Fünf vor 8:00: Der Urknall des Nahen Ostens - Die Morgenkolumne heute von Michael Thumann

 
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FÜNF VOR 8:00
18.01.2019
 
 
 
   
 
Der Urknall des Nahen Ostens
 
Das Camp-David-Abkommen, die Besetzung von Mekka, der Einmarsch der Sowjets in Afghanistan, die islamistische Revolution im Iran: Das Jahr 1979 prägt Nahost bis heute.
VON MICHAEL THUMANN
 
   
 
 
   
 
   

In welchem Jahr wurde eigentlich der Nahe und Mittlere Osten zu dem, was er heute ist? Zerrissen, gespalten, von Ideologen und Autoritären beherrscht. Der moderne Urknall des Nahen Ostens liegt genau vierzig Jahre zurück. Damals dachte wohl jede westliche Redaktion, sie bräuchte nicht einen, zwei, sondern zwanzig Nahostkorrespondenten. Kein Jahr in der modernen Geschichte hat die Region so geprägt wie 1979.
 
Damals entstanden die drei Hauptprobleme, mit denen die Region heute zu kämpfen hat. Erstens die Ausnutzung der Religion als Machtmittel durch autoritäre Regierungen, zweitens der Aufschwung des Islamismus, drittens der Beginn von Irans Expansion in der arabischen Welt. Vier Ereignisse in Ägypten, Saudi-Arabien, Afghanistan und dem Iran waren entscheidend.
 
Fangen wir an mit Camp David, dem Friedensabkommen zwischen Israel und Ägypten, das 1979 alles drehte. Aus den Todfeinden wurden unter US-Vermittlung zwei mit den USA verbündete Staaten. Ihre Regierungen sind befreundet, aber nicht die Völker. Die Wende des damaligen Präsidenten Anwar al-Sadat zu Israel haben die Ägypter nie nachvollzogen. Israel ist ein gefühlter Feind geblieben. Diese Kluft wurde für das Regime gefährlich. Sadat hatte in den Siebzigerjahren islamistischen Bewegungen mehr Raum gegeben, um die sowjettreuen Kommunisten in Schach zu halten. Das rächte sich 1981, als er von einem radikalislamischen Leibwächter ermordet wurde.

Auch seine Nachfolger setzten das Machtspiel mit der Religion fort, genauso übrigens wie der 1979 an die Macht gekommene Saddam Hussein im Irak. Die arabischen Regime förderten den Islam in Maßen zur Selbstlegitimation, unterdrückten aber zugleich brutal die zivile Bewegung des politischen Islam. Eine toxische Mischung.
 
In Saudi-Arabien gab es eine parallele Entwicklung, in zugespitzter Form. Der Auslöser war die blutige Besetzung der großen Moschee in Mekka 1979. Kriminelle und Radikalislamisten unter der Führung von Dschuhaiman al-Utaibi hielten die Moschee wochenlang in ihrer Hand. Sie konnten erst von Spezialtruppen vertrieben werden. Doch nach dem Sieg glaubte das Königshaus, sich mithilfe von islamischen Konservativen vor den militanten Radikalen schützen zu müssen. Die Gesellschaft wurde umgekrempelt, Kinos verboten, Frauen verhüllt und von Männern im öffentlichen Raum systematisch getrennt.
 
Nach 1979 entstand das dunkel-islamistische Saudi-Arabien, das erst heute einen neuen Umbruch erlebt. Erzkonservative Saudis sponserten islamistische Bewegungen in der ganzen Welt, auch in Zentralasien.
 
In Afghanistan bekämpften sich 1979 verschiedene linksrevolutionäre Politiker, die sowjetische Regierung drohte an Einfluss zu verlieren. Deshalb entschloss sich die UdSSR Ende des Jahres zum Einmarsch. Es war ein tödlicher Kampf, der sich durch die Achtzigerjahre zog und eine ganze Generation in Afghanistan und in der Sowjetunion traumatisierte. 
 
Donald Trump setzt die Fehler fort
 
Die Langzeitfolgen der sowjetischen Intervention zerrütten Afghanistan bis heute. Obendrein rüsteten die USA, Pakistan und Saudi-Arabien damals die Gegner des sowjetischen Satellitenregimes auf. Religion wurde erneut als Machtmittel missbraucht, militante extremistische religiöse Bewegungen gepäppelt, die bis heute Afghanistan destabilisieren. Damals schossen sie auf die Sowjets, heute bekämpfen religiöse Milizen die Nato.
 
Die größten Wellen aber schlug 1979 die Entstehung eines islamistischen Staates im Iran. Unter Führung von Ajatollah Chomeini entstand ein revolutionär-islamistisches System, das auf den Export seiner Ideologie hinarbeitet, um die Macht des Irans auszudehnen. Der Aufbau der Hisbollah im Libanon, die Unterstützung der Hamas gegen Israel, die Hilfe für die jemenitischen Huthis gegen Saudi-Arabien, die Durchdringung des Iraks nach dem Sturz von Saddam Hussein, die iranische Intervention im syrischen Bürgerkrieg seit 2011 dienten alle demselben Ziel: Irans Vormachtstellung im Nahen und Mittleren Osten zu befestigen, radikalislamische Bewegungen zu verbreiten und Israel zu zerstören.
 
Das Jahr 1979 und seine Folgen prägen den Nahen und Mittleren Osten bis heute. Was daraus zu lernen ist: Offensichtliche Fehlentwicklungen sollte man nicht fördern, sondern bekämpfen. Die USA haben sich leider oft für das Erste entschieden. Sie haben autoritäre Regime und ihr gefährliches Spiel mit der Religion unterstützt, sie haben radikale, militante Bewegungen aufgerüstet, und sie haben Irans Aufstieg begünstigt, obwohl sie das Gegenteil wollten.
 
Die Aufkündigung des Atomabkommens mit Teheran durch Donald Trump, das Verprellen aller Verbündeten und der Rückzug der USA aus dem Mittleren Osten ebneten dem islamistischen Iran heute den Weg zur Vorherrschaft. Wenn Trump so weitermacht, wird er zum historischen Vollender des traumatischen Jahres 1979.

 


 
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.