Fünf vor 8:00: Lernen von Chinas Masterplan - Die Morgenkolumne heute von Theo Sommer

 
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FÜNF VOR 8:00
22.01.2019
 
 
 
   
 
Lernen von Chinas Masterplan
 
Die EU-Kommission will nicht, dass Siemens und Alstom ihre Bahnsparten fusionieren. Doch mit dieser Politik wird Europas Industrie gegenüber China bald zurückfallen.
VON THEO SOMMER
 
   
 
 
   
 
   

Diese Woche gäbe es viel zu kommentieren. Das Drama in London um den Brexit – hart, sanft oder gar nicht. Die Unterzeichnung eines deutsch-französischen Freundschaftsvertrags in Aachen – eine Erneuerung des Elysée-Abkommens, das Charles de Gaulle und Konrad Adenauer vor 56 Jahren unterzeichneten, gedacht als Signal des Aufbruchs in der zerfransenden Europäischen Union. Oder der Bericht der New York Times über Donald Trumps verstörende Drohung, aus der Nato auszutreten – was nach 70 Jahren das Ende der institutionalisierten Atlantischen Gemeinschaft markieren würde.
 
Lauter wichtige Themen. Doch nicht minder wichtig ist ein anderes: die Frage, ob Europa fähig und willens ist, sich im heraufdämmernden chinesischen Jahrhundert zu behaupten.
 
Diese Frage stellt sich gegenwärtig aus Anlass einer eher nebensächlich erscheinenden wettbewerbsrechtlichen Entscheidung der EU-Kommission. Die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager – deren harte Haltung gegen Amerika, Apple und Facebook oder Gazprom allgemeine Zustimmung findet – will gegen die Fusion der Bahntechniksparten von Siemens und Alstom im Februar ihr Veto einlegen. Unterstützt wird sie dabei von den Kartellbehörden der Niederlande, Großbritanniens, Spaniens und Belgiens, aber auch vom Bundeskartellamt in Bonn.
 
Dies allerdings wäre eine absolut falsche, engstirnige, kleinkarierte Entscheidung. Sie würde, um die Konkurrenz in Europa zu erhalten, dem chinesischen Staatsunternehmen China Railroad Rolling Stock Corporation (CRRC) den Sieg im Wettbewerb auf dem Weltmarkt in den Rachen werfen – am Ende auch in Europa.

Die CRRC, gegründet 2015 durch den Zusammenschluss mehrerer Firmen, ist inzwischen der größte Zughersteller der Welt. Ihr Umsatz übersteigt bei weitem den Gesamtumsatz von Siemens und Alstom. Bisher entsteht er zu 90 Prozent in China, doch ist es das erklärte Ziel des Konzerns, den Export zu steigern und den internationalen Markt zu erobern, auch in Europa. Die EU-Wettbewerbskommissarin hält dies für "derzeit eher unwahrscheinlich". Das ist eine eher unbedarfte Ansicht. Siemens könnte der klugen Dänin ein Lied davon singen, wie es CRRC in der Volksrepublik groß gemacht hat und dann rüde an den Rand gedrängt wurde.
 
Die Chinesen haben sich aufgemacht, uns einzuholen und zu überholen. Ihr Masterplan Made in China 2025 ist ein gigantisches Entwicklungsprogramm, das die alten Industriestaaten bis Mitte des nächsten Jahrzehnts abhängen soll. Zehn Schlüsselsparten sollen bis dahin an die Weltspitze gehievt werden: Informationstechnologie, Robotik, Luft- und Raumfahrt, Meerestechnik und Schiffsbau, alternative Automobilantriebe, Energieerzeugung, neue Werkstoffe, Landwirtschaftsmaschinen, Biomedizin und Medizintechnik, schließlich der Hochgeschwindigkeitsschienenverkehr. Dabei greift der Staat den künftigen global champions mit Fördergeldern in Höhe von vielen hundert Milliarden Euro unter die Arme.
 
Chinas Bahn hat inzwischen nicht bloß das längste Hochgeschwindigkeitsnetz der Welt, rund 30.000 Kilometer, die Volksrepublik stellt auch die meisten Züge her. Außerdem bauen die Chinesen rund um den Globus Zigtausende Kilometer Eisenbahnen – in Südostasien, in Russland, der Türkei, im Iran, in Afrika und Lateinamerika, nicht zuletzt auf dem Balkan. Und natürlich liefert CRRC das rollende Material. Ihre Schienenfahrzeuge exportiert sie in über hundert Länder – sogar in die Vereinigten Staaten. Selbst die Deutsche Bahn bestellt schon Rangierlokomotiven mit Hybridantrieb in der Volksrepublik. CRRC will mit Sicherheit auch den europäischen Markt aufrollen. Das kann die EU nicht zulassen.
 
Europäische Champions schaffen
 
Die EU muss sich dringend eine Scheibe von Chinas Masterplan Made in China 2025 abschneiden. Sie braucht ihren eigenen Entwicklungsplan, wenn sie in der globalisierten und digitalen Welt von morgen noch mithalten will. Dies gilt besonders für die Forschungsfelder künstliche Intelligenz, Quantentechnologie, Elektromobilität, autonomes Fahren und Big Data. Peter Bofinger, einer unserer "Wirtschaftsweisen", lässt daran keinen Zweifel: "Wenn man sieht, mit welcher Energie und Konsequenz in China Industriepolitik betrieben wird, erscheint es geradezu fahrlässig, wenn Europa weiterhin darauf vertraut, dass es der Markt schon richten wird."
 
In der Tat ist es höchste Zeit, das, was einmal mit der Schaffung von Airbus und der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) gelungen ist, nun in der IT-Welt zu wiederholen: mit staatlicher Förderung europäische Champions zu schaffen. Deswegen unterstützt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier den Zusammenschluss von Siemens Mobility und der Alstom-Bahntechnik, denn nur mit der Fusion hätten die Europäer auf dem Markt der Hochgeschwindigkeitszüge gegen die Chinesen eine Chance. Auch sein französischer Ministerkollege Bruno Le Maire ist dieser Ansicht. Unlängst sagte er in Köln: "Wären wir froh über ein Europa, in dem wir und unsere Kinder in 30 Jahren in Zügen fahren, die nicht von europäischen Herstellern entworfen und gebaut werden?"
 
Doch es geht hier nicht um Nostalgie. Es geht um die industrielle Zukunft Europas. Kleinkariertes, auf einzelne Staaten oder selbst auf den EU-Markt begrenztes Wettbewerbsdenken kann da nicht weiterhelfen. Der Bezugsrahmen muss heute weltweit gedacht werden.
 
Oder sollte man die marode Deutsche Bahn am besten vielleicht ganz den Chinesen übergeben? Fünfzigtausend chinesische Arbeiter würden sie gewiss binnen zwei Jahren in Ordnung bringen. Nach Feierabend könnten sie gleichzeitig noch dem Berliner Flughafen zur Eröffnungsreife verhelfen – Flughäfen bauen können die Chinesen ja auch wie sonst niemand.

 


 
WEITERFÜHRENDE LINKS

Süddeutsche Zeitung Europa braucht den Zug-Giganten
Frankfurter Allgemeine Zeitung Keine Krücken für die Champions
Le Monde Fusion Alstom-Siemens: à Bruxelles, Margrethe Vestager prépare sa defense
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.