Guerilla-Wissenschaftler | 1,3 Millionen | 3½ Fragen an Prof. Dr. Lothar Zechlin | Standpunkt Benedikt Erenz: Ohne Arndt

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
wenn Trump via Twitter Politik macht – dann können Sie das erst recht, oder? Zumindest versuchen das einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den USA. Auch gut: Sich an Immanuel Kant halten, wie Lothar Zechlin, der Gründungsrektor der fusionierten Uni Duisburg-Essen, im Fragebogen. Im Standpunkt lesen Sie einen Kommentar von Benedikt Erenz zur längst überfälligen Umbenennung der Universität Greifswald.
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Guerilla-Wissenschaftler gegen Trump
Kämpfen? Kann die Scientific Community, wenn sie muss. Schon im Dezember sprach Lawrence M. Krauss, Vorsitzender des Bundes Amerikanischer Wissenschaftler, im New Yorker von einem drohenden „War on Science“ durch Donald Trump. Jetzt mobilisieren sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, und zwar dort, wo auch @realDonaldTrump unterwegs ist: auf Twitter. Dort gründen sich Widerstandsteams (etwa @AltNatParkSer, @rogueNASA), die auf die Bedeutung der Wissenschaft aufmerksam machen und bereits hunderttausende Follower haben. Die Gründung dieser Accounts geht zurück auf eine Anordnung des US-Innenministeriums, das allen Nationalparks vorübergehend die Nutzung von Twitter untersagt hatte. Geplant ist außerdem ein „Scientist's March on Washington“. Ausführlich: ZEIT ONLINE. – Auch hierzulande nutzen Wissenschaftler die Sozialen Medien zur Gegenwehr. Der Historiker Moritz Hoffmann (@moritz_hoffmann) versah die Dresdner Rede des AfD-Politikers Björn Höcke mit Richtigstellungen; der Tweet wurde tausendfach geteilt (Blogeintrag von Moritz Hoffmann; Interview auf BR puls). 
  
 
 
Lenzen-Exegese
Ein Lieblingsorchideenfach von Hochschuladministratoren und Hochschuljournalisten ist die Wissenschaftsratsgutachtenexegese. Die Gutachten sind oft so moderat im Ton, dass man harsche Kritik auch als wohlmeinenden Verbesserungsvorschlag interpretieren kann. Darüber haben sich in dieser Woche Hamburgs Uni-Präsident Dieter Lenzen und unser Kollege Oliver Hollenstein in die Wolle bekommen, nachzulesen in voller Länge im Hamburg-Teil der ZEIT (oder in allen iPad-Ausgaben). Hier ein Auszug:
Hollenstein: Das Konzept der Uni Hamburg ist die »Nachhaltigkeit«. Der Wissenschaftsrat fürchtet, dieser Begriff könnte zur »Leerformel« verkommen. Wie wollen Sie das verhindern?
Lenzen: Das hat der Wissenschaftsrat nicht gesagt.
Hollenstein: Wörtlich heißt es, der Begriff berge die Gefahr, »zumindest in Teilen als Leerformel wahrgenommen zu werden«.
Lenzen: Der Wissenschaftsrat schreibt aber auch: »Das Thema Nachhaltigkeit kann dabei helfen, einem Nebeneinander unterschiedlicher Teilbereiche der Hochschule ein gemeinsames und nach außen kommunizierbares Profil zu geben.« Er empfiehlt aber, den Begriff zu ergänzen um zwei weitere Elemente, die in unserem Leitbild enthalten sind: Internationalisierung und Interdisziplinarität. Das ist sicher richtig.
  
 
 
Nicht-akademische BIldungswege
Für viele Posten in der Wissenschaftsadministration ist die Habilitation der Goldstandard. Ein Doktortitel wird mindestens gern gesehen, das Studium ist ohnehin die Einlasspforte. Vielleicht verschiebt sich da gerade etwas. Die private Karlshochschule hat eine neue Präsidentin, Eveline Lemke, die keinen Studienabschluss hat (FAZ). Und Berlins Bürgermeister Michael Müller hat (wie auch Eventuell-Kanzler Martin Schulz) weder Abitur noch studiert, ist aber Wissenschaftssenator. Schlimm? Oder gut für die Wissenschaft, weil ein Outsider-Blick recht heilsam sein kann?
  
 
 
Studie: Männliche Genies
Männer glauben ja bisweilen, sie seien schlauer als Frauen. Leider sitzen diesem Irrglauben auch junge Mädchen auf, wie eine neue Studie in Science zeigt (freilich nicht zum ersten Mal). Stereotype werden offenbar schon im Kindergarten weitergegeben. Schon Sechsjährige, so erklärt das Team aus zwei Psychologen und einer Philosophin, sind durch Gender-Stereotype beeinflusst. Jungs würden deutlich häufiger annehmen, dass Männer sehr intelligent sind, als Mädchen das von Frauen denken. Auch im Angesicht guter Noten glauben Mädchen seltener, dass die etwas mit ihrer Intelligenz zu tun haben. Anders gesagt: Mädchen halten sich selbst seltener für schlau als Jungs. Das hat natürlich Konsequenzen, zum Beispiel, wenn es um die Wahl des Studienfaches geht (so wählen Frauen seltener Studienfächer, von denen sie annehmen, die eigene Intelligenz spiele eine besonders große Rolle, wie in der Physik). Von den Auswirkungen auf die akademische Karriere (Professorin! Kanzlerin! Rektorin!) ganz zu schweigen. (via Guardian)
  
 
 
Probleme gesucht!
Falls Sie den ersten Aufruf für unsere neue CHANCEN Brief-Rubrik verpasst haben (nachzulesen in der Ausgabe vom 23. Januar), hier nochmal der Hinweis: Wir haben eine Ratgeberkolumne eingeführt! Unser Team – es heißt Dr. acad. Sommer, und dahinter stehen Uli Rockenbauch, Franziska Jantzen und das Coachingnetz Wissenschaft – kennt Universitäten, Forschungseinrichtungen, Bibliotheken und Labore von innen wie außen und hilft bei Ihren Problemen. Schreiben Sie an Dr. acad. Sommer (chancen-brief@zeit.de) oder hinterlassen Sie uns hier anonym Ihre Frage.
  
 
 
 
   
   
   
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Die Zahl
 
 
   
1,3 Millionen

Studierende haben seit 1987 am Erasmus-Programm
der Europäischen Union teilgenommen.
 
Quelle: BMBF 
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Prof. Dr. Lothar Zechlin

Emeritierter Professor für Öffentliches Recht und Gründungsrektor der Universität Duisburg-Essen
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
„Habe den Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Dieser Satz von Kant aus dem Jahr 1784 ist immer wieder hochaktuell, wie man an Euro- und Europakrise, Kriegen im Nahen Osten, weltweiten Migrationsströmen u.a. feststellen kann.

Die aktuell größte Fehlinvestition der Wissenschaftslandschaft?
Neben dem sehr deutschen und wenig europäischen Akkreditierungssystem eine Reihe von Bund- / Länderprogrammen, die mit viel Geld „Innovationen“ anreizen sollen. Schon ihre Bezeichnung als „Pakte“ oder „Offensiven“ mutet seltsam an. Sie wirken nicht nachhaltig, sondern nur so lange, wie das Geld da ist, und dienen damit vor allem der politischen Sichtbarkeit kontinuierlich wechselnder MinisterInnen. Deutschland kann offenbar anderen Ländern in Europa gut erklären, dass sie endlich ihre „Strukturaufgaben“ machen sollen, kommt dieser Aufgabe selbst aber nicht nach.

Lektüre muss sein. Welche?
Pierre Rosanvallon, Die gute Regierung. „Eine gute Regierung muss sich daran messen lassen, ob sie den Raum für Mitgestaltung, Deliberation und Überprüfung ihres politischen Handelns durch die Bürgerinnen und Bürger nicht nur zulässt, sondern einfordert“, schreibt Caroline Emcke in ihrer Rezension. Lässt sich 1:1 auf Hochschulmanagement übertragen!

Und sonst so?
Das Baden-Württembergische Verfassungsgericht will die Wahl der Rektorate von der Mehrheit „Unter Professoren“ (auch das übrigens ein lesenswertes Buch von W. F. Hermans) abhängig machen. Eine Rolle rückwärts in die Gelehrtenrepublik!
   
   
 
 
   
 
   
   
 
Standpunkt
 
 
   
   
von Benedikt Erenz
Ohne Arndt
Den pommerschen Autor und Bonner Geschichtsprofessor Ernst Moritz Arndt (1769 bis 1860) liest heute niemand mehr. Das ist schade. Denn wer den Quellgrund des deutschen Nationalismus und Rassismus bis hin zum Nationalsozialismus studieren möchte, findet in Arndts Hass- und Hetzschriften üppig Material. Arndts Vorstellungen vom Germanenreich, seine pseudodemokratischen Visionen von Volksgemeinschaft und Führer-Kaiser lesen sich, bei aller frömmelnden Gewandung, wie ein Urprogramm der völkischen Rechten.
Zur Kaiserzeit und im »Dritten Reich« wurden Straßen, Schulen und Kirchen nach ihm benannt. 1933 auch eine Hochschule: die anno 1456 gegründete Universität von Greifswald in Pommern – die ihren neuen Namen über 1945 hinaus behielt. Das militärfixierte DDR-Regime schätzte Arndt, galt er doch als Ahnherr der deutsch-russischen Waffenbrüderschaft (im Kampf gegen Napoleon).
So dauerte es bis zur Wiedervereinigung, dass in Greifswald über den fatalen Namenspatron diskutiert werden konnte. Und so dauerte es schließlich bis heute, bis zu einem Beschluss des Uni-Senats in der vergangenen Woche, dass die Hochschule Arndts Namen endlich ablegte, um ihr internationales Renommee nicht weiter zu beschädigen.
Zuvor war unter Studierenden und Lehrenden heftig um den »Traditionsnamen« gerungen worden. Bereits 2010 unterlag eine Initiative »Uni ohne Arndt« in einer Abstimmung knapp gegen die Arndt-Freunde. Allmählich aber sprach sich herum, an welcher »Tradition« Konservative von der CDU bis zur AfD/NPD da festhalten wollten: an der Tradition von 1933 nämlich, als der preußische Ministerpräsident und Hitler-Intimus Hermann Göring die Umbenennung der ehrwürdigen Universität unterzeichnet hatte.
Dieser wahre Traditionsbruch von 1933 ist mit dem Beschluss des Greifswalder Senats vom 18. Januar nun endlich gekittet worden. Endlich hat die Hochschule ihren alten Namen wieder: Universität Greifswald, Universitas Gryphiswaldensis.
Bleibt zu hoffen, dass sich auch die Arndt-Gymnasien der Republik – in Bonn, Krefeld oder Osnabrück – jetzt der Debatte stellen. Und nicht zuletzt die Evangelische Kirche in Berlin. Dort trägt seit 1934 eine Gemeinde den Namen des Hassprofessors. Denn wer zum Reformationsjubiläum daran-geht, den Antijudaismus Luthers kritisch zu sezieren, darf vom frommen Antisemiten Arndt nicht schweigen.

Benedikt Erenz ist Reporter im Geschichtsressort der ZEIT. Der Kommentar steht im CHANCEN-ressort der aktuellen Ausgabe der ZEIT (Nr. 5/2017).
   
   
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Darf das in den Unterricht? Die Neuauflage von Hitlers »Mein Kampf« ist ein Bestseller – 1966 Seiten, von Historikern kommentiert. Was für eine Herausforderung für Geschichtslehrer! Nichts für die Schule Der Historiker Thomas Sandkühler über die neue »Mein Kampf«-Edition

Diese Frau liebt das Tempo Martina Brockmeier ist nun die wichtigste Wissenschaftsberaterin der Politik. Was wird die Hohenheimer Agrarökonomin anpacken? Ohne Arndt Greifswalds Uni befreit sich von einer Altlast aus finsteren Zeiten »Ich war kein braver Schüler« Fast zwei Millionen Zuschauer schauen jede Woche die RTL-Serie »Der Lehrer«. Hendrik Duryn spielt seit zehn Jahren die Hauptrolle – er sieht darin einen Bildungsauftrag Muss Herr Höcke weg? Ob der AfD-Politiker künftig wieder als Geschichtslehrer unterrichten darf, ist unklar Guten Morgen, Herr Lernbegleiter! Die Bezeichnung Lehrer gilt vielen als verstaubt. Völlig zu Unrecht! Eine Ehrenrettung von Klaus Zierer

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
 
   
 
   
   
 
c.t.
 
 
   
 
Science is real! Foto vom Women's March am 21. Januar 2017

Quelle: © Jorge Cham / PhDComics
 
 
 
 
 
 
 
 
 
   
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