Als ich acht Jahre alt war, hat ein Lehrer uns von der Erderwärmung erzählt, und ich dachte: Wenn das wirklich passiert, dann würden wir doch über nichts anderes mehr sprechen, es müsste höchste Priorität haben! Aber niemand hat darüber geredet. Diese Sätze stammen von Greta Thunberg, einer sechzehnjährigen Schwedin, die das Klima retten möchte, und mit dieser Botschaft Europa bereist. Es fing damit an, dass sie aus Protest gegen ihre Regierung jeden Freitag die Schule schwänzte. Der Aufstand brachte sie bis zur UN-Klimakonferenz nach Katowice und zum Weltwirtschaftsforum Davos. Nicht als Zuhörerin mit unbegrenztem Zugang zum Limostand, sondern als Sprecherin. Natürlich fährt sie mit dem Zug oder dem Elektroauto, natürlich dreht sie zu Hause immer das Licht aus, natürlich tut sie alles, was man erwachsenen Deutschen in den Servicemagazinen der Dritten noch beizubringen versucht. Sie geht mit den Ressourcen im Alltag sparsam um, sie tut es, seit sie acht Jahre alt ist, ihre Lehrer brachten ihr die Grundlagen der Ökologie bei, also versucht sie, das Ökosystem nicht zu verletzen. Mehr kann man als Kind nicht leisten, ohne dass das Jugendamt kommt und einen in staatliche Obhut steckt. Ihre Eltern, sagte sie mal, waren, wenn nicht geschockt, so doch genervt. Es gibt sicher einfachere Kinder. Kinder, die mittags nach der Schule im Media Markt lungern, und wenn sie Hunger haben, kaufen sie sich eine Tüte asiatische Instantsuppe, vermischen die Trockenbrühe mit Spucke und lassen die Nudeln im Mund dazu weich werden. Normale Kinder halt. Erstaunlich unaufgeregt Die Süddeutsche Zeitung führte ein ernsthaftes Interview mit ihr und gab ihr die Gelegenheit, ihr Anliegen zu verbreiten: Sie möchte, dass Schweden das Pariser Klimaabkommen erfüllt. Sie hätte sich auch Wimpernextensions wünschen können oder einen Auftritt bei Sweden's Got Talent. Sie macht aber etwas, was vielen Bürgern Europas gerade abgeht. Sie nimmt die Politik ernst. Sie meint, wenn Abkommen getroffen werden, müssen sie auch eingehalten werden. Sie hat völlig recht. So lernt man es bereits zu Hause: Was man sich gegenseitig verspricht, das hält man. Wenn es etwas wie Bildungsbürgertum gibt, dann merkt man es diesem Mädchen zu einhundert Prozent an. Das soll und kann kein Vorwurf sein, sondern nur das Offensichtliche beschreiben: Greta ist klug, hat eine schnelle Auffassungsgabe und trotz der Dringlichkeit des Sachverhaltes einen erstaunlich unaufgeregten Auftritt. Sie kann argumentieren, Kausalitäten erkennen und bringt einen Grundstock an Wissen mit. Sie ist darüber hinaus eine ernste Person. Diese Art der skandinavischen Ernsthaftigkeit hat natürlich etwas sehr Eindrückliches, und man kennt es aus zwanzig Jahre alten Dogmafilmen, wo die Frauen meist feministisch, ökologisch und noch irgendwas anderes sind, aber eben zu einer Zeit, als man hierzulande noch mit Plateauturnschuhen in der Technodisse in Plauen ausrastete. Greta ist, das klingt jetzt vielleicht blöd, naturverbunden, verantwortungsbewusst und aufgeschlossen. Man schaut sie an und erkennt schon ein wenig die Erwachsene, die sie mal sein wird. Die Social-Media-Prosa und Kommentare bei YouTube sind unzitierbar Man muss noch einmal daran erinnern, was Gretas Problem ist. Sie will, was zuvor 196 Staaten gemeinsam miteinander in einem völkerrechtlich bindenden Vertrag vereinbart haben. Die Inhalte des Pariser Klimaabkommens, das das Kyoto-Protokoll ablöste, sind bekannt. Emissionsminderung und weitere Klimaschutzmaßnahmen sowie Rechenschaftspflicht. Greta Thunberg wird angegriffen. Überall dort, wo man öffentlich kommentieren kann, wird das Mädchen von Prollprimaten umzingelt. Angeblich sei sie doch geflogen, angeblich wäre ihr Butterbrot in Folie gesichtet worden – die Digitaldetektive, deren Horizont vorm Browser endet, wedeln sich mühsam ihr Triumphtestosteron heraus. Jeder für sich ist vielleicht armselig, vielleicht harmlos, aber zusammen entwickeln sie eine zerstörende Kraft. Wie sie ein minderjähriges Mädchen unter sich zu begraben versuchen, ist verstörend. Warum legt sich diese Horde nicht mit den Unterzeichnern des Klimaabkommens an? Es geht nicht darum, ob jemand an den Klimawandel glaubt oder nicht, jeder kann denken und argumentieren, wie er will. Aber wer liest, was mit Greta geschieht, in was für einer Sprache, begreift, dass hier eine Jugendliche beschädigt werden soll und wird. Fix-und-Foxi-Niveau Eine universalgültige Regel ist, dass man Jugendliche nicht bricht. Zum echten, also "reifen" Erwachsensein gehört, dass man aus dem Reden und Handeln eines Heranwachsenden über das Unfertige großzügig hinwegsieht. Wer unbedingt eine Doppelmoral sehen will, wird bei einem Kind nicht halb so fündig wie bei den Mächtigen und Reichen in Davos, die sich Greta nur deshalb einluden, um sich in einem öffentlichkeitswirksamen, performativen Akt die Meinung geigen zu lassen. Anschließend machen sie wieder business as usual. Greta Thunberg weiß das natürlich und verweigert sich jeglicher Einseiferei ("Ich will nicht euren Applaus"). Die Social-Media-Prosa und Kommentare bei YouTube sind unzitierbar. Aber was in den rechtspopulistischen Meinungsportalen geschieht, sollte hier doch einmal beispielhaft wiedergegeben werden. Die folgende Passage stammt von Tichys Einblick, laut Selbstbeschreibung ein "liberal-konservatives Debattenmagazin". Wie immer, wenn ein vermeintlich offenes Diskurskränzchen sich selbst in einer "liberal-konservativen" Schublade sortiert, handelt es sich um ein Paranoiapanoptikum auf Fix-und-Foxi-Niveau: "Greta, das Kind eines erfolglosen Schauspielers und einer verkrachten Popsängerin, die 'auf Oper' macht, wird also, möglicherweise dank gekonnter PR von interessierter Seite, zur Projektionsfläche für Tausende von Kindern frustrierter Altlinker und aggressiver Kommunisten. Von Menschen also, die im Kampf gegen einen von ihnen messerscharf erkannten Klimawandel ein neues Ventil sehen, um aus der Welt des freiheitlichen, sozialen Wohlfahrtsstaates auszubrechen, die ihre Eltern so sehr hassen. Diese Eltern gehören einer Generation an, die noch zu den Anhängern Maos gehörte – und die wiederum von ihren Eltern, die zwischen Stalin und Hitler begeistert gefolgt sind, (Anti)Dinge gelernt haben, die ihnen gar nicht bewusst waren." Greta sagte in Davos: "Ich will, dass ihr in Panik geratet." Es ist ihr gelungen. Zwar anders als sie meinte, aber irgendwie eben doch.
Sie wollen der Diskussion unter dem Text folgen? Hier geht es zum Kommentarbereich. |
|