Ein total anderes DeutschlandWas Björn Höcke in Dresden gesagt hat, ist weder neu, noch ausnahmsweise unglücklich formuliert. Es folgt dem Konzept jener Rechtsextremen im "Flügel" der AfD. VON MELY KIYAK |
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Manchmal kann ein Satz Protest und Abscheu erregen. Obwohl dieser Satz, an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit bereits ganz ähnlich formuliert wurde und dasselbe Gedankengut offenbarte.
So geschehen mit dem Thüringischen AfD-Politiker Björn Höcke, der vor wenigen Tagen über das Berliner Holocaustmahnmal als "Denkmal der Schande" sprach. Das Konzept von Deutschland als Aufarbeitungsgesellschaft und Schuldbekennungsgemeinschaft ist in der rechtsextremen Ideologie gleichbedeutend mit der Diskreditierung von Nation, Volk und Identität. Auslassung und Neuerzählung bestimmter Kapitel der deutschen Geschichte sind demzufolge auch nie rhetorische Unfälle, sondern politisches Konzept.
Björn Höcke hat gemeinsam mit seinen Parteikollegen André Poggenburg und Alexander Gauland die "Erfurter Resolution" aufgesetzt und im März 2015 erstunterzeichnet. Zu den Mitunterzeichnern gehört auch der aus der Pegida-Bewegung stammende Hans-Thomas Tillschneider, Sprecher der Patriotischen Plattform ("Wir sind keine Idioten, sondern Patrioten"). Sobald einer der drei, Höcke, Poggenburg oder Tillschneider, öffentlich besonders unter Druck gerät, leisten die anderen beiden stramm Beistand. Ihre Macht ziehen aus einer großen Anhängerschaft auf der Straße wie an der Wahlurne.
Die Inhalte der "Erfurter Resolution" markieren innerhalb der AfD eine Strömung, die unter der Bezeichnung "Der Flügel" auftritt. Sie ist ein Sammelbecken, für alles, was rechts von rechts steht. Pegida, Identitäre, Burschenschaften, Patriotische Plattform und viele mehr. Ihr Ziel ist es, ihr politisches Handeln nicht mehr "ängstlich" an dem zu orientieren "was uns Institutionen, Parteien und Medien als Spielraum zuweisen", sondern "selbst den Radius unseres Handelns abzustecken und zu erweitern".
Übersetzt heißt das, dass sich die AfD – zumindest kämpft der Flügel dafür – künftig an keine gesellschaftlichen Vereinbarungen mehr halten wird. Das Holocaustmahnmal beispielsweise ist eine gesellschaftliche Vereinbarung. Das Gedenken an die ermordeten Juden ist das Resultat einer jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit Fragen von Schuld und Verantwortung aufgrund der millionenfachen Vernichtung von Menschen im Namen von Volk und Reinheit.
Die Verabredung besteht darin, dass man nicht mehr in jeder Generation neu anfangen muss, darüber zu debattieren, ob es Auschwitz gab, oder ob es nicht doch notwendig war, dass Juden vergast wurden, und ob man das nicht doch aufrechnen könne mit der Bombardierung von Dresden oder mit den Vergewaltigungen der russischen Soldaten an deutschen Frauen. Das Ziel der Aufarbeitung ist, dass man nicht immer wieder von Neuem über Menschenrechte für religiöse und ethnische Minderheiten verhandeln muss, über den Stellenwert von Demokratie und darüber, was man unter Rassismus und Rechtsextremismus versteht und wie man als Staat darüber zu befinden hat. Die Verabredung lautet, dass man daran nicht mehr rüttelt und davon ausgehend Lehren für Gegenwart und Zukunft zieht. Und vor allem, dass man sich niemals wieder über irgendeinen Teil der Bevölkerung erhebt, ihn zum Feind erklärt und stigmatisiert und segregiert.
Nationalsozialismus als semantische Krücke
Der Flügel aber wirft alles, was in diesem Zusammenhang nach 1945 vereinbart worden ist, über Bord. Er sieht sich als Widerstandsbewegung. Und als Organisator und Gestalter der "Wende". Wohin sich Deutschland nach der "Wende" oder "Schleusenzeit", wie es im Flügelsprech heißt, hinbewegt, zeigen ein paar Ausschnitte von Björn Höckes Auftritt beim Kyffhäusertreffen letztes Jahr.
Kern der Rede ist nicht etwa die Verbesserung der Lebensbedingungen der Deutschen oder ein besseres Deutschland, sondern ein anderes Deutschland. Ein total anderes Deutschland. Der rhetorische Weg dahin ist gepflastert mit Anspielungen, Zitaten und Bildern aus dem Nationalsozialismus, dessen Vokabular wie eine semantische Krücke verwendet wird. Das Spannende am Nationalsozialismus ist für den Flügel der AfD vermutlich gar nicht der Holocaust, der in den Reden weder als Negierung noch als historische Begebenheit stattfindet. Der Völkermord wird vielmehr ausgeklammert und damit vergessen gemacht. Es geht um die Reinheit und Tapferkeit des "lieben" deutschen Volkes, die es zurückzuerlangen gilt. Ein "liebes" Volk hat natürlich auch nie willentlich Schuld auf sich geladen, sondern wurde immer verführt und manipuliert, weshalb es auch richtig geführt werden muss.
Es ist die Faszination der völkischen Ideologie, deren Grundlage immer Rassismus ist. Der Nationalist braucht zwei Dinge: einen inneren Feind, den es zu bekämpfen gilt (Zögerlichkeit, Feigheit) und einen äußeren Feind (der Jude, Moslem, Demokrat, Linke usw.), der nicht als legitimer Diskussionspartner betrachtet sondern als "artfremd" markiert wird.
So klingt sie also, die typische Flügel-Rede, gehalten von Björn Höcke im vergangenen Sommer:
Der Flügel ist ein Garant dafür, dass diese Partei immer weiß, und eingedenk dessen auch lebt und handelt, dass sie die letzte revolutionäre Chance unseres lieben Vaterlandes ist.
Das Kyffhäuserdenkmal wurde auf der Ruine der alten Reichsburg Kyffhausen gebaut, die zeitlich fast 1.000 Jahre zurückgeht. Eine Wanderung um diesen Berg ist eine Wanderung durch eine über 1.000-jährige Geschichte!
In der Höhle des Kyffhäuserberges schläft ein Kaiser. Und wenn die Not am größten ist, wird er erwachen und des Reiches Herrlichkeit wiederherstellen.
Innere Kraft aus Mythen zu schöpfen ist in Wendezeiten immer hilfreich gewesen. Und wir leben zweifellos wieder in einer Wendezeit.
Wir haben die Aufgabe, uns unsere großartige Geschichte wieder neu anzueignen.
Ob uns das gelingt, wieder ein neues Gefühl, einen neuen Mythos für unser Volk zu erschließen, das wird darauf ankommen, ob wir als AfD diesen neuen Geist in die politische Diskussion einspeisen und durchsetzen können.
Das permanente Mies- und Lächerlichmachen unserer Geschichte hat uns wurzellos gemacht.
Unser liebes deutsches Volk heute ist eine nie dagewesene Mischung aus Spaßgesellschaft und Schuldgemeinschaft. Die Vergangenheitsbewältigung als gesamtgesellschaftliche Daueraufgabe lähmt ein Volk.
Wir haben jetzt 70 Jahre lang Mahnmale gebaut, es ist hohe Zeit, dass wir endlich wieder Denkmäler errichten!
Die Thymos-Spannung ist uns abhandengekommen!
(In der Vorstellung der Griechen ist Thymos Teil der Seele und meint Lebenskraft. Höcke übersetzt Thymos als Mut und Zorn, Anm. der Autorin)
Deswegen sind wir wehrlos gegenüber fremden Kulturen und Ideologien, deswegen gehen wir Tag für Tag mit gesenktem Kopf durch unser Land, deswegen werden in Multikulti-Klassen deutsche Schüler gemobbt, und deswegen werden in unserem Land Frauen unsittlich berührt, und deswegen werden unsere jungen Männer im eigenen Land geschlagen und manchmal sogar grundlos getötet.
Ich will, dass wir unser gesenktes Haupt anheben.
Ich will, dass wir mit einem klaren und offenen Blick und mit geradem Rückgrat in die Zukunft gehen, und dazu müssen wir unsere Thymos-Spannung erhöhen.
Dieses Land, dieses Volk, liebe Freunde, muss endlich seine verlorene Männlichkeit zurückfinden!
Die Geduld unseres Volkes ist zu Ende, und schon die alten Römer wussten vom legendären Furor Teutonicos zu berichten, liebe Freunde, wir lassen uns nicht abschaffen. Wir haben die Wende eingeleitet, wir wollen diese Wende schaffen und wir werden diese Wende schaffen.
Ich weiß, wir brauchen in dieser Zeit starke Nerven, denn die Politik der Altparteien wird von Tag zu Tag unerträglicher. Die Altparteien sind nicht nur inhaltlich erstarrt, sondern sie sind inhaltlich entartet.
Wir leben in einer Wendezeit, wir leben in einer Schleusenzeit, wo es auf einmal ganz schnell durchrutschen kann, wenn wir dort in Mecklenburg-Vorpommern stärkste Partei werden, dann ist die Messe für die Kanzlerdiktatorin Merkel gelesen.
Ich genieße diesen Absturz der alten Volkspartei (...) und genau da will ich die Apparatschiks der Macht in Deutschland auch sehen – am Boden!
Als Heiko Maas, der unverehrte Bundesjustizminister unserer Partei vorwarf, "die wollen ja ein anderes Deutschland", da dachte ich so spontan, wie noch niemals zuvor bei einer Äußerung dieses Mannes, "da hat er recht dieser Mann"!
Ja, ich will ein anderes Deutschland!
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