Die Briten waren schon immer etwas robust, wenn es darum ging, ihre Handelsinteressen durchzusetzen. Wie noch gleich hatten sie es bis Anfang des 19. Jahrhunderts geschafft, das größte Imperium aller Zeiten aufzubauen, mit 43 Kolonien auf fünf Kontinenten?
Indem sie, wie es der Historiker Niall Ferguson einmal zusammenfasste, "die Spanier beraubten, die Holländer kopierten, die Franzosen schlugen und die Inder ausplünderten". Das Empire begann als Seeräubergilde, übernahm dann das holländische Börsen- und Bankensystem, vernichtete eine rivalisierende Seemacht und herrschte mit harter Hand über die Quellen der begehrtesten Überseewaren.
Insofern ist es historisch nur konsequent, wie deutlich die britische Premierministerin den Europäern jetzt zuruft: Darlings, don't fuck with Britain!
Dass heute unter anderem Nuklearwaffen als Druckmittel dienen könnten, um sich Zugang zum europäischen Binnenmarkt zu sichern, ist deshalb vielleicht nur aus kontinentaler Sicht ein klitzekleines bisschen überraschend. Doch, tatsächlich, May hat diese Verbindung in ihrer Rede zum Brexit hergestellt, die sie am Dienstag hielt. Sie drohte genau genommen nicht mit dem britischen Nuklearwaffenarsenal. Sie drohte vielmehr mit einem Europa ohne britisches Nuklearwaffenarsenal, ja, ohne britische sicherheitspolitische Schlagkraft.
Der harte Teil ihrer Rede steckte im Schlussteil, dort, wo die Premierministerin darüber sprach, wie sich die Insel gegen eine böswillige Isolation durch die EU zur Wehr setzen könnte. May mahnte an, dass Großbritannien und Frankreich "die einzigen Nuklearmächte Europas" seien sowie die einzigen europäischen Länder mit permanenten Sitzen im UN-Sicherheitsrat. Außerdem hätten die "einzigartigen" Geheimdienstfähigkeiten Großbritanniens "unzählige Leben in sehr vielen verhinderten Terroranschlägen in Ländern überall auf unserem Kontinent" gerettet.
Dieser gute Freund wolle Großbritannien gerne bleiben.
"Aber ich muss klar sein", warnte May als Nächstes. Sollte die EU meinen, das Königreich für die Beendigung seiner EU-Mitgliedschaft bestrafen zu müssen (also in Sachen Brexit einen "punitive deal that punishes Britain" anbieten), "dann wäre das nicht die Handlung eines Freundes."
Im Klartext: Wenn ihr uns unfreundlich behandelt, müssen wir überdenken, ob wir euch künftig noch als Freunde behandeln, nämlich unter anderem durch den kostenlosen Service unserer teuren Geheimdienste, unseres diplomatischen Netzwerkes und unseren atomar bestückten U-Booten, die wir immerhin gerade für 31 Milliarden Pfund modernisieren lassen.
May wirft damit einen Pokerchip auf den Tisch, von dem man bisher dachte, er habe im Spiel um Großbritanniens künftige Beziehungen zur EU nichts zu suchen. Die Premierministerin zieht die Frage, wie hart der Brexit sein muss, auf eine neue, höhere Bündnis- und Treueebene, auf die der strategischen Freundschaft.
Großbritannien ist sicherheitspolitisch unverzichtbar
Verständlich ist dieser Zug. Denn für May geht es darum, den kompletten Wahnsinn zu verhindern, der darin läge, das Königreich von einem 500-Millionen-Einwohner-Absatzmarkt abzuschneiden. Ihre Idee von "Global Britain", also die Vision eines Großbritanniens, das mit Brasilien, China, Neuseeland und den USA ebenso reibungslosen und florierenden Handel treibt wie mit Deutschland oder Frankreich, mag zwar nicht gänzlich unrealistisch sein. Aber diese Umorientierung lässt sich kaum in den zwei Jahren bewerkstelligen, die Großbritannien bis zum Vollzug des Brexit bleiben, wenn May im März den offiziellen Abschiedsbrief nach Brüssel schickt.
Sie will also, wie der Brite sagt, eat the cake and have it. Sie will Großbritannien aus der EU führen, aber einen Fuß im Binnenmarkt behalten. Sie will den Brexit, sie will aber zugleich einen Deal, der "größtmöglichen Zugang", "zollfreien Handel" und "so wenige Handelsbarrieren wie möglich" bietet. Sie will indes dafür nicht zahlen mit: EU-Gebühren und schrankenloser europäischer Binnenmigration.
Vor allem für Angela Merkel stellen sich deshalb in den kommenden Monaten heikle Abwägungsfragen. Bleibt sie bei ihrer Position, dass es die EU-Mitgliedschaft entweder ganz oder gar nicht gibt, also mit allen Rechten und Pflichten? So würde sie der Gefahr entgegenwirken, dass andere EU-Mitglieder ebenfalls über einen Exit nachdenken könnten. Oder bietet sie den Briten doch eine softe Ausstiegsvariante an – mit dem Ziel, gefährliche weitere Entfremdungseffekte zwischen London und dem Kontinent einzudämmen? Einiges spricht für ein solches Entgegenkommen. Denn Großbritannien ist – im Unterschied zu anderen missmutigen EU-Mitgliedern wie Polen oder Tschechien – sicherheitspolitisch in der Tat unverzichtbar. Gerade für ein Europa, das sich nach einem Rückzug Amerikas auf sich selbst umso dringender um die Eigenstärkung kümmern muss.
Wegen Trump böten sich Großbritannien außerdem geradezu ideale Voraussetzungen, um eine weitere Drohung wahr zu machen: Die eines "anderen Geschäftsmodells", wie May es nennt. Dieses alternative Modell könnte darin bestehen, Großbritannien zu einem Niedrigsteuerland umzubauen, das ein Freihandelsabkommen mit der Trump-Regierung schmiedet. Großbritannien wäre dann der vorgelagerte Teil eines Business-Rivalen der EU.
Der Brexit, kurzum, dürfte in der EU einige schmerzhaft ehrliche Überlegungen auslösen. Sie liegen in den Antworten auf die Frage, was den Europäern letztlich wichtiger ist: zweckmäßige Partnerschaften je nach nationalem Gusto? Oder das Beharren auf einer EU als unaufschnürbarem Integrationskomplettpaket? |
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