Fünf vor 8:00: Im Weißen Haus regiert der Wahnsinn - Die Morgenkolumne heute von Matthias Naß

 
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 FÜNF VOR 8:00
01.02.2017
 
 
 
 


 
Im Weißen Haus regiert der Wahnsinn
 
Donald Trump reißt in den Beziehungen Amerikas zur muslimischen Welt wieder ein, was Barack Obama mühsam repariert hatte. 
VON MATTHIAS NASS

Wie lange dauert es, die Welt ins Chaos zu stürzen? Donald Trump, so scheint es, schafft das in zehn Tagen. Bizarrer, bedrohlicher hat seit Menschengedenken keine US-Präsidentschaft begonnen. Was immer ihm sein Vorgänger Barack Obama hinterlassen hat – Trump haut es in Stücke. Und das Ansehen Amerikas gleich mit.

Seine bisher wildeste Entscheidung: Die Anordnung zum "Schutz der Nation vor dem Eindringen ausländischen Terrorismus in die Vereinigten Staaten" – vulgo: der Moslembann

Dass er mit seinem Einreiseverbot für die Bürger von sieben muslimisch geprägten Staaten Familien auseinanderreißt, dass er Mitarbeiter amerikanischer Unternehmen, Wissenschaftler, Künstler und Sportler aussperrt – was kümmert's ihn.

Die Bundeskanzlerin, immerhin, geht auf Distanz. "Der notwendige und auch entschiedene Kampf gegen den Terrorismus rechtfertigt in keiner Weise einen Generalverdacht gegen Menschen bestimmten Glaubens, in diesem Fall Menschen muslimischen Glaubens, oder Menschen einer bestimmten Herkunft."

Merkel und Trudeau

Angela Merkel gibt nicht, wie Theresa May bei ihrem Antrittsbesuch in Washington, den Pudel. Auch auf ein paar andere Politiker kann man sich verlassen in dieser schweren Vertrauenskrise, in die der neue US-Präsident den Westen ohne jede Not, aber mit viel Wut stürzt.

Zu ihnen gehört Kanadas Premier Justin Trudeau. Er reagierte auf Trumps Einreisestopp für Muslime mit dem Bekenntnis: "An jene, die vor Verfolgung, Terror und Krieg fliehen: Kanada wird Sie willkommen heißen, unabhängig von Ihrem Glauben. Vielfalt ist unsere Stärke." Dass aber auch sein Land nicht gegen den Hass gefeit ist, zeigte sich zwei Tage später, als in der Stadt Québec ein Attentäter sechs Menschen in einer Moschee erschoss.

Im Augenblick ist es der nördliche Nachbar der USA, der Amerikas stolze Tradition verteidigt. Am Fuße der New Yorker Freiheitsstatue stehen auf einer Bronzetafel noch immer die Worte: "Give me your tired, your poor / Your huddled masses yearning to breathe free (Gebt mir eure Müden, eure Armen / Eure bedrängten Massen, die sich danach sehnen, frei zu atmen)". Aber am Holocaustgedenktag des Jahres 2017 schlägt Donald Trump den Flüchtlingen aus Syrien die Tür vor der Nase zu.

Barack Obama hatte sich bei seinem Amtsantritt der muslimischen Welt zugewandt. Er hatte begriffen, dass Feindschaft mit der zweitgrößten Religionsgemeinschaft, mit 1,6 Milliarden Menschen, die Welt an den Abgrund führen würde. Deshalb versprach er in seiner großen Rede im Juni 2009 an der Universität Kairo, einen "Neubeginn" zwischen den Vereinigten Staaten und den Moslems in aller Welt versuchen zu wollen.

Nun schürt Donald Trump wieder das Feuer. Er belässt es ja nicht nur bei den Einreiseverboten. Er hält am Gefangenenlager Guantanamo fest. Er will der CIA erlauben, wieder "black sites" einzurichten, geheime Gefängnisse irgendwo auf der Welt, wo kein Recht die Häftlinge schützt.
Und er sagt unverhohlen, dass er mit Folter keine Probleme hat. Waterboarding? Na klar! Gern auch härtere Methoden.

Die Dummheit dieses Präsidenten schreit zum Himmel. Und immer mehr Amerikaner wollen sie nicht dulden. Richter setzen Trumps Erlass teilweise außer Kraft. Einzelne Bundesstaaten fechten ihn an. Unternehmen stellen sich schützend vor ihre Mitarbeiter aus den betroffenen sieben Staaten. Vor allem aber gehen immer mehr Menschen auf die Straße. Es ist ein lauter, unerschrockener, fantasievoller Protest.

Republikaner schweigen

Nur von den moderaten Republikanern hört man wenig, die sich doch eigentlich in Grund und Boden schämen müssten. Doch sie kuschen und schweigen. So sad!

Dennoch gibt es keinen Grund, den Glauben an das andere, das anständige Amerika zu verlieren. Navid Kermani, der deutsch-iranische Schriftsteller, der Anfang Dezember im Hamburger Schauspielhaus mit dem Marion Dönhoff Preis ausgezeichnet wurde, hat in seiner Dankesrede dieses Amerika besungen, von dem seine Generation "die Freiheit gelernt" habe.

"Denn das genau", sagte Kermani, "war das Große und Vorbildhafte an Amerika – dass es sich selbst widersprechen konnte, dass es selbst seine entschiedensten Kritiker hervorgebracht hat, dass Amerika immer auch das Gegenteil von Amerika war und es mehr als jede andere Nation über Selbstheilungskräfte zu verfügen schien."

Dieser wunderbare Autor darf derzeit nicht nach Amerika reisen, denn er hat neben dem deutschen auch einen iranischen Pass.


 
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