TUM nimmt Facebook-Millionen | Verschärfte Sicherheitskontrollen an türkischen Unis | Tarifrunde 2019 | Standpunkt Jan-Martin Wiarda: Akademikerwahn war gestern

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
heute geht es um die ganz großen Fragen im akademischen Betrieb wie die Wissenschaftsfinanzierung, gute Arbeit oder auch die Wissenschaftsfreiheit (Das ist wichtig). Die Topmeldung liefert die Technische Universität München, die 6,5 Millionen Euro vom US-Konzern Facebook nimmt, um die Ethik der Künstlichen Intelligenz zu erforschen. Harte Auseinandersetzungen deuten sich bei den diesjährigen Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst an, schon zum Start droht Verdi-Chef Frank Bsirske mit Streiks an Uniklinika. Die Türkei verschärft Sicherheitskontrollen an Hochschulen. Im Standpunkt setzt sich Jan-Martin Wiarda mit Julian Nida-Rümelin auseinander, der die Debatte zum „Akademisierungswahn“ erst jahrelang trieb und sie nun in ein Plädoyer für einen „Pakt für berufliche Bildung“ umlenken will. Wem bei all dem die Augen tränen, kann sich aufs Hören verlegen und den Geschichten des großen Forschungsreisenden Alexander von Humboldt lauschen (Fußnote).
   
 
 
 
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
TUM nimmt Facebook-Millionen
Die Koinzidenz der beiden Ereignisse verblüfft: Vergangenen Donnerstag teilte die Universität Oxford mit, dass sie bis auf weiteres keine neuen Forschungsgelder und auch keine Spenden mehr vom chinesischen Technik-Konzern Huawei annehmen wird (BBC, New York Times, Guardian). Huawei steht im Verdacht, seine Geräte zur Spionage zu nutzen. Das gilt in der Form zwar nicht für Facebook. Doch mit erheblichen Image- und Glaubwürdigkeitsproblemen kämpft auch der US-Internetriese. Der Datenklau von Cambridge Analytica, mangelndes Durchgreifen bei Desinformation, Hassreden und möglichweise gar bei politische Manipulationen – all das gehört zu Facebook. Von eben diesem Unternehmen – und das ist das zweite Ereignis – nimmt die stolze Technische Universität München nun 6,5 Millionen Euro an, um ihre Forschung zur Ethik der Künstlichen Intelligenz zu forcieren. Das Geld soll in ein neues Institut fließen. Darf eine renommierte Universität ihren Namen hergeben, um einem ins Zwielicht geratenen Konzern bei der Image-Politur zu helfen? Nein, finden viele. Ja, findet die TUM. Sie versteht sich bekanntermaßen als unternehmerische Universität und entsprechend pragmatisch erklärt sie ihre Entscheidung: "Wenn man mit diesem Geld unabhängige Forschung betreibt, aus der etwas herauskommt, das Verbesserungen für Menschen bringt, dann kann ich daran nichts Schlechtes finden – auch wenn damit einhergeht, dass das Unternehmen seine Reputation in diesem Bereich verbessert. Das passiert aber natürlich nur, wenn man etwas an den Mechanismen im Unternehmen ändert", machte Christoph Lütge, Professor am Stiftungslehrstuhl für Wirtschaftsethik der TU München und künftiger Direktor des TUM Institute for Ethics in Artificial Intelligence, gegenüber den Kollegen der Deutschen Welle die Haltung in München deutlich. Eine Kurzfassung der Debatte findet sich unter Netzpolitik.org. Wer tiefer einsteigen will, sollte die Transparenz-Empfehlungen des Stifterverbands lesen.
  
 
 
Verschärfte Sicherheitskontrollen an türkischen Unis
Rund zwei Wochen nach der Ermordung einer Dozentin durch einen Studierenden, den sie beim Schummeln erwischt hatte (Hurriyet Daily News), wird deutlich: Der türkische Hochschulrat YÖK und das Innenministerium lassen sich diese Gelegenheit nicht entgehen, um die Sicherheitskontrollen an allen türkischen Universitäten umfassend zu verschärfen. “The decision to take measures include the collection of security data from all campuses, including public and private universities, for risk analysis; increasing preemptive security measures implemented by private security details; increasing the quality and quantity of equipment which help enhance the physical security and encouraging scientific researches on the causes of such violent incidents”, heißt es in einem gemeinschaftlichen Statement (Hurriyet Daily News, University World News). Der Kommission, die die neuen Richtlinien ausarbeitet, gehören neben YÖK-Mitgliedern und Vertretern des Innenministeriums auch Abgesandte der Polizei sowie Sicherheitsexperten an.  
 
  
 
 
Tarifrunde 2019: Gewerkschaft droht mit Streiks
Die Forderungen der Gewerkschaften sind knackig und können den Führungsetagen in den Hochschulen und Unikliniken das Fürchten lehren: Sechs Prozent mehr Gehalt, mindestens aber ein Plus für alle Entgeltgruppen von 200 Euro monatlich, bilden nur einen der Punkte, die die Gewerkschaften in der aktuellen Tarifrunde für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) durchsetzen wollen. Ein anderer dockt an eine Debatte an, die Forscher und Wissenschaftsmanager unter dem Stichwort „Gute Arbeit“ führen. Befristungen im öffentlichen Dienst, heißt es auf der GEW-Seite, sollen „wirksam“ eingedämmt werden. Inwieweit sich die Gewerkschaften in den Verhandlungen durchsetzen können, ist noch nicht ausgemacht. Die Drohkulisse aber ist bereits aufgebaut. „Wir sind sehr mobilisierungsfähig an den Uniklinika“, sagte Verdi-Chef Frank Bsirske zum Start der Tarifrunde in Berlin (Wirtschaftswoche). Verhandelt wird nicht nur für die Beschäftigten der Uniklinika. Nach GEW-Angaben  geht es auch um die Gehälter von rund 400.000 Hochschulbeschäftigten.
  
   
   
   
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TU Dresden und Werner Patzelt trennen sich im Streit
Nach einem kurzen, heftigen Schlagabtausch ist der Bruch zwischen der TU Dresden und dem AfD-Experten Werner Patzelt beschlossene Sache. Der Politikwissenschaftler ist Mitglied der CDU, erstellte ein Gutachten für die AfD (ZEIT) und soll die sächsische CDU im Wahlkampf beraten (Süddeutsche Zeitung). Wegen seiner angeblich zu großen Nähe zu seinem Forschungsgegenstand ist der Talkshow-taugliche Parteienforscher innerhalb seines Faches seit einiger Zeit umstritten. Nach seiner Pensionierung im kommenden März soll Patzelt nun keine Seniorprofessur erhalten. Dies teilte die TUD am Montag unter Berufung auf einen Beschluss der Fakultät mit. Die Fakultät hätte die Seniorprofessur für Patzelt formell beantragen müssen. Davon nahm sie Abstand. Patzelt habe „Politik und Wissenschaft derart vermischt, dass dem Ruf der TUD und der Fakultät dadurch geschadet wurde“, begründete die Fakultät ihr Nein. So habe Patzelt einen privaten politischen Blog auf den Institutsseiten so lange betrieben, bis ihm das verboten wurde. Angekreidet wird Patzelt auch die nach Ansicht der Universität „nichtzutreffende Kritik“ am Rektor der Universität, Hans Müller-Steinhagen. Ihm hatte der Politikwissenschaftler öffentlich unterstellt, Bundeszuschüsse für ein von ihm, Patzelt, geplantes Institut verhindert zu haben. Die Abfuhr will Patzelt nicht hinnehmen, er kündigte juristische Schritte gegen die TU Dresden an (MDR, n-tv, ZDF).
  
 
Dieter Lenzen sieht ein „neues deutsches Oxford“ in Hamburg
So vage die Pläne zu einer „Science City“ am Hamburger Volkspark in Altona auch noch sind, Politik und Wissenschaft malen sich und der Stadt die Zukunft schon einmal in rosigen Farben aus. Ganz vorne dabei: der Präsident der Universität Hamburg, Dieter Lenzen. Während der Senat das Projekt eher zurückhaltend mit dem Arbeitstitel „Zukunftsvision 2040“ etikettiert, sieht Lenzen schon ein „neues deutsches Oxford“ am Horizont (Welt) auftauchen. Dazu ist zu wissen: Ein Zeitplan zur Umsetzung fehlt, und die Finanzierungsfragen sind ungeklärt.
 
Erschaffer der Crispr-Babies He Jiankui ist gefeuert
Vor gut zwei Monaten hat He Jiankui die Welt mit dem Bekenntnis erschüttert, die Gen-Schere Crispr an menschlichen Embryonen angewendet zu haben. Jetzt ist der Wissenschaftler nicht nur seinen Job los, es droht ihm auch ein Prozess (Scientific American, New Scientist). Nach Informationen der Nachrichtenagentur Xinhua sollen Experten nach der Untersuchung des Falls zu dem Schluss gekommen sein, dass He allein und gegen das Gesetz handelte. Sein Ziel sei es gewesen, persönlichen Ruhm und Vorteile zu erlangen.
  
 
Christof Wolfmaier wird Rektor der Hochschule Esslingen
Wechsel an der Spitze der Hochschule Esslingen: Christof Wolfmaier übernimmt am 1. September die Leitung der Hochschule. Der 57-jährige Fahrzeugtechniker lehrt und forscht seit 1994 in Esslingen. Wolfmaier folgt in dem Spitzenamt auf Christian Maercker, dessen Amtszeit nach sechs Jahren endet.

FH Dortmund bestätigt Rektor Wilhelm Schwick im Amt
Wilhelm Schwick bleibt weitere vier Jahre Rektor der Fachhochschule Dortmund. Die Hochschulwahlversammlung bestätigte den Mathematiker erneut im Amt. Schwick leitet die Hochschule seit 2009.
 
Job: Teilzeitprofessuren in Regensburg
Die Vorstellung hält sich hartnäckig: Forschung und Lehre erfordern maximales Engagement, das sich tunlichst auch im zeitlichen Einsatz niederschlagen möge. Entsprechend selten schreiben Hochschulen Teilzeitprofessuren aus. Die OTH Regensburg immerhin bietet jetzt zwei 50-Prozent-W2-Professuren in den Lehrgebieten „Vorbeugender Brandschutz“ und „Bauprojektmanagement“. Weitere Informationen finden sich im aktuellen ZEIT-Stellenmarkt.
 
  
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
 
 
Standpunkt
 
 
   
von Jan-Martin Wiarda
   
 
   
Akademikerwahn war gestern, berufliche Bildung ist heute
Julian Nida-Rümelin hat diese Woche in der FAZ das Ende des Akademikerwahns ausgerufen. Was konsequent ist: Der Münchner Philosophieprofessor hatte die Debatte, ob zu viele junge Menschen an die Hochschulen streben, obwohl sie dort angeblich nichts zu suchen haben, im Jahr 2013 ja auch losgetreten (FAZ). Viele Professoren, die ihre Hörsäle schon immer zu voll fanden, pflichteten Nida-Rümelin bei. Ebenso Unternehmer, die ihre Lehrstellen lieber mit Abiturienten besetzen wollen als mit Jugendlichen, die nur einen mittleren Schulabschluss (oder ­–  bewahre! – noch weniger) haben.
Unter Bildungsexperten fanden die Thesen Nida-Rümelins dagegen wenig Anklang. Ihr Argument: Nie waren die Arbeitslosigkeit unter Akademikern so niedrig und die Durchschnittsgehälter so hoch wie heute. Wenn gleichzeitig viele Lehrberufe zum Beispiel im Gastgewerbe, gelinde gesagt, verbesserungswürdige Bedingungen bieten, fällt die Entscheidung für ein Studium nicht aus Wahn, sondern aus gesundem Kalkül.
Jetzt jubiliert Nida-Rümelin: Seit 2014 sei das Wachstum beim Anteil der Studierenden an einem Altersjahrgang so gut wie gestoppt. Eine erstaunliche Statistik, findet er, nur rede keiner über sie. Also außer Nida-Rümelin, versteht sich. Der hinzufügt, er wolle seine Rolle jetzt nicht überschätzen, aber doch ja, das Ende des „Akademikerwahns“ sei vor allem sein Verdienst.
Man könnte auch sagen: Offenbar hat jetzt auch Nida-Rümelin entdeckt, dass die Zeit der doppelten Abiturjahrgänge, abgesehen von einem Nachzügler, seit 2014 vorbei ist. Das Erstaunliche, was viele Bildungsforscher betonen, ist im Gegenteil, dass die Zahl der Studienanfänger in der Folgezeit trotzdem bei einer halben Million verharrt ist. Wie passt das denn jetzt wieder mit Nida-Rümelins neustem Argumentationsmuster zusammen?
Lassen wir das. An anderer Stelle hat der ehemalige Kulturstaatsminister nämlich definitiv Recht. Er fordert ein Bund-Länder-Programm für die Berufsschulen oder, wie er es nennt, einen „Pakt berufliche Bildung“. Für die Ausbildung und Weiterbildung von Berufsschullehrern. Für die Ausstattung der Berufsschulen. Man muss nicht gleich übertreiben und wie Nida-Rümelin im Sinne einer „nationalen Anstrengung“ die Größenordnung des Hochschulpakts (insgesamt 38,8 Milliarden Euro bis 2023) einfordern, um die Bedeutung eines solchen Signals zu erkennen: Wenn die berufliche Bildung wirklich das Aushängeschild der Bundesrepublik werden soll, als das manche Politiker sie unter Nichtbeachtung ihres realen Zustands tapfer preisen, dann müssen die Berufsschulen mit ins Zentrum des weiterführenden Bildungssystems rücken. Und zwar direkt neben die Hochschulen. Nicht an ihre Stelle. Dass Nida-Rümelin das Gerede vom Akademikerwahn endlich beenden will, könnte dabei helfen.
   
 
   
 
   
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Ganz schön voll hier Was bleibt von der einst »höheren Schule«, wenn plötzlich alle hinwollen? Der Erfolg des Gymnasiums wird zu seiner größten Prüfung. Die Lieblingsschule der Deutschen erfindet sich neu Kopfnoten und Trillerpfeifen Vier Erinnerungen an die schreckliche, schöne Zeit auf dem Gymnasium

Föderaler Wildwuchs Was muss sich ändern, damit das Abitur zwischen den Bundesländern endlich vergleichbar wird?

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
 
 
 
Fußnote
 
 
   
 
   
Schüttelfrost mit Humboldt
Behalten die Experten vom Robert-Koch-Institut auch in diesem Jahr Recht, liegen demnächst immer mehr Menschen mit Grippe im Bett. „Die Grippewelle kommt!“, vermeldete die Bild-Zeitung am Montag unter Berufung aufs RKI und ließ dem Alarm gleich noch diese Feststellung folgen: „Es ist die Krankheit, vor der wir jedes Jahr aufs Neue zittern: Grippe.“ Wer ist „wir“? Wenn damit die gesamte Bevölkerung gemeint ist, gäbe es in ganz Deutschland niemanden, der sich nicht gern einmal ein paar Tage die Bettdecke über den Kopf zieht und den Januar einfach Januar sein lässt. Kann das sein? Husten, Schnupfen, Fieber sind doch geradezu ideal, um in aller Ruhe vor sich hin zu daddeln und zum Beispiel in der ARD-Audiothek auf die 4-teilige Sendung „Ansichten der Natur / Reisebericht des Naturforschers Alexander von Humboldt“ zu stoßen. Das ist eine wahre Entdeckung! Die Schilderungen Humboldts von seiner Fahrt nach Venezuela, an den Orinoco-Fluss über die Anden bis nach Mexiko sind nicht nur der perfekte Trost bei Schüttelfrost, sie machen auch wieder Laune auf den grauen Januar 2019. In diesem Jahr wäre Alexander von Humboldt übrigens 250 Jahre alt geworden. Mehr zum Forscherstar finden Sie hier. Und, ja, Humboldt wirkt auch ohne Grippe belebend.
 
Christine Prußky
   
 
   
 
 
   
Kratzt es Ihnen nicht auch schon im Hals?

Ihr CHANCEN-Team


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