zu erhöhen. Labour-Chef Jeremy Corbyn hatte im Wahlkampf die Abschaffung der Gebühren versprochen. Zum Schrecken von Hochschulexperten wie Peter Scott, der die Pläne in einem Beitrag „verrückt“  nannte.
  
 
 
 
   
 
 
   
 
   
   
 
Die Zahl
 
 
   
4000

indische Studierende sind an einem einzigen Tag in der US-Botschaft in Neu-Dehli und den Konsulaten in Chenanai, Hyderabad, Kolkata und Mumbai zu ihren Visa-Anträgen befragt worden. Ohne solch ein persönliches Gespräch bekämen sie keine Aufenthaltsgenehmigung.
 
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Andrea Bossmann

Gründerin und Vorstand, Lise-Meitner-Gesellschaft e.V. und Vorstand, AK Chancengleichheit der Deutschen Physikalischen Gesellschaft e.V. 
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
Dass man auch als Einzelperson mit etwas Engagement viel bewegen und aktiv gestalten kann, und dass es viel zu tun gibt! Die öffentlichen Angriffe gegen geisteswissenschaftliche Disziplinen, vor allem die Geschlechterforschung, haben mich sehr erschüttert. Hier wünsche ich mir auch innerhalb des Wissenschaftsbetriebs und auch von Personen aus den Natur- und Ingenieurswissenschaften mehr öffentliche Solidarität, da es hier um die Forschungsfreiheit an sich geht.

Welches wissenschaftspolitische Problem lässt sich ohne Geld lösen?
Ein inklusiveres Wissenschaftsumfeld zu schaffen. Gerade in den Natur-/Ingenieurswissenschaften sind die Fachkulturen sehr starr, dies produziert Ausschlüsse. Es muss mehr Diversität beim wissenschaftlichen Personal ermöglicht werden. Neben institutionellen Maßnahmen ist es dazu auch notwendig, dass sich alle ihrer eigenen Voreingenommenheiten – und auch Privilegien – bewusst werden.

Lektüre muss sein. Welche?
Momentan bei mir viel Fachliteratur aus der (feministischen) Wissenschaftskritik. Als Physikerin habe ich mich bisher kaum damit befasst, wie wir eigentlich Forschung betreiben, also dass selbst die als so objektiv wahrgenommene Forschung in der Physik in vielerlei Hinsicht kulturell beeinflusst ist. Dies immer wieder zu reflektieren ist sehr spannend, und meiner Meinung nach auch notwendig.

Und sonst so?
Engagiert euch! Es gibt viele Organisationen in Hochschulen, Fachgesellschaften etc. zu den unterschiedlichsten Themen, und wenn ihr keine passende findet, dann gründet selbst.
   
   
 
 
   
 
 
   
 
   
   
 
Dr. acad. Sommer
 
 
   
   
Lieber Dr. acad. Sommer,
neulich wurde mir auf einer Konferenz von einem Unternehmer angeboten, ein gemeinsames Projekt  zu finanzieren. Das ist natürlich auch für meine Drittmittelbilanz gut, aber ich frage mich: Worauf lasse ich mich bei einer solchen Projektfinanzierung ein? Was muss ich beachten?
 
Beim Technologietransfer müssen Sie sich vor allem bewusst machen, dass eine Firma keine uneigennützige Forschungsförderung betreibt. Hier müssen also drei Parteien gleichberechtigt ihre Interessen wahren: Sie als Wissenschaftler (der publizieren möchte), Ihre Institution (die gesetzliche Regeln einhalten muss und Wissen nicht unter Wert verkaufen darf), und das Unternehmen (das für sein Geld einen Marktvorteil bekommen möchte). Das heißt:
Ein Unternehmen muss wertvolle Ergebnisse schützen oder geheim halten. Fast jede Vertragsverhandlung dreht sich daher um Eigentums-, Publikations- und Nutzungsrechte.
Ein Unternehmen hat wenig Spielraum zum Herumexperimentieren und muss schnell wissen, ob sich ein Ansatz lohnt. Daher werden häufig kurze Projekte bevorzugt, die Meilensteine zum möglichen Abbruch und optionale Arbeitspakete enthalten.
Ein Unternehmen muss schnell auf den Markt reagieren und drängelt daher gerne bei der Vertragserstellung, auch wenn auch dort manche Entscheidungen bis in die Chefetage hochgereicht werden und ihre Zeit brauchen.
Es gibt eine rechtliche Trennlinie zwischen echten Kooperationen und Auftragsforschung. Projektfinanzierung, Steuerpflicht und geistiges Eigentum folgen dabei jeweils leider völlig unterschiedlichen Regeln!

Das klingt im ersten Moment kompliziert, aber es gibt einige Tipps, wie Sie stressfrei ans Ziel kommen:
Holen Sie sich Unterstützung. In Ihrer Verwaltung gibt es mit Sicherheit Experten, die Sie beraten oder zu den Vorbereitungstreffen mitkommen können. Ihre Spielwiese ist die Wissenschaft, um den Rest kümmern sich die Juristen und Forschungsreferenten.
Zeigen Sie Verständnis und Kompromissbereitschaft – gegenüber den Bedürfnissen der Firma und Ihrer eigenen Institution.
Machen Sie keine voreiligen Zusagen zu Finanzen oder Verwertungsrechten.
Wenn Sie sich mit der Firma zusammensetzen, kann eine Geheimhaltungserklärung hilfreich sein. So können beide Seiten im Gespräch ihr Know-how offen darlegen.

Freuen Sie sich in jedem Fall auf einen spannenden Austausch! Auch in der Wirtschaft gibt es viele  gute Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Mit ihnen zusammenzuarbeiten, eröffnet Ihnen noch einmal ganz neue Möglichkeiten.
 
Dr. Uli Rockenbauch ist Persönlicher Referent der Geschäftsführerin der Helmholtz-Gemeinschaft und berät die Scientific Community im ZEIT CHANCEN Brief als "Dr. acad. Sommer".
   
   
Auch eine Frage an Dr. acad. Sommer? Schreiben Sie an chancen-brief@zeit.de, twittern Sie unter #ChancenBrief – oder hinterlassen Sie uns in diesem Kontaktformular anonym Ihre Frage!
   
 
 
   
 
   
   
 
Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
   
Das wahre Erbe von 68 (Teil 2)  Maxim Biller rechnet mit den Studentenprotesten ab

Amoklauf Wie geht es dem Hausmeister des Gutenberg-Gymnasiums in Erfurt heute? Medizin In Berlin scheitert das Institut für Gesundheitsforschung – vor allem an sich selbst Karrieren Fränzi Kühne ist Deutschlands jüngste Frau im Aufsichtsrat eines börsennotierten Unternehmens

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
 
   
 
   
   
 
c.t.
 
 
   
 
Forscher wissen: Mit Wertschätzung ist es im Peer-Review-Geschäft nicht wirklich weit her. Gutachter müssen funktionieren, geräuschlos schuften und auf jeden Fall im Verborgenen bleiben. Lob ist da nicht. Dabei sind die Peers diejenigen, die an vorderster Front für wissenschaftliche Qualität sorgen. Jetzt endlich haben sie ein Denkmal bekommen. Das „Monument to Anonymous Peer Reviewer“ steht am HSE Institute of Education in Moskau und ist nach HSE-Angaben das weltweit erste Denkmal für Gutachter in der Wissenschaft. Браво!

Quelle: HSE Institute of Education
 
 
 
 
 
 
 
 
 
   
Kommen Sie gut in die Woche!

Ihr CHANCEN-Team

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