| | © Annie Spratt/unsplash.com (https://unsplash.com/@anniespratt) | Um es vorweg zu sagen: Ich habe keine Erklärung parat für das, was mich – wie so viele andere Menschen auch – derzeit beinahe täglich in Fassungslosigkeit stürzt. Ich vertrete auch keine Meinung, die man liken oder disliken könnte. Kaum eine Nachrichtensendung, bei der mir nicht plötzlich das Realitätsbild verrutscht und ich mich frage: Bin ich in irgendeiner dystopischen Kinofantasie gelandet? Was machen die da? Wie reden die? Was für eine Wirklichkeit wird da durch Worte und Bilder geschaffen? Wie konnte es so weit kommen?
Ich ahne es, aber kann es noch nicht fassen, das macht ja meine Fassungslosigkeit aus. Andererseits kreist mein Denken im Grunde ständig um das, was mich so fassungslos macht. Vielmehr es schwirrt. Es ist ein ganzer Schwarm von Gedanken, der aufgescheucht kreuz und quer in alle Richtungen stiebt und die Enge meines Kopfes ausfüllt, gegen die Begrenzungen des Schädels prallt und zurückgeschleudert wird in den Tumult, der strenggenommen immer der Begleiter meines Lebens als Schriftsteller gewesen ist. Meines Lebens überhaupt. Weil ich nie ganz fassen kann, was mich als Wirklichkeit umgibt, was mein Dasein auf der Achse fortschreitender Zeit und Veränderung beeinflusst und bestimmt und ausmacht. Weil mir nie eine fertige Sprache zur Verfügung steht, die auszudrücken in der Lage ist, was gerade geschieht. Ich immer erst durch Nachdenken und Schreiben, durch Lesen, also durch Auseinandersetzung mit dem Nachdenken und Schreiben anderer, und – was über das Denken hinausgeht – durch Erzählen, die Möglichkeitsform der Fiktion, mich – vielleicht, hoffentlich – Erkenntnissen und Erfahrungen formulierend annähere, die das Wirkliche auf ihre hinter den Wort- und Bilderschleiern verborgenen Zusammenhänge durchdringen können.
Affekt- und Ideologiegeschosse
Doch gerade jetzt, in diesem Zustand einer Fassungslosigkeit, die den gewohnten Taumel meiner Weltwahrnehmung in einem so hohen Maß überschreitet, dass mir die durch jahrzehntelange Übung vertrauten Prozesse der Sprachfindung fürs erste nicht weiterzuhelfen scheinen, ist mir der Sprung ins Fiktionale fürs erste verwehrt, gerät mir selbst die Fiktion unter Verdacht. Als stünde plötzlich das Geschichtenerzählen als Form, die offen bekannte Erfindung von Wirklichkeit als (um ein Walter-Benjamin-Wort zu gebrauchen:) „Armatur“ des Menschen gegen die Zumutungen einer vorgetäuschten Realität zur Disposition. Als wäre die Fassungslosigkeit zu groß, um Sprache zu werden. Als könnte Literatur derzeit nur so tun, als wäre sie Literatur, nur erfüllen, was jemand anders, jedenfalls nicht sie selbst, beschlossen hat, dass sie zu sein habe, oder was jemand anders, nicht sie selbst, glaubt, dass wieder andere glauben, es sei Literatur. Als gehörte die Behauptung ihrer Existenz ebenfalls schon ins Reich der Fake-News.
...
Den ganzen Freitext lesen Sie auf Zeit Online.
Sie wollen der Diskussion unter dem Text folgen? Hier geht es zum Kommentarbereich. |
|