| | Herzrasen, Kopfschmerzen, Kribbeln in Beinen, Füßen, Armen, Händen: Lange akzeptierte unsere Autorin nicht, was sie wirklich krank machte. © Jan Geng/unsplash.com |
Sie hatte mich im Griff. Ich tat alles, was sie sagte. Nett war sie dabei nie zu mir. "Du genügst nicht", sagte sie zum Beispiel, und das eigentlich ständig. Also habe ich gearbeitet. Tags, nachts, immer. So richtig gefiel ihr das aber auch nicht: "Das ist alles nicht gut. Du kannst nichts", sagte sie. Ich machte also nicht nur sehr viel, sondern das auch noch ständig zweifelnd. Ich war Anfang zwanzig. Ich hatte wenig Zeit und folglich auch wenige Freunde. Und hatte ich mal doch einen festen Freund, dann wurde er zum Diener – im Dienste meiner Angst.
Pass auf mich auf! Hör mir zu! Geh nicht, wenn ich dich brauche. Komm, wenn ich es sage, du, meine Nabelschnur zur Lebensfähigkeit! All das sagte ich zu ihm. Anstrengend war ich und sonst nicht viel. Warum eigentlich, überlegte ich, sollten sich Freunde so wenig bieten lassen wie mich? Hatte mein Partner nicht jemanden Interessanteren verdient als mich? Der Angst und mir erschien das nur logisch. Meinen Partner habe ich verhört, kontrolliert und ihm misstraut.
Die Angst ließ mich ihm in Unterhose und T-Shirt bis zum Bahnhof hinterherrennen. Weil sie und ich seine miese, miese Entscheidung – das Wochenende zu seiner Mutter zu fahren – nicht akzeptierten konnten. Nicht dieses Wochenende! Ich brauch dich! Die Haustür war beim Hinterherrennen ins Schloss gefallen. "Ich habe keinen Schlüssel. Du musst mit mir zurückgehen." Ich habe geweint und gefleht.
Alle haben geguckt.
Das ist Liebe, habe ich gesagt.
Es war Angst.
Es passierte, was passieren musste. Ich überlud mich mit Sorgen und Verpflichtungen und den wiederum dazugehörigen Sorgen, den Verpflichtungen nicht gerecht zu werden. Ich wollte, wollte, wollte. Mein Körper aber wollte schon lange nicht mehr. Mein Herz schien wegzurennen, während ich einfach dastand. Es stolperte. Ich schwitze kalt. Aller Druck, den ich mir Jahre lang gemacht hatte, sammelte sich mit einem Mal in meinem Hals. Globusgefühl nennt man das, weiß ich heute. Damals dachte ich, ich ersticke. 22 war ich. Ich sterbe, sagte ich dem Notarzt.
Ein Jahr lang wurde dieser Verdacht professionell untersucht. Kardiologie. Neurologie. Immer wieder Krankenhaus. Wie ein viel zu großer Embryo lag ich unter meiner Decke. Krankheiten, die zu meinen Symptomen passten, konnte mein Körper innerhalb von Stunden komplett emulieren. Ich musste nur ausreichend darüber lesen. Aber weder für mein Herzrasen, die stechenden Kopfschmerzen, das Kribbeln in Beinen, Füßen, Armen, Händen, ließen sich organische Ursachen finden. Ein Psychiater sprach es aus: "Sie haben eine generalisierte Angststörung." Die Diagnose machte mir – natürlich! – Angst. Denn was, wenn sie ein Irrtum war?
Es dauerte lange, bis ich das Offensichtliche annehmen konnte. Ich kam mir vor wie aus Glas. Würde ich je wieder lebensfähig sein? Ich hatte vergessen, dass ich es einmal war. Ich legte mich sorgsam gepolstert ins Bett. Ich ging nicht mehr raus. Alles war überfordernd. Irgendwann aber – und das ist das Nützliche an der Angst – bekam ich Angst, dass das nun für immer mein Alltag sein würde. Die Angst ließ mich aufstehen und die Angst angehen.
Ich nahm mir vor, Dinge zu tun, vor denen ich mich fürchtete. So trennte ich mich von Überzeugungen, Jobs und Menschen. Immer wieder war ich überrascht, dass ich das konnte. Immer wieder war ich überrascht, dass nichts wirklich Schlimmes passierte. Manchmal war ich gar enttäuscht, dass ich die Dinge, von denen ich dachte, sie dringend zu brauchen, doch nicht brauchte. Abhängig war ich tatsächlich von nichts und niemandem. Außer von mir selbst. In Filmen gibt es Erweckungserlebnisse. Im wahren Leben lernt man, ohne es zu merken. Ich verstand, dass das Gegenteil von Angst nicht Mut ist. Es ist Vertrauen.
Tatsächlich wirkte es bei mir besser als Lorazepam. Es macht selbst hochneurotische Menschen entspannt. Seine Einnahme erfolgt bei mir im täglichen Hinterfragen meiner eigenen Bedürfnisse: Will ich das aus Angst oder um seiner selbst willen? Es lässt mich nachsichtig, ja sogar großzügig sein. Nichts fühlt sich besser an.
Panikattacken habe ich heute nur noch sehr selten. Und wenn ich eine habe, dann weiß ich, sie ist nicht lebensbedrohlich. Sie droht mir nur. Sagt: Leb anders! Sie gibt mir ein Rätsel auf. Löse ich es, löst sich auch die Angst. Meine Ängste zu verlieren, ist ein seltsam angenehmes Gefühl. Ich habe mich ein wenig in meine neue Gelassenheit verliebt. Ich stehe selten in Unterwäsche am Bahnhof. Denn die Stimme, die mich einst anstachelte, macht nun freundliche Witze. Sicher, ich habe einen Teil meines Ehrgeizes verloren. Aber dafür eine Gewissheit gewonnen, die es wert ist, ins Internet geschrieben zu werden: "Krankhafte Angst kann man überwinden. Du kannst das."
Julia Friese (1,70 m) ist Deutschlands größte Popautorin, Musikkritikerin und Kolumnistin. Als Kind war sie kleiner. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8". |
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