Die ganze Welt wird von einer Springflut des Nationalismus erfasst, Versöhnung, Entspannung und Kompromisse kommen aus der Mode. Die ganze Welt? Eine Regierung beliebt gegen die Flut zu schwimmen: in Griechenland. In der vergangenen Woche hat der griechische Premierminister Alexis Tsipras einen historischen Vertrag durch das Parlament gepaukt. Mit drei Stimmen Mehrheit entschieden sich die griechischen Abgeordneten für das Prespa-Abkommen mit dem nördlichen Nachbarstaat. Nordmazedonien wird das Land künftig heißen, das die Griechen, Griechinnen und internationale Organisationen bisher umständlich FYROM (für "Ehemalige jugoslawische Republik Makedonien") nannten. Der Namensstreit zog sich fast drei Jahrzehnte hin. Er blockierte die Aufnahme Nordmazedoniens in die Nato und die Annäherung an die EU. Er bot Russland Gelegenheit zur Einmischung und vergiftete das Verhältnis der beiden Länder. Griechen vereinnahmten die antike mazedonische Geschichte für ihren modernen Staat. In Skopje stellte man Denkmäler auf, um den albernen Geschichtsraub perfekt zu machen. Der Mazedonien-Zoff war Nationalismus pur. Vorbei! Endlich! Wie hat ausgerechnet der Tsipras das hingekriegt? Hatte er nicht vor vier Jahren mit Marktschreierei und Kompromisslosigkeit die Einheit der Eurozone aufs Spiel gesetzt? Und jetzt macht er plötzlich einen auf Willy Brandt und münzt die Einsicht in die Notwendigkeit in kluge Politik um? So wie einst die Ostpolitik die Entspannung in den deutsch-deutschen Beziehungen und die Annäherung zwischen Ost und West ermöglichte. Das Prespa-Abkommen ist die erste richtig gute Botschaft aus Europa für die Welt seit langer Zeit. Dass sie bemerkenswerterweise von dieser Regierung kommt, hat drei Gründe. Tsipras ist ein Linker. Tsipras hat Nerven wie Stahlseile. Tsipras hat Mut. Klingt pathetisch, aber ist hier mal gerechtfertigt. Tsipras ist ein Linker, aber einer, der nicht zu links ist, um Kompromisse zu schließen. Der Mazedonien-Streit ist ein Leib- und Magenthema der Rechten. Erfunden hat ihn in Athen der ehemalige Außenminister und spätere Premier Antonis Samaras. Der Populist peitschte damals die Emotionen hoch, Kirchenmänner und Konservative trällerten freudig mit. Auch heute sind es an vorderster Front Rechte, die mobil machen gegen das Abkommen. An der düsteren Balkangrenze im Norden Frieden und Ausgleich zu suchen, ist seit Langem Sache der griechischen Linken. In den Achtzigerjahren erlaubte der damalige Pasok-Premier Andreas Papandreou ausgebürgerten Griechen die Rückkehr nach Griechenland. Sie waren im Bürgerkrieg 1944–46 geflohen oder vertrieben worden. Tsipras setzt die Tradition nun fort und krönt sie mit dem historischen Ausgleich an der Nordgrenze. Das wäre nicht möglich gewesen ohne sein Gegenüber, den nordmazedonischen Premier Zoran Zaev, einen Sozialdemokraten. Unter Halblinken waren sich die beiden Ministerpräsidenten einig, dass der Streit beiden Ländern viel mehr schadet als irgendwelchen Nutzen bringt. Für sie und ihre Wählerklientel war das ganze Mazedonien-Gedröhn nie ein zentrales Anliegen. Die Herausforderung lag darin, den Vertrag gegen massive Widerstände durchzusetzen.
Lange Zeit sah es so aus, als würde das Abkommen in Griechenland krachend scheitern. Nach der Unterzeichnung am 12. Juni 2018 am Prespasee begann eine schier unendliche Serie von Demonstrationen, Streitereien, Verteufelungen. Tsipras bewies wieder einmal, dass er durchhalten kann. Das hat er schon in der Europolitik gezeigt. Nach seiner Wende ins Seriös-Sozialdemokratische zog er die Reformen durch und warf das Griechenland aufgestülpte Sparprogramm 2018 ab. Genauso hartnäckig und gradlinig hat er das Prespa-Abkommen gegen alle Hysterien und Frontalangriffe verteidigt. Er war dabei geradlinig, aber nicht immer überzeugend genug. Kritikerinnen und Kritiker werfen ihm vor, dass er in einer wichtigen national-emotionalen Sache nicht genügend Menschen mitgenommen hat. In Griechenland erhob sich ein Sturm der Entrüstung, der bis zu 70 Prozent der Griechen glauben lässt, dass Tsipras hier die nationale Sache für ein Butterbrot verkaufe. Hier kam sein Mut ins Spiel. Tsipras, der sich in Europa einst einen Namen als Populist gemacht hat, lief nicht dem Volk hinterher, sondern seiner persönlichen Überzeugung. Dabei ging seine Popularität in Griechenland in den Keller. Dabei zerbrach seine Koalition mit der populistischen Anel und seine Parlamentsmehrheit. Nun steht auch seine politische Zukunft auf dem Spiel. Denn Griechenland wählt in diesem Jahr. Nach den Umfragen trottet Tsipras abgeschlagen hinter dem konservativen Herausforderer Kyriakos Mitsotakis her. Der Chef der Nea Dimokratia hatte (obwohl er persönlich kein Populist und Nationalist ist) opportunistisch gegen Prespa Stimmung gemacht. Wird Tsipras in diesem Jahr noch abgewählt, darf er sich trösten. Er hat Geschichte gemacht. Mehr Willy Brandt zu wagen, könnte auch anderen Europäerinnen und Europäern dieser Tage gut zu Gesicht stehen. |
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