Freitext: Mirna Funk: Leichenberge, bäm!

 
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21.01.2017
 
 
 
 
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Leichenberge, bäm!
 
 
Ja, es gibt Probleme mit der deutschen Erinnerungskultur. Das kann man kritisieren. Aber Shahak Shapiras drastische Online-Aktion „Yolocaust“ will nur den großen Effekt.
VON MIRNA FUNK

 
Copyright: Sean Gallup/Getty Images
 
Im letzten Sommer fuhr ich mit einem israelischen Freund, der zuvor noch nie in Berlin gewesen war, in meinem Auto durch die Stadt. Weil wir vom Westen in den Osten wollten, düsten wir vom Potsdamer Platz über die Ebertstraße Richtung Brandenburger Tor. Haltend vor einer roten Ampel stieß ich Assaf mit dem Ellenbogen in die Rippen und sagte: „Hier, schau, das ist übrigens das Holocaust-Mahnmal!“, und Assaf drehte sich zu mir um, runzelte seine Stirn und fragte: „Was hat das mit dem Holocaust zu tun?“ „Keine Ahnung“, antwortete ich und fuhr los, als die Ampel auf Grün schaltete.

Das Mahnmal ist wohl auch nicht für uns Juden gebaut worden, so las ich vor ein paar Tagen, sondern für die Deutschen. Vielleicht deshalb unsere Schwierigkeit, einen Zusammenhang zwischen schwarzen Steinblöcken und sechs Millionen toter Menschen herzustellen. Aber nicht nur Assaf und mir scheint es emotional unmöglich, auch vielen deutschen wie nicht-deutschen Besuchern des Mahnmals. Warum ich das denke? Weil Menschen dort rumknutschen, Selfies machen, Kinder Fangen spielen, auf die Steinblöcke geklettert wird und vieles andere, das man vielleicht nicht täte, würde man emotional berührt, würde also in dem Moment, wie man sich zwischen diesen Steinstehlen befindet, das Leid und der Schmerz der Millionen Ermordeten sowie ihrer Nachfahren und die Unmöglichkeit Verständnis für diese Jahrhundertkatastrophe aufzubringen, plötzlich offenbar werden.

Jetzt bitte einmal gedenken!

Peter Eisenman, der Architekt des Holocaust-Mahnmals, das offiziell „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ heißt, sagte in einem Interview, das er 2005 dem Spiegel gab: „Ich war von Anfang an gegen den Graffitischutz. Wenn ein Hakenkreuz darauf gesprüht wird, dann ist es ein Abbild dessen, was die Menschen fühlen. Wenn es dort bleibt, ist es ein Abbild dessen, was die Regierung davon hält, dass Menschen Hakenkreuze auf das Mahnmal schmieren. Das ist etwas, das ich nicht steuern kann. Wenn man dem Auftraggeber das Projekt übergibt, dann macht er damit, was er will – es gehört ihm, er verfügt über die Arbeit. Wenn man morgen die Steine umwerfen möchte, mal ehrlich, dann ist es in Ordnung. Menschen werden in dem Feld picknicken. Kinder werden in dem Feld Fangen spielen. Es wird Mannequins geben, die hier posieren, und es werden hier Filme gedreht werden. Ich kann mir gut vorstellen, wie eine Schießerei zwischen Spionen in dem Feld endet. Es ist kein heiliger Ort.“

Weitsichtig war Peter Eisenman. Vielleicht hatte er jenen Umgang auch eingeplant. Vielleicht wollte er jenen Umgang mit dem Mahnmal provozieren. Und vielleicht wollte er sogar, ein Mann, der sich rein gar nichts aus Denkmälern macht, wie er im selben Interview zugibt, die Frage aufwerfen, wozu überhaupt ein Denkmal, wenn an einem solchen Ort alles Mögliche getan wird, außer zu gedenken.

...

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