Nein, das liberale Amerika kapituliert nicht einfach. Es widerspricht dem neuen Präsidenten, am vergangenen Samstag schon mit mehr als einer Million Stimmen. Und es scheint, als wäre dies erst der Anfang gewesen.
Vor allem die Frauen sind am Tag nach der Amtseinführung von Donald Trump auf die Straße gegangen, beim Marsch auf Washington und bei den Demonstrationen in vielen anderen amerikanischen Städten. Mütter, die schon gegen Richard Nixon und den Vietnamkrieg demonstriert hatten, kamen mit ihren Töchtern. Dieses selbstbewusste Amerika bleibt unser Verbündeter. Ihm gilt unsere Solidarität.
Trumps Antrittsrede war purer, aggressiver Populismus. "Wir nehmen die Macht von Washington, D.C. und geben sie an euch, das Volk, zurück." Weiter: "Der 20. Januar 2017 wird als Tag in der Erinnerung bleiben, an dem das Volk wieder zu den Herrschern dieser Nation wurde." Dazu als Leitmotiv das chauvinistische "Amerika zuerst! Amerika zuerst!".
Nie hat ein frisch vereidigter Präsident so gesprochen. So anmaßend. So hasserfüllt. So primitiv. Viele Amerikaner fühlen sich wie Fremde im eigenen Land. Zur Demokratie, zum Schutz von Bürger- und Minderheitenrechten sagte ihr neuer Präsident kein Wort. Schon gar nichts zur Verantwortung der USA in der Welt. Ein Hort der Freiheit daheim und eine Schutzmacht für die Bedrängten in aller Welt: Man mag das für sentimentale Propaganda halten, aber so hat sich die Nation bisher begriffen. Und so verstehen viele Amerikas Verantwortung bis heute. Welches Land sollte denn an seine Stelle treten?
Manche Blicke richten sich jetzt auf Europa. Und da besonders auf Deutschland und seine Bundeskanzlerin. So schrieb der ehemalige US-Botschafter John Kornblum in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: "Für die meisten in Europa und in Amerika gibt es nur ein Land, das in Europa und transatlantisch eine konsequente Alternative zum Populismus durchsetzen kann. Es gibt nur ein Land und eine führende Persönlichkeit, die dieser Aufgabe gerecht werden: Deutschland und Angela Merkel."
Die Kanzlerin hat überzogene Erwartungen fast erschrocken abgewehrt. Etwa als die New York Times sie als die "letzte Verteidigerin des freien Westens" rühmte. "Grotesk und absurd" sei das, erwiderte sie und hatte damit recht. Aber die Hymnen aus dem Ausland verstummen nicht, die ihr eine besondere Rolle in der Verteidigung der liberalen internationalen Ordnung zuschreiben.
So applaudierte ihr die Financial Times in einem Leitartikel, weil Merkel den "Kampf für Demokratie, freien Handel und offene Gesellschaften" aufgenommen habe und den Nationalisten Trump, Putin und Orbán nicht das Feld überlasse. "Es ist sicherlich ein historischer Moment, wenn eine deutsche Kanzlerin eine solche Rolle übernimmt", schrieb das Londoner Blatt. "Sieben Jahrzehnte nach der Zerstörung Nazideutschlands ist Berlin erneut in der Lage über eine globale Führung nachzudenken, wenn auch vorsichtig."
Na ja, darüber denkt in Berlin in Wahrheit niemand nach. Glücklicherweise. Die deutschen Politiker, nicht zuletzt der scheidende Bundespräsident, sprechen zwar häufiger von einer wachsenden Verantwortung, die das Land wahrzunehmen habe. Aber "Führung" strebt Deutschland nicht an, in Europa nicht und schon gar nicht global.
Wohl aber so etwas wie eine Politik des guten Beispiels. Etwa bei der Aufnahme von Flüchtlingen. In der Energiepolitik oder beim Klimaschutz. Und selbst dafür gibt es genauso viel Prügel wie Beifall. Also bleibt die deutsche Politik auf der internationalen Bühne hübsch bescheiden. Was sie aber offenbar umso sympathischer macht. Es ruhen Hoffnungen auf unserem Land, es wäre falsch, dies zu leugnen.
Wie können wir helfen?
Einen Monat nach der US-Wahl besuchte eine Gruppe junger amerikanischer Akademiker, allesamt von Eliteuniversitäten und führenden Thinktanks, die Redaktion der ZEIT. Natürlich ging es um Trump und die Folgen.
Eine Nachwuchswissenschaftlerin aus Harvard berichtete, wie sehr der Wahlkampf das Klima vergiftet habe. Ausländische Studenten, vor allem aus islamischen Ländern, hätten Angst, abgeschoben zu werden. Schwarze fürchteten sich vor gewaltsamen Übergriffen. Schließlich sagte sie einen Satz, der mir seither nicht aus dem Kopf will: "Ihr müsst uns helfen." Dann brach sie in Tränen aus.
Es gibt diese Angst in Amerika und selbst wenn man sie für übertrieben hält, sollte man sie nicht hysterisch nennen. Donald Trump hat jedenfalls bisher nichts dafür getan, sie zu zerstreuen. Seine furchtbare Rede auf den Stufen des Kapitols hat die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft weiter vertieft.
Wie können wir helfen? Können wir überhaupt helfen? Vielleicht am besten, indem wir uns mit denjenigen Amerikanern solidarisch zeigen, die sich Trumps Kränkungen nicht bieten lassen. Indem wir praktizieren, was wir vor siebzig Jahren ja erst wieder – nicht zuletzt von den Amerikanern – lernen mussten: Menschenrechts- und Minderheitenschutz, Weltoffenheit, Stärkung von Meinungs- und Pressefreiheit (auch gegen "alternative Fakten"), Respekt vor den Ansichten der anderen und würdevoller Umgang mit den Institutionen und den Repräsentanten unserer Demokratie.
Nichts davon ist in den Vereinigten Staaten auf Dauer verloren gegangen. Trump tut alles dafür, dass bei der nächsten Wahl das politische Pendel wieder weit zur liberalen Seite ausschlägt. Unsere wichtigste Hilfe dabei könnte der Kampf gegen den Rechtspopulismus bei uns in Europa sein. Nur gemeinsam lässt sich die neue Internationale der Nationalisten stoppen. |
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