Fünf vor 8:00: Das Pendel schlägt zurück - Die Morgenkolumne heute von Matthias Naß

 
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FÜNF VOR 8:00
30.01.2019
 
 
 
   
 
Das Pendel schlägt zurück
 
Es ist eine Zäsur, dass Donald Trump im Haushaltsstreit nachgibt. Er stößt an die Grenzen seiner Macht. Amerikas Liberale finden dagegen ihre Kraft und Stimme wieder.
VON MATTHIAS NASS
 
   
 
 
   
 
   

Zwei Jahre des Leidens an Donald Trump, zwei Jahre der Verzweiflung über den Verfall der amerikanischen Politik. Doch nun hellt sich das Bild auf. Die Kapitulation des Präsidenten in seiner Machtprobe mit Nancy Pelosi, der demokratischen Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus, ist eine Zäsur in der Amtszeit Trumps.
 
Als am vorigen Freitag die Schließung des New Yorker Flughafens La Guardia drohte, weil sich immer mehr Fluglotsen krank meldeten, gab Trump auf. Er wusste, dass er den Shutdown nicht länger durchhalten konnte. 35 Tage lag der Regierungsapparat da schon zu großen Teilen still. Der Präsident hatte die Nation in Geiselhaft genommen, um Haushaltsgelder für den Bau seiner Mauer an der Grenze zu Mexiko zu erzwingen. Regierungsmitarbeiter, die kein Gehalt mehr bekamen, beantragten Arbeitslosenhilfe und gingen zum Essen in die Armenküche.
 
Die Demokraten, die seit den Zwischenwahlen im Herbst über die Mehrheit im Repräsentantenhaus verfügen, gaben keinen Millimeter nach. Sie sahen, wie der Präsident in den Umfragen weiter abrutschte: Zuletzt stimmten nur noch 34 Prozent der Bevölkerung seiner Amtsführung zu. Die ultimative Demütigung war erreicht, als Nancy Pelosi Trumps Rede zur Lage der Nation in der Abgeordnetenkammer zunächst absagte. Wegen des Shutdown, verkündete sie mit Unschuldsmiene, seien nicht genügend Sicherheitsbeamte im Dienst.
 
Die Justiz arbeitet professionell weiter
 
Trump tobte. Die 78 Jahre alte Nancy Pelosi blieb ungerührt. Sie sei fünffache Mutter und neunfache Großmutter, sagte sie, und daher mit Wutanfällen vertraut. Als schließlich sechs republikanische Senatoren dem Kompromissvorschlag der Demokraten für einen vorläufigen Haushalt zustimmten, der nicht einen zusätzlichen Dollar für den Bau der Mauer vorsah, war Trumps Niederlage besiegelt.
 
Am selben Tag umstellten in Florida schwer bewaffnete FBI-Beamte das Haus von Roger Stone, einem der engsten Vertrauten Donald Trumps, und nahmen ihn fest. Sonderermittler Robert Mueller wirft Stone Falschaussagen vor dem Kongress, Einschüchterung von Zeugen und Behinderung von Ermittlungen vor. Zum wiederholten Mal musste der Präsident erfahren, dass auch engste Weggefährten nicht vor dem Zugriff der Justiz sicher sind. Sein früherer Anwalt Michael Cohen und sein ehemaliger Wahlkampfleiter Paul Manafort sind bereits zu Gefängnisstrafen verurteilt worden.
 
Manchen Befürchtungen zum Trotz arbeitet die US-Justiz unter Trump professionell weiter, sich ihrer Unabhängigkeit bewusst. Sonderermittler Mueller setzt seine Arbeit konsequent fort, unbeeindruckt von den Verwünschungen des Präsidenten. Sein Bericht wird in Kürze erwartet.
 
Die politische Gegenbewegung nimmt an Fahrt auf
 
Trump stößt erkennbar an die Grenzen seiner Macht. Mehr noch: Die politische Gegenbewegung nimmt an Fahrt auf. So war es in der jüngeren Geschichte der USA eigentlich immer. Nach Nixon und Watergate, nach Bush Jr. und dem Irak-Krieg – das Pendel schlug zurück.
 
Das zeigte sich bei den Zwischenwahlen im Herbst. Nie war der Kongress jünger, bunter und weiblicher als heute. Und im Wochentakt treten bei den Demokraten nun Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen 2020 an. Unter ihnen sind die Frauen in der Mehrzahl. Elizabeth Warren aus Massachusetts, Kirsten Gillibrand aus New York, Kamala Harris aus Kalifornien, Tulsi Gabbard aus Hawaii – drei Senatorinnen und eine Abgeordnete haben den Kampf um das Weiße Haus aufgenommen.
 
Und damit auch den Kampf gegen Trumps Sexismus. Gut möglich, dass dieser Präsident mit seinem obszönen Gebaren den Weg ebnen hilft für die erste Frau im höchsten Staatsamt. Gegen Hillary Clinton mochte er sich noch mit seinen Beleidigungen behaupten. Aber nach zwei Jahren dürfte es den meisten Amerikanerinnen reichen. Genug der Zumutungen.
 
Moderate Republikaner wenden sich vorsichtig ab
 
Bei den Demokraten jedenfalls wächst der Wunsch nach einer Kandidatin. Wenn sie dazu noch links ist, umso besser. Natürlich hat, wer sich an der progressiven demokratischen Basis durchsetzt, noch lange nicht die Wählerschaft im Mittleren Westen gewonnen. Überhaupt hält das Lager der Konservativen nach wie vor ziemlich zusammen.

Doch die ersten Zerfallserscheinungen werden sichtbar. Während die schrillsten Stimmen im rechten Lager Trump wegen seines Nachgebens im Haushaltsstreit einen Schwächling schimpfen, wenden sich moderate Republikaner vorsichtig ab.
 
Ein Jahr ist es noch bis zum Beginn der Vorwahlen. Und eine Kandidatur von Starbucks-Gründer Howard Schultz, der daran denkt, als Unabhängiger anzutreten, könnte die Demokraten im Rennen ums Weiße Haus die entscheidenden Stimmen kosten. Aber man kann spüren, wie das politische Klima umschlägt. Das liberale Amerika findet in diesen Tagen seine Kraft und seine Stimme wieder.

 


 
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.