10 nach 8: Laura Dshamilja Weber über die Frauenbewegung

 
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22.01.2019
 
 
 
 
10 nach 8


Tausche Butler gegen Beyoncé
 
Feminismus ist jetzt Teil der Popkultur. Slogans prangen auf Jutebeuteln und T-Shirts. Ob das ein Fortschritt für die Bewegung ist, wird vor allem in den USA diskutiert.
VON LAURA DSHAMILJA WEBER

Ist es schon Girl Power, ein T-Shirt zu kaufen? © Kevin Grieve/unsplash.com
 
Ist es schon Girl Power, ein T-Shirt zu kaufen? © Kevin Grieve/unsplash.com
 
 

Seit 2015 lebe ich in den USA und konnte beobachten, wie sich der amerikanische Feminismus in dieser Zeit verändert hat. Feministin zu sein ist zum Trend geworden. Im Schatten von Massendemonstrationen schrumpft das Erbe feministischer Pionierinnen auf Slogans wie "The Future is Female" oder "I’m with Her" zusammen. Der Feminismus hat sich von einer politischen Bewegung zu einem sentimentalen Popphänomen verschoben, ist mehr Beyoncé-Konzert als Butler-Lesekreis. Klar, die einst radikale politische Bewegung wird durch diese öffentliche Performance eines schillernden Popfeminismus inhaltlich ziemlich reduziert und historisch simplifiziert. Aber ist das wirklich so eine schlechte Entwicklung?

Wie jede andere Form politischen Aktivismus im 21. Jahrhundert macht sich auch der Feminismus soziale Netzwerke zu nutzen. Feministinnen wie Roxane Gay, Lena Dunham, Laurie Penny, Caitlin Moran oder Tarana Burke erreichen mit ihren aufklärenden, inspirierenden und tröstenden Posts auf Instagram die Massen. Der Zugang zu feministischen Diskussionen ist dadurch viel unmittelbarer und schneller geworden. Man muss nicht zu Vorlesungen oder Lesekreisen fahren, komplizierte theoretische Bücher studieren oder verzweifelt Gleichgesinnte suchen. Es genügt der Tweet einer bekannten Persönlichkeit über ihre eigene traumatische Erfahrung, um bei Millionen von Usern Gefühle wie Betroffenheit, Empathie und Solidarität auszulösen.

Und auch die Mode- und Unterhaltungsindustrien reagieren darauf und versuchen, aus der neuen Sensibilität gegenüber feministischen Inhalten Profit zu schlagen. Überall werden T-Shirts und Leinenbeutel mit "Girl-Power"-Sprüchen angeboten. In den Buchhandlungen gibt es inzwischen nicht nur ein Regalbrett mit feministischer Literatur, sondern gleich eine ganze Abteilung. Seit Trumps Präsidentschaft sind die Verkaufszahlen von kanonischen Texten wie Margaret Atwoods The Handmaid’s Tale oder neuere Schriften wie Chimamanda Ngozi Adichies Manifest We Should All be Feminists regelrecht durch die Decke gegangen.

Spotify und AppleMusic bieten wöchentlich Playlisten mit den "Top Feminist Songs" an, worunter sowohl Mainstreammusikerinnen wie Taylor Swift und Katy Perry als auch einige tatsächlich politisch engagierte Sängerinnen wie Macy Gray und Janelle Monáe gelistet sind. Prominente, die sich öffentlich als Feministinnen identifizieren, werden als fortschrittliche Künstlerinnen gefeiert. Das Bild der verpönten, männerhassenden Emanze ist durch eine starke, selbstbewusste und coole Frau ersetzt worden, die ihre politische Einstellung mittels hübscher Werbeartikel und Memes stolz der Welt mitteilt.

Die Frage ist nur, was dieser Mainstreamfeminismus bewirken kann. Handelt es sich dabei nur um einen vorübergehenden Trend oder um eine nachhaltige Bewegung? Ist Feminismus zu einer Performance reduziert worden? Jessa Crispin, die Autorin von Warum ich keine Feministin bin, warnt davor, dass der Feminismus seine politischen Ziele aus den Augen verloren habe und Gefahr laufe, sich selbst zu entleeren.

Es stimmt, dass sich gerade die Onlinediskussionen viel häufiger mit abstrakten Forderungen nach Gleichheit, Konsens oder Selbstbestimmung beschäftigen als mit konkreten Programmpunkten wie finanzieller Gleichstellung, reproduktiver Selbstbestimmung, staatlich subventionierter Kinderbetreuung oder geschlechtergerechter Sprache. Im Gegenteil zu früher erscheint der heutige Popfeminismus unpolitisch, konform, polemisch und vor allem massentauglich. Aber liegt das Potenzial zur gesellschaftlichen Veränderung in einem präzise formulierten, radikalen politischen Programm oder in der Mobilisierung von Massen?

Feminismus macht plötzlich Spaß

Gloria Steinem, seit den Siebzigererjahren eine der einflussreichsten Feministinnen in den USA, nimmt die Entradikalisierung und Entpolitisierung zugunsten einer Massenbewegung in Kauf. Sie ist begeistert von #MeToo, denn zum ersten Mal sei Feminismus keine Rand- sondern eine Massenbewegung. Und tatsächlich waren während der Zwischenwahlen im vergangenen Herbst die ersten handfesten Resultate der Bewegung zu sehen: Noch nie haben sich so viele Frauen auf politische Ämter beworben. Von den 277 Kandidatinnen sind 125 in den US-Kongress oder das Repräsentantenhaus eingezogen. Eine von ihnen, Alexandria Ocasio-Cortez, hat mehr als vier Millionen Follower auf diversen Social-Media-Kanälen und beweist damit als jüngste Politikerin des Kongresses, wie man die neuen Spielregeln des Feminismus erfolgreich einsetzt.

Feminismus ist aus der politischen und theoretischen Sphäre herausgetreten und hat ein neues Gewand angelegt: Er macht plötzlich Spaß und er macht die Frauen stolz, ist vom Kopf in die Bauchgegend gerutscht. Obwohl sich nur die wenigsten mit den historischen und soziokulturellen Strukturen des Patriarchats auseinandersetzen wollen, spüren doch mehr Amerikanerinnen denn je den Frust, nicht gleichberechtigt an der Gestaltung des gesellschaftlichen und privaten Lebens beteiligt zu sein. Und selbst wenn Kritikerinnen wie Jessa Crispin zu Recht besorgt sind um die Banalität und Kommerzialisierung der aktuellen popfeministischen Debatte, so können sie den Erfolg dieses Mainstreamfeminismus unmöglich leugnen: Frauen haben sich ein neues Selbstverständnis erkämpft, das in der nächsten Generation wachsen kann.

Es muss Common Sense werden, dass Frauen Anspruch auf einen Platz in der Welt und ungehinderten Zugang zu allen ökonomischen Ressourcen haben. Und dass sie jenseits ihrer Körper als gesellschaftliche Akteurinnen wahrgenommen werden. Die Mädchen und Frauen, die auf dem Women’s March laut ihre Rechte eingefordert haben, haben nicht im metaphorischen Sinne erlebt, was es heißt, eine Stimme zu haben – sie haben tatsächlich eine. Auf dieser emotionalen wie physischen Erfahrung von Betroffenheit und Solidarität lässt sich auch politisch etwas aufbauen.

Und darum geht es doch. In unterschiedlichem Maße leiden alle Frauen an den gleichen Erfahrungen von Sexismus und Benachteiligung. Neu ist nur, dass sie diesen Kampf nicht mehr wie früher im Privaten, jede für sich, sondern öffentlich als Kollektiv angehen können. Feministin zu werden, ist eine Entwicklung, und die Songs von Beyoncé, der TED-Talk von Adichie oder die Tweets von Emma Watson haben womöglich bei Millionen von Frauen und Mädchen, Männern und Jungs den ersten Schritt in die richtige Richtung ausgelöst. Ich zumindest frage mich heute nicht mehr, will ich überhaupt Feministin sein? Ich frage mich, was für eine Feministin will ich sein?

Laura Dshamilja Weber, geboren 1989 in München, arbeitet als Literaturscout in New York. Nach dem Literaturstudium in Berlin und London zog sie 2015 in die USA. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8".


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10 nach 8
 
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