10 nach 8: Elvia Wilk über Selbstheirat

 
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07.06.2017
 
 
 
 
10 nach 8


Ich liebe mich bis an mein Lebensende
 
Sich selbst zu lieben ist prima. Doch eine Selbsthochzeit zu feiern, ist kein feministisches Statement, sondern ein Einknicken vor dem Prinzessin-für-einen-Tag-Traum.
VON ELVIA WILK

Der Mensch, den ich liebe: Ich One wedding/Unsplash
 
Der Mensch, den ich liebe: Ich One wedding/Unsplash
 
 

Wie sieht es bei dir mit heiraten aus? Frauen in den USA ist diese Frage ab einem gewissen Alter bestens bekannt. Sie wird von allen Seiten gestellt: von den Eltern, den Freunden, von der Kassiererin im Drogeriemarkt. Ist man in seinen Zwanzigern, begleitet die Frage noch ein Zwinkern; jenseits der Dreißig kann sie jedoch einen harten Ton annehmen und wie ein Befehl klingen. Wann. Wirst. Du. Endlich. Heiraten.
Vor dem Hintergrund dieses absurden Imperativs und all des patriarchalen Ballasts, der in ihm steckt (ich wette, Männer werden nicht halb so oft nach ihren Heiratsplänen gefragt), entsteht zurzeit ein neuer Trend: die Selbstheirat. Zum ersten Mal erzählte mir eine Bekannte davon. Sie war letztes Jahr auf eine Solo-Hochzeit eingeladen. Die Braut hatte ihr vierzigstes Lebensjahr erreicht, ohne einen Langzeitpartner gefunden zu haben. Die Hoffnung, einen solchen zu finden, hatte sie aufgegeben. Sie war aber dennoch davon überzeugt, dass sie es verdient hätte, einmal Braut zu sein und setzte diesen Wunsch auch in die Tat um – mit allem Drum und Dran. Den kostspieligen Selbstliebe-Akt, einschließlich weißem Brautkleid, Junggesellinnenabschied und Jawort, finanzierten ihrer Eltern.

Bereits 1993 erregte eine Solo-Hochzeit Aufmerksamkeit in der amerikanischen Öffentlichkeit. Damals heiratete Linda Baker aus Los Angeles sich selbst und lieferte damit die Vorlage für den Fernsehfilm I Me Wed, eine Produktion des Senders Lifetime. In den Folgejahren gab es immer wieder vereinzelte Selbsthochzeiten. Merklich an Popularität gewonnen haben sie aber erst seit Kurzem, insbesondere in den USA und in Großbritannien.

2014 gab sich die britische Fotografin Grace Gelder das Jawort und wurde infolgedessen zu einer Verfechterin von Selbstheirat und einer Art Selbstliebe-Guru. Ihre Entscheidung zur Sologamie erklärte Gelder damit, sie habe sich vor ihrem dreißigsten Geburtstag an einem Scheidepunkt im Leben befunden. Die Hochzeit stellte für sie einen persönlichen Meilenstein dar, den Beginn eines neuen Lebensabschnitts, aber sie sei auch ein Anlass gewesen, Freunde und Familie einzuladen und zu feiern. Gleichzeitig hoffte die Fotografin, zukünftig offener für eine Beziehung mit einem anderen Menschen zu sein. Denn, so Gelder, "wenn man sich selbst heiratet, legt man im Grunde einen Standard fest, was eine gute Beziehung ausmacht."

Trotzdem wurde ich sofort skeptisch, als ich zum ersten Mal von Sologamie erfuhr. Handelt es sich nicht ganz offensichtlich um reinen Hashtag-Feminismus? Selbstheirat ist ein Paradebeispiel dafür, seinen feministischen (Hochzeits-)Kuchen zwar essen, ihn aber gleichzeitig auf dem Teller behalten zu wollen: Man bezeichnet sich selbst als emanzipierte Frau, lässt aber das System der Unterdrückung unangefochten – in diesem Fall nicht nur das patriarchale, sondern auch das kapitalistische. Für 230 Dollar gibt es im Internet mittlerweile ein Selbstheirat-Set zu kaufen, für etwas weniger Geld ein zehnwöchiges Selbstliebe-Seminar, geleitet von einem "Pastor für Selbstheirat". Emanzipation als Billigware.

Die Britin Sophie Tanner bezeichnet sich selbst als "stolze Sologamistin" und verteidigte im Februar 2017 in einem Blog-Artikel die Selbstheirat aus feministischer Perspektive: "Wenn eine Frau ohne Ehepartner heiratet, ist das eine selbstermächtigende Antwort auf eine Gesellschaft, die ihr vorschreiben will, einen Mann zu benötigen, um bis an ihr Lebensende glücklich zu sein. Sie weigert sich, sich zu schämen, sich zurückgewiesen oder ‚im Regal stehen gelassen‘ zu fühlen; sie entscheidet sich für das Leben – sie entscheidet sich für sich selbst."

Untypische Hochzeit – klassische Zwickmühle

Doch wer glaubt, eine untypische Hochzeit könnte die Institution der Ehe unterwandern, landet schnell in einer klassischen Zwickmühle:Sich selbst zu heiraten heißt zwar womöglich, den Definitionsrahmen einer unterdrückenden Institution erfolgreich auszuweiten, im Endeffekt wird damit aber vor allem deren Legitimation gestärkt. Anders gesagt: Indem man sich selbst heiratet, lässt man sich vom Patriarchat vereinnahmen – und trägt damit zur Vergrößerung seiner Reichweite und Bedeutung bei. Würde es sich tatsächlich um eine Umkehrung der traditionellen Machtstrukturen handeln, gäbe es auch sich selbst heiratende Männer, von denen die Medien berichten.

Was genau hofft man mit einer Selbstheirat zu erreichen?

Vielleicht liegt es auch an dem plakativen Anspruch, sich um keinen Preis ausgeschlossen fühlen zu müssen, der mir die Sologamie so fragwürdig erscheinen lässt. "Die Dame, wie mich dünkt, gelobt zu viel", heißt es im Hamlet. Wer derart an die große Glocke hängen muss, wie gut es ihr damit geht, für immer allein zu sein, kann nur schwer ernst genommen werden. Im Gegenteil: Erst dadurch wird die Leerstelle sichtbar, der Mangel evident. Meine Bekannte, die zu besagter Selbstheirat eingeladen war, formulierte treffend: "Wenn du eine Hochzeit zur Selbstzelebrierung wählst, kommt unweigerlich die Frage auf, ob du alleine wirklich glücklich bist. Und diese Frage hängt dann über dir wie ein verdammter nasser Schleier."

Zudem gibt es ja bereits ein Fest, bei dem es darum geht, sich selbst zu feiern: es heißt Geburtstag. Was genau hofft man also mit einer Selbstheirat zu erreichen, das nicht auch mit einem großen Geburtstagsfest, einem Strandurlaub oder ein paar Therapiestunden getan wäre oder – wie in meinem eigenen Fall – mit einem leichtsinnigen Tattoo? Nein, um das Phänomen der Selbstheirat zu verstehen, muss man zugeben, dass es dabei in erster Linie um das öffentliche Spektakel geht.
Als US-Amerikanerin habe ich viel Verständnis dafür, wenn jemand angesichts des gesellschaftlichen Drucks zu heiraten die Nerven verliert. An meinem Leben in Berlin schätze ich sehr, dass mich hier niemand mit diesem Thema belästigt. In einer Gesellschaft hingegen, die eine Zweierpartnerschaft als Leistung erachtet, hat sich die Disney-Fantasie der Prinzessin-für-einen-Tag in den Köpfen von Frauen seit frühester Kindheit festgesetzt. Sie ist sogar ein zentraler Aspekt der Ikonographie, um die sich die US-amerikanische Massenkultur dreht. Selbst ich kann eine gewisse Faszination dafür nicht bestreiten.

An Solo-Hochzeiten stört mich, dass genau diese unbedeutendsten Aspekte einer traditionellen Hochzeit im Vordergrund stehen: die übermäßigen Kosten, die Rollenklischees, das Für-einen-Tag-berühmt-sein-Wollen. Frauen können in der westlichen Kultur durchaus mehr Selbstliebe gebrauchen, das ist klar. Und es ist prinzipiell nichts verkehrt daran, sich selbst zu feiern. Aber es ist weder radikal noch revolutionär, dem Irrglauben zu erliegen, dass Selbstwert etwas damit zu tun hätte, sich für einen Tag wie ein Star zu fühlen, viel Geld auszugeben oder überhaupt zu heiraten.

Neben dem Willen, bis an sein Lebensende eine andere Person zu lieben (und geliebt zu werden), demonstrieren Hochzeiten auch finanzielle Stärke. Das ist einer der Gründe, warum sie in den USA so teuer sind: 2016 kostete eine Hochzeitsfeier durchschnittlich etwa 32.000 Dollar (28.400 Euro) – in Großbritannien bei 27.000 Pfund (31.000 Euro) kein Vergleich zum deutschen Durchschnitt von etwa 6.500 Euro.

Blumenschmuck für 10.000 Dollar

In der amerikanischen Fernsehserie Vanderpump Rules drehte sich vor Kurzem eine ganze Staffel um die Hochzeitsvorbereitungen zweier Protagonisten. Die beiden konnten einander offensichtlich kaum ausstehen, doch das Dauerdrama drehte sich nicht um die Frage, inwieweit es unter diesen Umständen überhaupt ratsam ist, sich so fest aneinander zu binden. Vielmehr konzentrierte die Show sich darauf, die Traumhochzeit nach den Wünschen der Braut zu realisieren und vor allem zu finanzieren. Während der Bräutigam klagte, seinen Studienkredit niemals abbezahlen zu können, forderte seine Verlobte eine 10.000 Dollar teure Blumendekoration. Das Ehegelübde der Braut lautete entsprechend: "Ich, Katie, nehme dich, Tom, zu meinem angetrauten Mann. In Gesundheit und Krankheit. In Reichtum und Reichtum."

Alle Hochzeiten, auf die ich bisher eingeladen wurde, habe ich leidenschaftlich genossen, denn sie waren das exakte Gegenteil davon. Trotz traditioneller Elemente stand bei keinem der Feste das Star-für-einen-Tag-sein-Wollen im Mittelpunkt, sondern das Zusammenkommen von in der Welt verstreuten Freunden und Verwandten, das gemeinsame Feiern einer kraftvollen und innigen Verbindung sowie die Demonstration gegenseitiger Unterstützung – zwischen den Brautleuten und denjenigen Menschen, die ihnen am meisten bedeuten. Hochzeiten gehören für mich zu den wenigen gesellschaftlichen Ritualen, die innerhalb der Gezeiten des Alltags einen Ankerpunkt setzen.

Wenn man schon ein Ritual neu erfindet, warum denkt man sich nicht  etwas ganz Neues aus? Das könnte dann auch ein Anstoß für jeden einzelnen von uns sein, sich darüber klar zu werden, welche Bedeutung das Heiraten für sie oder ihn eigentlich hat.

Aus dem Englischen von Clemens Jahn

Elvia Wilk ist eine US-amerikanische Autorin in Berlin. Sie ist freie Redakteurin für die Online-Magazine "uncube" und "Rhizome" sowie zurzeit für die transmediale. Darüber hinaus schreibt sie Poesie und Belletristik. Elvia Wilk ist Gastautorin von "10 nach 8". 

 

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