10 nach 8: Annabelle Hirsch über "Colette"

 
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02.01.2019
 
 
 
 
10 nach 8


Die Frau wird immer über den Mann erzählt
 
Astrid Lindgren, Paula Modersohn-Becker und nun Colette: Wieder konzentriert sich eine Filmbiografie über eine berühmte Frau vor allem auf deren Liebesleben.
VON ANNABELLE HIRSCH

Colette (Keira Knightley) und ihr erster Ehemann Willy (Dominic West) in der Verfilmung von Wash Westmoreland © DCM
 
Colette (Keira Knightley) und ihr erster Ehemann Willy (Dominic West) in der Verfilmung von Wash Westmoreland © DCM
 
 

In Frankreich ist Sidonie-Gabrielle Colette so etwas wie ein Nationalheiligtum. Die Schriftstellerin gehört zu den wenigen Frauen, nach denen in Paris nicht nur eine Straße, sondern der Platz direkt vor der Comédie-Française benannt wurde. Colette ist auch jene Frau, die Simone de Beauvoir in Le deuxième sexe (Das andere Geschlecht) am häufigsten zitierte und die erste, die in Frankreich ein Staatsbegräbnis bekam.

Als sie im August 1954 starb, strömten die Menschen zu ihrem Sarg im Hof des Palais Royal, um sich von ihr zu verabschieden. Weil sie so wichtig für sie gewesen war. Für die Frauen, weil sie ihnen eine neue Stimme und ein neues Selbstbewusstsein gegeben hatte, aber eben auch für alle anderen. Für alle, die anders waren und durch die Lektüre ihrer Romane vermittelt bekamen, dass es okay war, anders zu sein.

Colette war selbst ganz anders als die meisten Frauen und auch die meisten Männer ihrer Zeit. Sie hatte sich zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts Freiheiten herausgenommen, die sich sonst nur wenige herausnahmen. Sie schrieb Dinge und Gedanken auf, die sich Frauen bis dahin höchstens ganz leise beim Nasepudern zugeflüstert hatten. Und brach damit Türen auf, die man danach nicht mehr so einfach zuschlagen konnte. Sie schrieb Romane, die man in Frankreich als junges Mädchen liest, deren frivoles Genie man aber erst viel später versteht.

Der Film Colette von Wash Westmoreland (Z – The Beginning of Everything, Still Alice – Mein Leben ohne gestern), der nun in Deutschland anläuft, kann all dies kaum vermitteln. Zwar wird mehrmals gezeigt, wie Keira Knightley als Colette ganz wild inspiriert irgendwas in ihr Heftchen schreibt. Auch wird immer wieder der erste Satz aus Claudine in der Schule zitiert: "Mein Name ist Claudine, ich lebe in Montigny; ich wurde 1884 dort geboren; hier werde ich aller Voraussicht nach nicht sterben." Darüber hinaus lernt man über Colettes künstlerisches Werk: nichts. Wenn man vorher nichts von ihr gelesen hat, wird man auch nach diesem Film nicht wissen, weshalb ihre Claudine-Bücher im Paris des Jahres 1900 für solche Begeisterung sorgten; wird nicht verstehen, weshalb in den Folgejahren eine regelrechte Claudine-Hysterie ausbrach.

Zwar legt man ihrer Liebhaberin Missy in den Mund, Colette habe ein "neues Frauengenre" erfunden, nur bedeutet das in diesem Film nicht viel mehr als dass Frauen ihre Haare nun als Bob tragen und alte Herren in Schulmädchenkleidung verführen. Warum Colette vielen jungen Frauen ein Vorbild war, nämlich weil ihre Sprache frech und mutig, aber auch naiv und verträumt und vor allem vollkommen ungekünstelt war, das erklärt der Film nicht. Dem Genie und besonders dem Witz dieser Frau kommt Westmoreland nicht auf die Spur. Denn dafür geht es, wie in fast allen Biopics über Frauen, zu sehr um etwas ganz anderes: nämlich die Liebe.

Nichts gegen die Liebe, Liebe ist toll und natürlich spielt sie im Leben jeder Frau wie auch eines jeden Mannes eine große Rolle, nur erzählt man die Lebens- und Schaffensgeschichten von Männern ja auch nicht um deren Ehefrauen herum. Man zeigt, was sie gemacht und was sie gedacht haben, man zeigt sie als Helden ihrer Zeit und ihrer Zunft. Ganz anders verhält es sich hingegen bei den Biopics über berühmte Frauen. Es scheint fast so, als interessiere man sich, vor allem in letzter Zeit, wo das Genre geradezu explodiert, weniger für die einzelne Frau als für ihre Beispielhaftigkeit. Die Frau wird zum Symbol der Emanzipation. Dass die Person, die Frau hinter dieser Ambition meist vollkommen verblasst, ist offensichtlich egal.

Bei Colette hat sich der Regisseur und Drehbuchautor Westmoreland die bekannteste und wichtigste Beziehung in Colettes Leben, die zu ihrem ersten Ehemann Willy, herausgepickt. An ihr, so muss er sich gedacht haben, lässt sich die Entwicklung vom naiven, gutmütigen Mädchen zur Frau, die sich nimmt was ihr gehört, am besten erzählen, schließlich betrog Willy sie bekanntlich schon kurz nach der Hochzeit und veröffentlichte Colettes Debüts, die Claudine-Reihe, (mit ihrem Einverständnis) unter seinem eigenen Namen.

Dass Colette die Affären ihres Ehemannes im wahren Leben viel cooler nahm als es eine Eifersuchtsszene im Film zeigt und sich sogar mit ihren Konkurrentinnen anfreundete, vor allem aber, dass in Paris jeder wusste, dass sie die wahre Autorin der Claudine-Bücher war, weil Willy daraus gar keinen Hehl machte und sie sich nicht erst mit ihrer Geliebten selbst behauptete, das erklärt die Verfilmung nicht. Es würde die Geschichte, die den Weg von "Unterdrückung" zu "Freiheit" ganz sauber und linear abzeichnen möchte, wohl unnötig komplex machen. Und komplex darf es in Frauen-Geschichten nicht sein.

Unterhaltsam, nett und hübsch – so war Colette eben nicht

Colette reiht sich mit dieser überkonventionellen Erzählung ein in eine Reihe anderer Biopics der letzten Jahre ein: Paula über Paula Modersohn-Becker, Coco Chanel. Der Beginn einer Leidenschaft über die französische Modeschöpferin, Königin der Wüste über die Abenteuerin Gertrude Bell oder zuletzt Astrid über die Jugendjahre von Astrid Lindgren. All diese Filme folgen einer ähnlichen Erzählstruktur: Hübsches junges Mädchen lernt einen Mann kennen, verliebt sich, erlebt durch ihn ihre erste Enttäuschung, beschließt, sich das nicht gefallen zu lassen, kanalisiert die Wut in ihre Kunst und wie durch ein Wunder entsteht dabei etwas Grandioses. Der Ausgangspunkt für das weibliche Werk, überhaupt für das Leben dieser Frauen, ist in diesen unerhört konventionellen Erzählungen fast immer der Mann, von dem sich die Heldin dann befreit. Bei Modersohn-Becker zum Beispiel ist es ihr Otto: Weil der nicht mit ihr schlafen will, verschwindet Paula nach Paris. Es ist nicht die Kunstmetropole, die sie reizt, nein, es ist das Verhalten ihres Mannes, das sie aus Worpswede vertreibt.

Bei Coco Chanel, so stellt es die Regisseurin Anne Fontaine dar, kommt die Idee zum eigenen Hutgeschäft, das später zum Hause Chanel wird, erst dadurch auf, dass Boy Capel sie nicht heiraten kann. Und Gertrude Bell, die immerhin Ende des 19. Jahrhunderts ganz allein durch die Wüsten des Nahen Ostens streifte, soll, so versteht man das bei Werner Herzog, dieses sehr spezielle Leben primär deshalb aufgenommen haben, weil ihr Verlobter verfrüht starb.

Auch was man diesen Frauen in den Mund legt, ist teilweise haarsträubend. Nicole Kidman, die Getrude Bell spielt, muss zum Beispiel am Ende des Films sagen: "Ich bin nur eine Frau, die ihren Mann vermisst." Dass diese Frau da gerade als einzige weibliche Diplomatin mit 39 Männern, darunter Winston Churchill, auf der Kairo-Konferenz 1921 über die Zukunft des Iraks debattiert, tut nichts zur Sache. Denn sie ist eben nur eine Frau, und die braucht einen Mann.

Zum Glück gibt es auch Gegenbeispiele. In dem gerade erschienenen Film Mary Shelley von Haifa Al Mansour zeigt Elle Fanning die Emanzipation der Frankenstein-Autorin wirklich als eine glaubwürdige Entwicklung. Weil sie zeigt, dass die wahre Emanzipation für eine Künstlerin nicht die von einem Mann, sondern von den gesellschaftlichen Konventionen ist.

In Colette ist man von solchen Überlegungen weit entfernt. Alles bleibt oberflächlich und in weiten Teilen sehr gewollt. Der Film ist durchaus unterhaltsam, nett und ganz hübsch. Wäre Colette selbst so nett und hübsch und unterkomplex gewesen, man würde sich heute sicher nicht mehr an sie erinnern. Und kein Platz in Paris würde ihren Namen tragen.

"Colette" läuft ab 3. Januar in den deutschen Kinos.

Annabelle Hirsch, geboren 1986, ist Deutschfranzösin und lebt als freie Autorin in Paris. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8". 


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