Interview mit Margret Wintermantel | Morddrohungen gegen Magdeburgs Uni-Rektor | 3½ Fragen an Alexander Gallus | Gastkommentar Peter Ullrich: Mobilisieren, statt Jammern!

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
die große Politik berührt immer auch die Universitäten und Forschungseinrichtungen. Wie geht man damit um? Berichten, mitreden, mitgestalten. In Sachen Brexit haben wir deswegen kurz mit DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel telefoniert. Peter Ullrich, der sich im „Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft“ engagiert, wirbt im Gastkommentar für eine kleine Revolution in Deutschlands Mittelbau. Und Alexander Gallus von der Uni Chemnitz lobt im Fragebogen den Dilettantismus. 
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Interview mit Margret Wintermantel
Frau Wintermantel, Sie waren vergangene Woche in Oxford im Bildungsausschuss des britischen Parlaments eingeladen, zu einer Anhörung über mögliche Folgen des Brexit für den Wissenschaftsaustausch. Erzählen Sie mal!
"Die Parlamentarier haben acht Wissenschaftler befragt, wobei ich die einzige Vertreterin aus dem Ausland war. Wir waren uns einig, dass der Brexit negative Auswirkungen auf das gesamte Wissenschaftssystem haben wird. Der europäische Hochschulraum hat sich in den letzten Jahren sehr dynamisch entwickelt und die Qualität der Forschung wurde dadurch erheblich vorangebracht. Vielfältige Forschungsprojekte, Konferenzen und Publikationen sind nicht zuletzt durch europäische Forschungsförderung wie Horizon 2020 erst möglich geworden. Wir haben bei der Anhörung darüber gesprochen, wie ein „intelligenter“ Brexit aussehen könnte, der diese Netzwerke nicht schädigt."
Vorgestern hat Theresa May allerdings in ihrem Zwölf-Punkte-Plan einen klaren Cut verkündet.
"Interessant für den Brexit ist aber Punkt 10, in dem sie UK als „The best place for science and innovation“ bezeichnet. Hier meint sie, dass Vereinbarungen für Forschungskooperationen mit EU-Partnern fortgesetzt werden sollen. Es geht auch nicht anders, wenn Großbritannien ein Top-Wissenschaftsstandort bleiben soll."
Hören die britische und deutsche Politik auf die Stimmen aus der Wissenschaft?
"Die Themen Binnenmarkt, Freizügigkeit und Migration werden offenbar prioritär behandelt. Der Bildungsausschuss des britischen Parlaments sieht jedoch auch, wie wichtig der europäische Zusammenhalt in der Wissenschaft und der akademischen Ausbildung ist. Ich fürchte allerdings, dass die Wissenschaft nicht die Aufmerksamkeit erhält, die sie haben müsste. Europa ist auf die Kooperation und die Mobilität der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler angewiesen." – Am anderen Ende der Leitung saß Anna-Lena Scholz
  
 
 
Morddrohungen gegen Strackeljan
An der Universität Magdeburg kam es vergangen Woche zu Tumulten bei einer Veranstaltung der Studierendenorganisation der AfD, „Campus Alternative“ (CHANCEN Brief vom 16.01.; Deutschlandfunk). Der Volksstimme gab Rektor Jens Strackeljan dazu ein Interview und sagte, das „Recht des friedlichen Widerstandes und der Meinungsäußerung besteht natürlich uneingeschränkt“ und „Polizei auf dem Campus Gelände“ sei „die Ultima Ratio“. Die Uni sei „Teil der Gesellschaft Sachsen-Anhalts, und es soll nicht der Eindruck entstehen, dass wir uns in ein Paralleluniversum abkoppeln. Natürlich werde ich auch weiter mit Vertretern der AfD über wissenschaftliche Themen oder die Hochschulfinanzierung sprechen und auch den Wählern verdeutlichen, dass Investitionen in Hochschulbildung sinnvoll und notwendig sind. In der Uni werden wir sehr schnell eine Veranstaltung zu unserer Rolle in der politischen Meinungsbildung ansetzen. […] Ganz klar ist: Wir sind eine weltoffene und tolerante Universität, die einen Diskurs ermöglicht.“ Strackeljan erhielt nach der Veranstaltung Morddrohungen aus dem linken wie rechten Spektrum; auch Dekan Michael Dick erreichten beleidigende Nachrichten. (SZ; MDR)
  
 
 
Schweiz will „Trump-Effekt“ nutzen
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den USA sehen den Jahren unter Donald Trump mit Bauchschmerzen entgegen; viele fürchten die Einschränkung ihrer Forschungsfreiheit und ein schwieriges politisches Klima auf dem Campus. Wer eine echte Top-Forscherin ist, renommiert und international vernetzt, kann abwandern. Zum Beispiel in die Schweiz. Dort wollen die Universitäten den „Trump-Effekt“ nutzen und betreiben aktives Headhunting, wie in der Schweizer Handelszeitung zu lesen ist. Michael Hengartner, Rektor der Universität Zürich und Präsident der Schweizer Hochschulen, sagte, man werde die passenden Leute suchen und anschreiben. Auch Kanada verzeichne ein sprunghaft angestiegenes Interesse an Wissenschaftlern und Studierenden; an der Universität Toronto gebe es unter US-Bewerbern einen Anstieg von 70 Prozent gegenüber dem Vorjahr. – Über die Anhörung der künftigen US-Bildungsministerin, Betsy DeVos, berichtet die Washington Post.
  
 
 
Neues aus dem Humboldt-Kosmos
Nicht immer ist Humboldt drin, wo Humboldt draufsteht. Oder jedenfalls versammelt sich ein ganzes Potpourri an Themen unter diesem Namen. Als da wären: 1. Die Humboldt Universität entlässt Andrej Holm, der dort seit 2011 Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Stadt- und Regionalsoziologie ist, nachdem dieser einer Entlassung als Bau-Staatssekretär durch Michael Müller mit einem Rücktritt schon zuvorgekommen war. Jetzt hat er weder Amt und noch Job. HU-Präsidentin Sabine Kunst sagte gestern in ihrer Stellungnahme, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses begründe sich nicht durch Holms Tätigkeit für das MfS, sondern beruhe „einzig darauf, dass Herr Dr. Holm die HU hinsichtlich seiner Biographie getäuscht und auch an dem wiederholt vorgebrachten Argument der Erinnerungslücken festgehalten hat“. Holm kündigte eine Klage beim Arbeitsgericht an. (Tagesspiegel) Was die Causa Holm mit der Geschichtswissenschaft zu tun hat, schreibt Marion Detjen auf ZEIT ONLINE. – 2. Die Digitalisate von (Alexander von) Humboldts Reisetagebüchern haben wir Ihnen schon im c.t. des letzten CHANCEN Briefs präsentiert; im Tagesspiegel erklärt die Kunsthistoriker Bénédicte Savoy, wie Humboldt „zu einer Art Jeanne d’Arc des wiedervereinigten Deutschlands“ wurde. – 3. Allen, die sich mit Verve in die Debatte um das Berliner Humboldt Forum werfen wollen, legen wir zur Inspiration diese zwei Beträge aus der ZEIT ans Herz: HU-Rechtswissenschaftler Christoph Möllers erträumt sich das Humboldt Forum als „Akademie demokratischer Rechtsstaatlichkeit“, die von Bund und Berliner Forschungseinrichtungen würde; und Robert Hasse, Geschäftsführer der START-Stiftung, findet: ins Schloss gehört eine „Schule für alle“.  
  
 
 
Erodierendes Wissen und Streit um die Krise der Wahrheit
Die DFG hat zum Neujahrsempfang geladen, und Peter Strohschneider hielt eine Hauruck-Rede darüber, warum für die „Gesellschaft der Wissenschaft“ gestritten werden müsse. Es mache sich eine „Vulgarisierung des Sozialen breit, die den gelassenen Pluralismus der liberalen Gesellschaft und ihre Integration in öffentlichem Diskurs und rationaler Streitkultur selbst gefährdet“. Zudem „erodieren die Bestände verbindlich geteilten Wissens“, sagte Strohschneider, und sprach mit Bernhard Pörksen von „einer ernsten Wahrheitskrise“, auf welche die Wissenschaft mit einer Vertrauensgewinnungsoffensive reagieren müsse. Lohnt sich, im Ganzen nachzulesen, übrigens auch Pörksens Essay über die „Postfaktische Universität“ – erschienen bei uns in der ZEIT (52/2016).
  
 
 
 
   
   
   
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Personen
 
 
   
   
Neue Kanzlerinnen
Die Hochschule Trier hat eine neue Kanzlerin: Claudia Hornig, die seit 1993 an der Hochschule tätig ist. Sie folgt auf Detlef Jahn, der bereits 2015 nach sechzehn Jahren im Amt verabschiedet wurde. Und auch die Universität Kiel hat jetzt eine Frau auf diesem Posten, die studierte Kultur- und Verwaltungswissenschaftlerin Claudia Ricarda Meyer.

Jung & erfolgreich
Peter Scholze bricht einen Wissenschaftsrekord nach dem anderen (jüngster Professor mit 24 an der Uni Bonn; jüngster Akademie- und Leibnizpreisträgerpreisträger). Jetzt hat die Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz den Mathematiker als neues – und, genau: jüngstes – Mitglied aufgenommen. Chapeau.

Ausschreibung: AGYA
Die BMBF-geförderte Arab-German Young Academy of Sciences and Humanities (AGYA), die den deutsch-arabischen Forschungsdialog fördern soll, sucht neue Mitglieder. Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Disziplinen, die akademisch bilateral angebunden sind, können sich bewerben. Deadline: 2. April.

Jobs: Hochschulverwaltung
Wer sein aktives Forscherleben hinter sich lassen und sich eher den strategischen Fragen der Wissenschaft widmen will, wird wie immer im aktuellen ZEIT-Stellenmarkt fündig: Sie könnten zum Beispiel Präsidentin der Technischen Hochschule Wildau werden, Pressesprecherin des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena, oder Referent für Internationale Angelegenheiten bei der HRK. Take your pick!
   
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Prof. Dr. Alexander Gallus

Lehrt Zeit- und Ideengeschichte an der Technischen Universität Chemnitz; als passionierter Unkrautgärtner Selbstnominierung für den noch zu stiftenden Peter-Lustig-Gedächtnispreis
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
Eher eine schon länger anhaltende Beobachtung: die ausgeprägte Revolutionslethargie in der Geschichtskultur, aber auch unter Historikern des Landes. Das gilt insbesondere für die Umbrüche von 1918/19. Mit dieser aufregenden Zeit voller Hoffnungen, Erwartungen und Enttäuschungen beschäftige ich mich derzeit intensiver, auch um die Erfahrungsgeschichte der Zeitgenossen zur Geltung kommen zu lassen. Anders – frei nach Erich Mühsam – ausgedrückt: Ich gehe im Revoluzzerschritt mit den Lampenputzern und Revoluzzern von 1918/19 mit.

Die aktuell größte Fehlinvestition der Wissenschaftslandschaft?
Die Adaption von Standards in den Geisteswissenschaften, die nicht zu ihnen passen: so die Forschung in Verbünden, Clustern und Kollegs, die zu Stromlinienförmigkeit angesichts vorgegebener Leitparadigmen verleitet, anstelle von kreativen Kleinprojekten. Hinzu kommt eine zunehmende Geringschätzung von Buchveröffentlichungen gegenüber Journalbeiträgen, die sich freilich besser dem Wunsch nach Auszählung für allermögliche Indizes fügen.

Lektüre muss sein. Welche?
Unbedingt Vladmir Nabokovs „Pnin“: Es ist die so komische wie tragische Geschichte rund um den kauzigen Collegeprofessor Pnin und zugleich ein Lehrstück von zeitloser Schönheit über Heimat und Heimatlosigkeit.

Und sonst so?
Ein Lob des Dilettantismus! Bleiben wir doch sonst, wie der große Schweizer Kulturhistoriker Jacob Burckhardt am Beginn des wissenschaftlichen Zeitalters einmal bemerkte, in allem, was über das Spezialistentum hinausgeht, Ignoranten und unter Umständen grobe Gesellen.
   
   
 
 
   
 
 
   
   
   
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Gastkommentar
 
 
   
   
von Peter Ullrich
   
   
Mobilisieren, statt jammern!
Am 21. Januar wird in Leipzig ein neuer hochschulpolitischer Akteur die Bühne betreten. Mit dem „Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft“ soll den zum ewigen Nachwuchs infantilisierten Beschäftigtengruppen des „Mittelbaus“ – von „Hilfskräften“ bis Juniorprofessor*innen – eine bundesweite Stimme verliehen werden.
Das klingt nicht sonderlich aufregend – und doch ist es eine kleine Revolution. Im feudalen Ständesystem Hochschule haben verschiedene Gruppen ihre Sprachrohre. Die HRK spricht für die Fürst*innen, der Hochschullehrerverband für den sonstigen Adel, und der FZS für die ohnehin extrem heterogenen Studierenden. Doch wer spricht für die große Gruppe der mehr oder weniger prekären wissenschaftlich Tätigen, den, wenn man so will, „Dritten Stand“?
Über diese Gruppe wird viel gesprochen, ihr Lamento ist in den Feuilletons angekommen: in einer Wissensgesellschaft sei es ein Skandal, dass die tragenden Säulen unter miserablen Bedingungen beschäftigt sind, mit unsicheren Berufsperspektiven, viel unbezahlter Arbeit, Familienunvereinbarkeit, verschärftester Konkurrenz, Stress und Exzellenzwahn.
Doch wo bleibt das Aufbegehren der sich fleißig Beschwerenden? Es gibt einige engagierte gewerkschaftliche Akteure und vielleicht zwei Dutzend „Mittelbauinitiativen“ in Hochschulen und Fachgesellschaften. Aber – noch – ist deren Konfliktfähigkeit und -aktivität begrenzt. Das liegt an den Beschäftigungsbedingungen selbst, der mit feudalen Abhängigkeiten gepaarten prekär-mobilen Extremkonkurrenz im akademischen Kapitalismus. Es liegt aber auch an den illusionären Subjektivitäten der Betroffenen. Der Schritt vom Jammern zum Mobilisieren fällt ihnen noch schwerer als gut versorgten deutschen Beamt*innen. Vielen erscheint es aussichtsreicher, doch noch schnell irgendein Paper dem CV hinzuzufügen, als sich auf wirkliches Engagement einzulassen, und sei es noch so niedrigschwellig.
Doch spätestens nach dem letzten Reförmchen am WissZeitVG ist klar: Wenn der Mittelbau nicht selber Stopp sagt, sondern weiter seinen Illusionen hinterherjagt, wird sich nichts ändern. Er muss endlich eine echte Konfliktfähigkeit entwickeln. Im Klartext: streikfähig werden. Die Lufthansa-Pilot*innen und GDL-Lokführer*innen könnten dem akademischen Mittelbau ein Vorbild sein. In Leipzig wird sich zeigen, ob der längst überfällige wichtige Schritt gelingt, Sichtbarkeit, Sprechfähigkeit für sich selbst und bundesweite Vernetzung herzustellen. Organisieren wir uns endlich!

Dr. phil. Dr. rer. med Peter Ullrich leitet den Bereich „Soziale Bewegungen, Technik, Konflikte“ am „Zentrum Technik und Gesellschaft“ der TU Berlin und ist Fellow beim dortigen Zentrum für Antisemitismusforschung und am Institut für Protest- und Bewegungsforschung. Er engagiert sich im „Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft“
   
   
 
 
   
 
   
   
 
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Der verflixte rote Faden Ausgerechnet in der Lebensmitte wagen viele den beruflichen Neustart. Eine Geschichte über mutige Entscheidungen

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