Fünf vor 8:00: Nachrichten, die Mut machen - Die Morgenkolumne heute von Martin Klingst

 
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FÜNF VOR 8:00
28.01.2019
 
 
 
   
 
Nachrichten, die Mut machen
 
Überall kommen Despoten an die Macht. Trotzdem lobt Human Rights Watch vielerorts eine positive Entwicklung. Die Beispiele zeigen, welche Maßnahmen helfen können.
VON MARTIN KLINGST
 
   
 
 
   
 
   

Als vorletzte Woche der Exekutivdirektor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in Berlin vor die Presse trat und den "World Report 2019" vorstellte, glaubte ich, mich verhört zu haben. Er habe eine positive Botschaft, sagte Kenneth Roth, die Menschenrechtslage habe sich im vergangenen Jahr mancherorts leicht verbessert, es gebe Anlass zu vorsichtiger Hoffnung.
 
Verbessert? Für einen Moment dachte ich, in einer anderer Welt als Roth zu leben. Denn beim Rückblick auf das vergangene Jahr fielen mir auf Anhieb nur schlechte Nachrichten ein: Autokraten, Diktatoren, illiberale Demokratien werden mächtiger. In Brasilien wurde der Rechtspopulist Jair Bolsonaro von der Mehrheit des Volkes zum Präsidenten gewählt – in einem Land, wo es täglich zu Polizeiwillkür und Gewalt kommt und wo im vergangenen Jahr mehr als 60.000 Menschen ermordet wurden.

Venezuelas selbstherrlicher Präsident Nicolás Maduro, der sich Sozialist nennt, spaltet sein Land immer weiter. Venezuela könnte bald in einem Bürgerkrieg versinken. Die autoritären Staatschefs der Türkei und Russlands, der Philippinen, Ägyptens und Syriens, um nur einige zu nennen, haben ihre Macht gefestigt, stecken ihre Widersacher ins Gefängnis, oder lassen sie gleich umbringen. In vielen Staaten Afrikas sind ruchlose, korrupte Despoten an der Macht, die ihre Völker ausbeuten.
 
Und das soll Hoffnung machen?
 
Auch die Menschenrechtslage in Europa bleibt in manchen Ländern prekär. Die Regierungen in Polen und Ungarn höhlen den Rechtsstaat aus, in Italien betreibt ein rechtspopulistischer Innenminister eine menschenverachtende Flüchtlingspolitik. In den vergangenen Tagen ertranken vor der libyschen Küste mindestens 120 Flüchtlinge und Migranten, weil Italien Rettungsaktionen brachial behindert.
 
Die Regierung in Rom, aber auch andere EU-Staaten setzen die privaten Hilfsorganisationen unter enormen Druck: Ihren Schiffen werden die Flaggen entzogen und immer wieder das Anlaufen europäischer Häfen verweigert. Auch Militärschiffe der EU-Operation Sophia, die im Mittelmeer ja nicht nur kriminelle Schleuser bekämpfen, sondern ebenso Flüchtlinge und Migranten vorm Ertrinken bewahren sollen, können ihren Auftrag kaum noch erfüllen. Soeben hat Deutschland sein Schiff nach Hause beordert.
 
Es lassen sich in den vergangenen Wochen und Monaten viele weitere Beispiele schwerer Menschenrechtsverletzungen finden. Und das soll Hoffnung machen?
 
Man sollte die Erfolge nicht vergessen
 
Doch was Human Rights Watch mit seiner positiven Botschaft zurecht ins öffentliche Bewusstsein rückt: Viele Journalisten – und ich schließe mich da ausdrücklich mit ein – nehmen häufig nur die schlechten Nachrichten wahr, die guten werden ausgeblendet oder als unwichtig empfunden, weil sie angeblich niemanden interessieren würden. Doch die alte Medien-Devise "good news is no news, only bad news is news" verstellt allzu oft den Blick.
 
Natürlich müssen die unzähligen Menschenrechtsverbrechen aufgedeckt und unablässig angeprangert werden. Das ist Journalistenpflicht. Doch sollte man darüber die Erfolge nicht vergessen. Denn gerade bei Menschenrechtsverletzungen kann ein Blickwechsel nützlich und erhellend sein, zeigt er doch, welche Aktionen, Maßnahmen, Gesetze und Sanktionen helfen können, um eine schlimme Situation zu verbessern.
 
Im Rückblick auf das Jahr 2018 lassen sich dafür einige Beispiele finden: Zwar hat der Volkswille in Brasilien Autokraten an die Macht gebracht. Aber anderswo hat er Despoten und selbstherrlichen Regenten Grenzen gesetzt und sie mitunter sogar aus dem Amt gejagt.
 
Die internationale Gemeinschaft ruht nicht
 
Die Menschen aus Malaysia, der Malediven und Armenien haben ihre korrupten Regierungschefs abgewählt. Die Amerikaner verpassten Donald Trump bei den Halbzeitwahlen einen schmerzlichen Dämpfer. In Warschau und Budapest demonstrierten Zigtausende und setzten ihre Regierungen unter Druck; die EU strengte gegen Polen und Ungarn wegen der Gefährdung fundamentaler Grundwerte ein Rechtsstaatsverfahren an. Sanktionen zwangen das saudische Regime zum Einlenken. Es ließ erstmals humanitäre Hilfslieferungen für die Not leidende jemenitische Bevölkerung zu.
 
Ein weiteres Beispiel: Von Rechts wegen müssten Myanmars brutale Machthaber wegen Vertreibung, Ermordung und Vergewaltigung Hunderttausender muslimischer Rohingyas vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden. Doch dazu wird es einstweilen nicht kommen, denn die dafür notwendige Resolution hat im UN-Sicherheitsrat keine Chance wegen des drohenden Vetos von China und Russland.
 
Trotzdem ruht die internationale Gemeinschaft nicht, in Genf hat sich die UN-Menschenrechtskommission der Sache angenommen. Sie besitzt natürlich nicht die Macht und Kraft des Sicherheitsrats. Aber die Mehrheit der Kommission hat entschieden, die Menschenrechtsverbrechen des Regimes von Myanmar zu dokumentieren und Belege darüber zu sammeln und zu sichern. So wird ein Tribunal, falls es eines Tages zustandekommen sollte, auf jeden Fall nicht aus Mangel an Beweisen scheitern.
 
Gute Nachrichten wie diese werden oft nicht publik oder erscheinen unter ferner liefen. Dabei sind sie wichtig, denn sie machen Mut, geben Ansporn und können ein Lehrbeispiel sein. Sie verdrängen und überdecken auch nicht die vielen krassen Missstände. Im Gegenteil, im Licht der Erfolgsmeldungen werden schwere Menschenrechtsverletzungen oft noch sichtbarer.

 


 
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VOX Myanmar generals should be prosecuted
GUARDIAN Polish city mourns Paweł Adamowicz

 
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.