Die Regisseure des Parteitags hatten sich wirklich ins Zeug gelegt. Mehrmals hatten die Moderatoren auf der Bühne in der Münchener Olympiahalle den nahenden Gast angekündigt. Die CDU-Chefin komme demnächst, sie komme bald, nun sei sie schon fast da. Auch der letzte Delegierte sollte bemerken, dass das, was jetzt passiert, wichtig wird.
Als Annegret Kramp-Karrenbauer dann tatsächlich den Saal betrat, dröhnte Gladiatorenmusik aus den Boxen, während die CDU-Chefin und der frisch gewählte CSU-Chef Söder Seit an Seit durch ein Spalier rhythmisch klatschender Delegierter schritten, ins Publikum winkten und selbst die Hände schüttelten, die ihnen nicht entgegengestreckt wurden. Begleitet wurden sie von mehreren Kamerateams, die den Einmarsch live auf die Leinwände übertrugen.
Annegret Kramp-Karrenbauer hielt sogleich eine Rede, die man vermutlich konservativ nennen sollte: Der Veganer will euch Bayern die Wurst wegnehmen, die Umwelthilfe das Auto und als Schutzmacht der fleischessenden Autofahrer bleibt, natürlich, nur die Union. Dazu wiederholte sie ein paar Bonmots, die sie schon bei vorherigen Auftritten erprobt hatte: das von den Geschwistern, die sich manchmal streiten, aber zusammenhalten, wenn die Nachbarskinder kommen (es ging um CDU und CSU) und das von der drohenden "kulturellen Selbstverzwergung" (es ging um Weihnachtslieder, die in manchen Kitas nicht mehr ordnungsgemäß abgesungen würden, wobei man sich fragt, was überhaupt Weihnachtslieder im Januar sollen).
Die Delegierten klatschten begeistert, die CSU-Oberen bedankten sich und die Tagesschau sendete später die entsprechenden Bilder ins Land. Alles lief nach Plan. Und so wurde die nächste Stufe des Projekts gezündet, dessen öffentliche Inszenierung man bereits seit einigen Wochen beobachten kann: die große Versöhnung.
Friedensengel Manfred Weber
Vorbei soll die Zeit sein, in der CDU-Politiker im persönlichen Gespräch über die "Idioten aus Bayern" schimpfen und die CSUler über "die Oide da drüben" schnauben, während sie mit dem Kopf abfällig Richtung Kanzleramt wackeln.
Der Friedensengel der zerstrittenen Geschwister ist dabei ein Mann, dem man eine solche Rolle noch bis vor Kurzem kaum zugetraut hätte, der überhaupt nur Brüsseler oder niederbayerischen Insidern ein Begriff war: Manfred Weber. Der CSU-Politiker mit den erstaunlich sanften Reden versteht sich gut mit der Kanzlerin, ebenso gut mit der neuen CDU-Vorsitzenden, er ist der Spitzenkandidat der Konservativen und Christdemokraten für die Europawahl und hat entsprechend gute Chancen, der nächste Präsident der EU-Kommission zu werden. In der CDU freut man sich darüber, dass der Vertraute der Kanzlerin bald auf dem mächtigsten Posten in der EU sitzen könnte, in der CSU freut man sich darüber, dass "unser Manfred" bald in Brüssel sagt, wo es langgeht und "unser Manfred" scheint mit jedem Tag in seiner neuen Rolle ein kleines Stückchen größer zu werden.
Entsprechend friedlich wird auch der Wahlkampf in diesem Jahr verlaufen. Noch vor fünf Jahren hatte Horst Seehofer entschieden, dass die CSU vor der Wahl gleichzeitig europafreundlich (schon damals mit Manfred Weber) und europaskeptisch (mit dem extra dafür hervorgezauberten Peter Gauweiler) sein sollte. Für manche in der Partei war dieses schlingernde Sowohl-als-auch der Prolog einer Identitätskrise, die schließlich in der Niederlage bei der Landtagswahl 2018 mündete.
Das alles ist nun vorbei. Die CSU ist heute mindestens so europabegeistert wie die CDU und lässt überhaupt keinen Zweifel daran, dass sie kräftig mit daran arbeiten wird, dieses Europa gegen die, wie es bereits routiniert heißt, "Populisten und Nationalisten" zu verteidigen.
Der Frieden wird nicht lange halten
Es ist also alles angerichtet, damit die Freundlichkeit zwischen den Unionsparteien in den kommenden Monaten auf bisher ungeahnte Höhen klettert. Nur sollte man sich daran nicht allzu sehr gewöhnen.
Denn das, was die Söder-CSU in diesen Tagen praktiziert, kann man getrost taktische Demut nennen. Wer bei einer Landtagswahl über zehn Prozent verliert, der hat schlicht keine andere Wahl als sich eine nachdenkliche Aura zuzulegen und sich in demonstrativer Reflexion zu üben. Glaubhaft muss er bezeugen, dass er sich auf einem langen, durchaus steinigen Weg der Läuterung befindet, bei dem man es sich wirklich nicht leicht macht, sich auch die "unbequemen Fragen" stellt, zumindest so lang, bis zur Niederlage ein Mindestabstand erreicht ist.
Spätestens mittelfristig allerdings wird sich die Lage verändern. Denn die Sonderstellung der CSU im deutschen Parteiensystem als regional- und bundespolitisches Zwitterwesen ruhte seit jeher auf zwei Säulen: der absoluten Mehrheit in Bayern und einer immer aufs Neue akzentuierten inhaltlichen Distanz zur großen Schwester. Die erste Säule ist nun bereits zerbröselt und nur noch wenige in der Partei glauben daran, dass man in nächster Zeit wieder mit uneingeschränkter Macht in Bayern regieren wird. Umso wichtiger also wird es für die Partei, über inhaltliche Unterschiede ihre Stellung auch in der posthegemonialen Zeit zu sichern.
"Profil mit Stil" hat der neue Vorsitzende Markus Söder seiner Partei versprochen, was zunächst kaum mehr ist als eine schön klingende Formel. Denn Profil kann im Konsens kaum entstehen. Es schärft sich erst in Auseinandersetzungen, in der Konfrontation gegensätzlicher Positionen. Die Profilierung braucht ein Gegenüber. Die SPD kennt dieses Problem nicht erst seit gestern.
Auch wenn sich die christsozialen Wortführer gerade Mühe geben, es zu verstecken: In der CSU hat man noch immer ein präzises Gespür dafür, dass ein Zuviel an Gleichklang zwischen CDU und CSU dem bayerischen Bedürfnis nach Eigenständigkeit und Souveränität entgegensteht – dass es Abgrenzung braucht, um erkennbar zu bleiben und nicht als folkloristisches Anhängsel der großen Schwester zu enden.
Die CSU sah ihre Rolle selbst stets als eine Art konservativer Besenwagen, der alle einsammelt, die nach den Liberalisierungen und Modernisierungen der CDU irgendwie auf der Strecke geblieben waren. Dass dieses Prinzip im vergangenen Jahr scheiterte, heißt nicht, dass man es nicht wieder versuchen wird. Strategisch wäre das nachvollziehbar und demokratietheoretisch gewiss auch sinnvoll. Die Felder zur eigenen Profilbildung muss sich die Partei allerdings erst noch suchen und, wenn sie klug ist, wird sie sich hüten den Fehler des vergangenen Jahres zu wiederholen und Konservatismus mit migrationspolitischer Härte zu verwechseln.
Kramp-Karrenbauer dagegen hat bereits gezeigt, dass sie einem burschikosen Anspruchsdenken durchaus mit kühler Härte entgegentreten kann. Gewiss, die Beziehung zwischen ihr und Söder ist nicht derart geschichtsgetränkt-pathologisch wie die von Merkel und Seehofer. Doch dürfte sie kaum zögern, etwaigen bayerischen Forderungen an gegebener Stelle Einhalt zu gebieten. Allein schon um selbst an Profil zu gewinnen.
Von alledem ist natürlich bislang nichts zu sehen. Noch herrscht kollektive Erschöpfung, noch ist der Frieden eine opportune Strategie. Man könnte sich fast daran gewöhnen.