Unichefs wollen Dekanate stärken | Markendebatte in Österreich | 3 ½ Fragen an Stefanie Molthagen-Schnöring | Gastkommentar Christian Gogolin, Lídia del Rio und Marcus Huber über ihr Open-Access-Journal

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
wir müssen raus aus unserem bequemen Leben und für Werte eintreten, dank derer wir bisher so bequem gelebt haben, schreibt Stefanie Molthagen-Schnöring in den 3 1/2-Fragen dieses CHANCEN Briefs. Das muss nicht immer gleich die ganz große Revolution bedeuten, es geht auch ein paar Nummern kleiner. Die drei Wissenschaftler Christian Gogolin, Lídia del Rio und Marcus Huber zum Beispiel gründeten ein Open-Access-Journal - gegen viele Widerstände. Im Gastkommentar beschreiben sie ihren Weg dorthin und machen anderen Mut und Lust auf Ausflüge jenseits der Komfortzone. Großartig!
 
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Unichefs wollen starke Dekanate
Frisches Futter für die Debatte zur Hochschulgovernance liefern diese Woche der Stifterverband und die Unternehmensberatung Kienbaum. Sie fragten Unichefs nach ihrer Einschätzung und erfuhren: Nur jeder vierte hält die Organisationsstrukturen seiner Hochschule für geeignet, um Strategien insbesondere bei Querschnittsaufgaben wie der Internationalisierung, der Digitalisierung oder auch dem Wissenstransfer tatsächlich umsetzen zu können (Deutschlandfunk, Tagesspiegel). Rund 100 Führungskräfte hatten sich an der Befragung beteiligt. Das Gros von ihnen möchte das Management in den Dekanaten professionalisiert wissen und dort beispielsweise Fakultätsgeschäftsführer installieren. Das liegt zwar ganz auf der Linie von Wissenschaftsmanagern wie Dieter Imboden, die den Hochschulen mit Blick auf die ExStra mangelnde Handlungsfähigkeit attestieren (Deutschlandfunk). Wissenschaftler an der Basis sehen das allerdings komplett anders, wie Axel Meyer in einem Gastbeitrag schreibt (FAZ). Das baden-württembergische Verfassungsgericht sprach sich dagegen erst kürzlich dafür aus, kollegiale Gremien wie den Senat zu stärken (Stuttgarter Zeitung, Badische Zeitung).  
  
 
 
Schlappe für britische Regierung
Im parlamentarischen Streit um die Reform des Higher Education and Research Bill hat die britische Regierung einen empfindlichen Rückschlag erlitten (Guardian, Herald, THE). Das House of Lords schloss sich mehrheitlich den Kritikern an, die in dem Gesetz einen Angriff auf die Hochschulautonomie sehen. Dazu gehören allen voran die britischen Universitäten. Die vom Oberhaus geforderten Änderungen umfassen viele Seiten und dokumentieren das zähe Ringen um einen Konsens. Die grundsätzlichen Problemlinien des Entwurfs hat Andrew Gunn, Experte für Hochschulpolitik, in einem lesenswerten Beitrag analysiert. Mittlerweile verschärft sich auch der Ton in der Auseinandersetzung. So wirft  Wissenschaftsminister Jo Johnson den Universitäten vor, ihren Widerstand gegen die Reform wie Rädelsführer kartellartig organisiert zu haben (Telegraph).
  
 
 
Markendebatte in Österreich
Freunde eines differenzierten Hochschulsystems sollten in diesen Wochen nach Österreich schauen, wo gerade eine Grundsatzdebatte zu den verschiedenen Hochschultypen beginnt. Wie in Deutschland gibt es in Österreich Universitäten, Fachhochschulen, Pädagogische Hochschulen, Privathochschulen und Privatuniversitäten. Nur: Wie unterscheiden sie sich genau voneinander? Was macht ihre Marke aus? Und: Steckt dort, wo Uni drauf steht, auch genügend Uni drin? Angestoßen hatte die Diskussion der österreichische Wissenschaftsrat mit einer Empfehlung zu Privatuniversitäten, die es in sich hat. So machte das Expertengremium nicht nur eine mangelhafte Qualität an österreichischen Privatunis aus, sondern nahm auch gleich die Politik in die Pflicht (Standard, Salzburger Nachrichten). Wiens Regierung soll demnach die Qualitätssicherungsysteme schärfen und Mindeststandards für Privathochschulen und Privatuniversitäten gesetzlich festlegen. Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner wies die Kritik jetzt zurück und plädierte für eine Gesamtstrategie zur Struktur des Hochschulraums (Standard).
  
 
 
Lehrerbildung: Stuttgart bekennt sich zu PHs
Aufatmen bei den Pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg: Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat sich nach einer Krisensitzung des Kabinetts zum Wochenbeginn mit externen Bildungsexperten eindeutig für den Erhalt der Hochschulen in Karlsruhe, Schwäbisch Gmünd und Weingarten ausgesprochen (Südwest Presse, News4teachers). Bemerkenswert ist die Nachricht aus Stuttgart vor dem Hintergrund der IQB-Schulstudie vom vergangenen Herbst, bei dem der Südwesten dramatisch abgestürzt war. Seitdem wird nach Ursachen und Lösungswegen gesucht. Die Schließungsängste resultieren aus einer Anhörung von Experten in der CDU-Fraktion, nach der Vorschläge zu einer umfassenden Standortprüfung durchgesickert waren (Rhein-Neckar-Zeitung). Ob und in welcher Form die Lehrerausbildung im Südwesten tatsächlich umstrukturiert wird, soll bis Sommer geklärt werden. Insgesamt gibt es in Baden-Württemberg sechs bildungswissenschaftliche Hochschulen.
  
 
 
DGJ: Zwischenevaluation sind aufwändig und intransparent
Die erste Professur bringt Feierlaune. Sekt! Die Uni freut sich auch, wieder eine Berufung eingetütet. Kann losgehen! Für die deutschlandweit rund 1600 Juniorprofs folgt das Unbehagen allerdings auf dem Fuße. Nach drei Jahren werden sie zwischenevaluiert. Doch: Was an der eigenen Arbeit eigentlich bewertet wird, wissen viele nicht. Sie sitzen in der Karriere-Black-Box. Herausgefunden hat das die Deutsche Gesellschaft Juniorprofessur (DGJ) in einer Umfrage unter 501 Juniorprofessoren, die der ZEIT exklusiv vorliegt. Nur 36 Prozent halten die Kriterien, nach denen sie evaluiert wurden, für transparent; nur 15 Prozent waren überhaupt daran beteiligt, ihre eigenen Evaluationskriterien auszuhandeln. Die Hälfte kennt nicht einmal die entsprechenden Richtlinien ihrer Universität. Beide Seiten orientieren sich an gefühlten Großkriterien: Publikationen (sehr wichtig), Drittmittel (wichtig), Lehre (unwichtig). Aber müsste nicht, wer ein Labor aufbaut, anders evaluiert werden als diejenige, die eine Monografie verfasst? "Die Fachbereiche müssen spezifische Kriterien und Zielgrößen festlegen und diese vor Stellenantritt klar kommunizieren. Und die Juniorprofessoren und -professorinnen müssen das einfordern",, sagt denn auch Jens Pöppelbuß vom DGJ-Vorstand. Oder ist die Zwischenevaluation ohnehin zu aufwändig, wie ein knappes Viertel der Befragten meint? 99 Prozent der Zwischenevaluationen fallen positiv aus. Aufwändig verteilte Fleißkärtchen für alle. Ideal wäre eine echte Strategieänderung: Statt kurzatmigem Zwischenzeugnis eine Endbegutachtung nach sechs Jahren. Dann Entfristung. Dann Champagner. Man nennt es: Tenure Track. – Hier geht es zu den detaillierten Umfrageergebnissen.
 
  
   
 
 
   
 
   
   
 
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Wissenschaft trauert um Zygmunt Baumann
Der polnisch-britische Geisteswissenschaftler Zygmunt Bauman ist tot. Als Stimme für die Armen der globalisierten Welt und Wegbereiter der Postmoderne fand der Philosoph und Soziologe weltweit Beachtung. Baumann lehrte von 1971 bis 1991 an der Universität Leeds. 1925 in Polen geboren, floh er zusammen mit seiner jüdischen Familie im Zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion. Erst nach dem Krieg konnte Baumann studieren. Von 1964 an leitete er das soziologische Seminar an der Universität Warschau, verlor seinen Lehrstuhl vier Jahre später als Sanktion im Zuge der Studentenproteste und ging nach Israel, wo er sich als Professor an der Universität Haifa für Palästinenser einsetzte. Bis kurz vor seinem Tod erhob Zygmunt Baumann seine Stimme. Vergangenen November befasste er sich in einem Essay mit „Migration und Panikmache“ (Deutschlandfunk). Baumann wurde 91 Jahre alt (New York Times, ZEIT).
 
Xi Jinping ehrt Kohse-Höinghaus
Chinas Staatspräsident Xi Jinping hat die Bielefelder Chemikerin Katharina Kohse-Höinghaus mit der höchsten chinesischen Auszeichnung für internationale Wissenschaftskooperationen geehrt. Kohse-Höinghaus ist Expertin für die effektive Nutzung von Energie und eine möglichst schadstoffarme Verbrennung. China sucht dringend nach einer Lösung seines Smog-Problems. Im September 2016 trat Peking dem UN-Klimaschutzabkommen bei, in dem sich Länder weltweit verpflichten, ihren CO2-Ausstoß zu senken. Kohse-Höinghaus ist als Wissenschaftlerin bereits vielfach ausgezeichnet und wissenschaftspolitisch engagiert. 2012 wurde sie in den Wissenschaftsrat berufen. Im gleichen Jahr unterlag die heute 65-Jährige bei den Wahlen zur DFG-Präsidentschaft Peter Strohschneider.
 
In eigener Sache: Neues vom CHANCEN-Team
Zum Jahresbeginn ein paar Personalia auch aus unseren eigenen Reihen. Zwei Neuzugänge: Johanna Schoener (bisher bei der KinderZEIT) sowie Anna-Lena Scholz (bisher Autorin beim ZEIT CHANCEN BRIEF) sind jetzt Redakteurinnen im CHANCEN-Ressort der ZEIT. Und Jeannette Otto, seit langem CHANCEN-Redakteurin, ist nun Stellvertreterin von Ressortleiter Manuel Hartung; sie vertritt Rudi Novotny, der in Elternzeit ist (und sich im aktuellen Video seiner Kolumne Work-Love-Balance verabschiedet).
 
Job: Wissenschaftstheorie in Tübingen
Achtung, liebe Geisteswissenschaftler, eine Rarität: An der Universität Tübingen ist eine W-3 Professur für Theorie und Wissenschaftsgeschichte ist zu besetzen. Aktuell steht die Wissenschaftstheorie noch auf der roten Liste kleiner Fächer. Mehr solcher Ausschreibungen, und das Fach wäre aus der Gefahrenzone.

 
   
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Prof. Dr. Stefanie Molthagen-Schnöring

Professorin für Wirtschaftskommunikation an der HTW Berlin, Studiendekanin, Vertrauensdozentin der Studienstiftung des deutschen Volkes, Mit-Initiatorin des VOLKER, eines Demokratiewettbewerbs für Studierende
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
Wir müssen raus aus unserem bequemen Leben und für Werte eintreten, dank derer wir bisher so bequem gelebt haben. 

Die aktuell größte Fehlinvestition der Wissenschaftslandschaft?
Investitionen in Akkreditierungen und Evaluationen, die lediglich als Bestätigungsmechanismus funktionieren und nicht zu wirklichen Veränderungen führen.

Lektüre muss sein. Welche?
„Princeton 66 – Die abenteuerliche Reise der Gruppe 47“ von Jörg Magenau, weil lange nicht mehr so unterhaltsam über den Literaturbetrieb geschrieben wurde.
„Zwei Herren am Strand“ von Michael Köhlmeier, weil hier Tragik und Komik so eng beieinander liegen.

Und sonst so?
Neues Jahr, neues Glück!
   
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
   
   
 
Gastkommentar
 
 
   
   
von Christian Gogolin, Lídia del Rio und Marcus Huber
   
   
Wie wir unsere eigene Zeitschrift schufen
„It’s so very broken“, brachte neulich die Open Access-Aktivistin Rachel Dunlop den Zustand des wissenschaftlichen Publikationswesens auf den Punkt. Der negative Einfluss der Gewinnoptimierung auf die Qualität des Peer-Review Prozesses, die Behinderung freien Informationsaustauschs durch hohe Publikations- und Abonnementkosten, sowie die zuweilen mangelhafte Arbeit beim Setzen von Artikeln sorgen nicht nur für Unmut in der Science Community, sie führen auch zu handfesten Konflikten, wie etwa die Verhandlungen um bundesweite Lizenzverträge der Allianz der Wissenschaftsorganisationen zeigen. 
Anfang 2016 haben wir – ein kleines Wissenschaftlergrüppchen im Feld der Quantenwissenschaften – beschlossen, selbst etwas zu unternehmen und eine eigene Fachzeitschrift aufzubauen.
Mit „Quantum – the open journal for quantum science“ haben wir für die Community ein non-profit, open-access Journal geschaffen, welches nicht nur qualitativ hochwertige Wissenschaft publizieren wird, sondern auch hohe moralische Standards hat. Wir wollen zeigen, dass die Community eigenständig Selektion, Qualitätssicherung und Präsentation wissenschaftlicher Arbeiten organisieren kann, und das zu einem Bruchteil der üblichen Kosten. Dies sind die einzigen verbleibenden Funktionen wissenschaftlicher Journale, seit die Verbreitung von Ergebnissen in den Quantenwissenschaften ohnehin praktisch vollständig über den preprint Server arXiv abgewickelt wird.
Wie funktioniert’s? Quantum ist selektiv und wendet ein rigoroses Peer-Review Verfahren an; die Selektionskriterien sind Korrektheit, Signifikanz und Klarheit; der geschätzte Impact wird außer Acht gelassen. Quantum ist kostenlos für Leser und hat lediglich freiwillige Publikationsgebühren für Autoren. Quantum wird von der Community mitgestaltet (alle Ämter sind Ehrenämter, die Editoren sind Experten auf ihrem Feld, regelmäßige Community-Konsultationen finden statt). Wichtige Entscheidungen fällt ein internationales Steering Board, Träger ist ein eingetragener Verein. Quantum ist ein arXiv overlay journal – es unterstützt die Autoren beim Setzen ihrer Artikel, druckt, vertreibt und setzt diese jedoch nicht selbst, was radikal die Kosten senkt und den Publikationsprozess beschleunigt.
Die Reaktion der Community auf diese neue Initiative ist überwältigend. Auf den Call for Editors erhielten wir 136 Bewerbungen, größtenteils von sehr qualifizierten Wissenschaftlern, und in den ersten zwei Wochen nach dem Launch über zwanzig Manuskripte.
Wir glauben: Was wir können, können Sie auch, liebe Forscherkolleginnen und -kollegen. Nachahmung erwünscht!

Christian Gogolin ist Marie Curie Fellow am Institute of Photonic Sciences in Barcelona; Lídia del Rio ist Postdoctoral Researcher an der ETH Zürich; Marcus Huber ist Gruppenleiter am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
   
   
 
 
   
 
   
   
 
Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
Brauchen wir "Reli" noch? Religionsunterricht ist wichtiger denn je, sagt Manuel J. Hartung. An den Schulen hat Gott nichts verloren, erwidert Stefan Schmitt
Und wie soll man Religion nun lehren? Am besten, ohne die Schüler voneinander zu trennen

Jeder nach seiner Fasson Wenn es um den Glauben geht, hält jedes Bundesland etwas anderes für richtig Mitspielen wollen alle Vor zehn Jahren wurde das Elterngeld eingeführt – gedacht, um Väter einzubinden. Hier und da klappt das In der Blackbox Wonach Juniorprofessoren bewertet werden, ist unklar

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
   
   
 
c.t.
 
 
   
 
Zu kalt, zu heiß, zu trocken, zu nass?

Wenn Ihre Studierenden mal wieder über das Wetter jammern, ist das eine prima Steilvorlage für folgenden kollegialen Werbeblock: Die Hamburg Open Online University ist in einem Projekt den sogenannten Extremophilen auf der Spur. Das sind Mikroorganismen, die unter widrigsten Umständen überleben – ohne eine Spur von Miesepetrigkeit. Bei dem Projekt können alle mitmachen. Zum Einstieg sei der Persönlichkeitstest wärmstens empfohlen; er offenbart einem, was für ein extremophiler Typ man ist.
Quelle: TUHH, www.hoou.de
 
 
 
 
 
 
 
 
   
Extrem gute Erkenntnisse wünscht

Ihr CHANCEN-Team


PS: Gefällt Ihnen der CHANCEN Brief, dann leiten Sie ihn gern weiter. Haben Sie ihn weitergeleitet bekommen, melden Sie sich ganz einfach und unverbindlich an –  unter www.zeit.de/chancen-brief. Dann schicken wir Ihnen den Newsletter, solange Sie wollen, immer montags und donnerstags zu.
 
 
 
 
 
 
 
   
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