Kiyaks Deutschstunde: Das Olle von Zwoachtzehn

 
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Kiyaks Deutschstunde
02.01.2019
 
 
 
 
Was meinen Politiker, wenn sie sagen, was sie sagen? Und: Was meinen sie wirklich? Mely Kiyak sagt’s Ihnen!


Das Olle von Zwoachtzehn
 
Der Auftritt der Kanzlerin nach einem Jahr allgemeiner politischer Niedertracht verfolgte bloß ein Ziel: das fehlerfreie Ablesen eines Texts von gestern.
VON MELY KIYAK


Entschuldigung, aber man möchte sofort den Namen der Redenschreiber wissen, die diese alles in allem rhetorische, politische, ästhetische und mediale Vollkatastrophe namens "Neujahrsansprache der Kanzlerin" verantworten. In der Regel handelt es sich bei den Redenschreibern deutscher Spitzenpolitiker um einen Mix aus ehemaligen Journalisten und Referenten. Einige sind einem branchenbedingt namentlich natürlich bekannt. Aber nie traut man sich ihre Namen zu nennen, weil man sich in der Rechtslage nicht auskennt. Wird man mit einer Millionenklage überrollt, wenn man, wie bei Biografen berühmter Prominenter, den Ghostwriter bekannt gibt?
 
Redenschreiber sind häufig Autoren, deren Talent im Angepasstsein liegt. Niemand holt sich geniale Schreiber ins politische Haus, denn spitzfindige und gelehrte Autoren sind niemals gut im Harmonieren, sondern besser im Querulieren. Das muss so sein. Entweder schreibt man einen ehrlichen Text oder man verfasst eine Rede, die möglichst viele Wähler anspricht und einen Querschnitt der Interessen bedient. Abgesehen davon gibt es in Deutschland, anders als in Amerika oder Großbritannien, keinen Politikerehrgeiz, durch Reden zu glänzen. Würde man in Deutschland Wert darauf legen, rhetorisch exzellent aufzufallen, wäre das Erste, das man im System Reden-schreiben-in-der-Politik aufgeben müsste, die Praxis, sich ehemalige Politikredakteure ins Amt einzuladen.
 
Und da man schon einmal dabei ist, das neue Jahr schonungslos ehrlich zu beginnen, weil man sich gegenseitig geschworen hat, immer aufrichtig zueinander zu sein: Warum ist die neue Das Erste Mediathek eigentlich so ein sagenhaftes Desaster? Wie kann es sein, dass egal welches Video man in der nagelneuen öffentlich-rechtlichen ARD-Mediathek anklickt, das ruckelfreie Abspielen eines Videos vollkommen unmöglich ist? Jede Autofahrt auf einem Trampelpfad in der Peripherie Bulgariens oder Rumäniens verläuft geschmeidiger als die sechseinhalbminütige Neujahrsansprache der deutschen Bundeskanzlerin.
 
Es buffert und buffert
 
Ja, ja, die Internetverbindung, werden jetzt die Verantwortlichen sagen. Klickt man die Seite an, steht man wie vor einem Memoryspiel mit abgedeckten Karten. Nach und nach laden sich die Vorschaubilder und zeigen das Bild. Boah, Deutschland! Da sitzt man also und sieht die Kanzlerin über das "schwierige, politische Jahr" referieren, über "die Schicksalsfrage des Klimawandels" und die "Steuerung und Ordnung der Migration" sprechen, und der Text wäre auch in einer technisch einwandfreien Version eine körperliche und geistige Qual, aber weil das Video buffert und buffert, dauert es eine Ewigkeit, bis man den ganzen Schlonzes überstanden hat.
 
"Das Ringen um die besten Lösungen", "Die Lehre aus den zwei Weltkriegen und des vergangenen Jahrhunderts", mannomannomann! Das gab es in der Geschichte der Neujahrsansprachen durchaus einige Male. Dass nämlich die falschen Bänder eingelegt und eine alte statt einer neuen Ansprache gesendet wurde. Wie kann es sein, dass eine Rede nicht einen einzigen Satz erhält, der nicht schon einmal genau so gesprochen oder gemeint wurde? Man schaut, ob diese Version wirklich neu oder schon sehr alt ist, weil sie wie ein aufgewärmter Erbseneintopf aus der berühmten THW-Kanone schmeckt, wo die Suppen immer auch ein wenig von dem Aroma des Gulaschs aus dem vorigen Notfalleinsatz enthalten.
 
Dann entdeckt man den neuen Lieblingssatz der Kanzlerin: "Wir alle stehen in der Zeit." In der Verlagswelt gibt es für so etwas den Lektor, der dann daneben schreibt "is' wahr?", und man müsste sich den Satz erneut vorknöpfen, aber wir sind hier in der Welt der Redenschreiber. Da meint man, es wäre ein Kracher die Kanzlerin diesen Satz sprechen zu lassen, weil man damit schon einmal gute Erfahrungen machte. Bei Merkels CDU-Bundesparteitagsrede vom Dezember. Hier und da fanden nämlich einige Kommentatoren, dass "in der Zeit stehen" ein poetischer Knüller sei, und weil es für diese Rede zu Recht viel Lob gab, warum nicht einfach wiederholen? Warum nicht einfach alles wiederholen? Die Begeisterung für Alexander Gerst kam doch auch super an.
 
War das dieser eine subversive Moment?
 
Und so füllen sich die Sendeminuten mit dem ollen Gulasch von Zwoachtzehn, denn man will natürlich nicht die Wahrheit sagen über dieses Land und sein Volk. Dass es nervlich am Limit ist. Da steht also die Kanzlerin in diesem überaus schicken, silbernen, maßgeschneiderten Jackett, mit dem sehr adretten Revers, steht so was von nicht in der Zeit und spricht in Floskeln. Es ist, als hätte jemand einen vollen Flakon Angel von Mugler oder Sun von Jil Sander gesprüht, und die vermeintlich massentauglichen Sätze setzen sich in der Luft fest – man kippt ohnmächtig zur Seite weg. Man hatte es irgendwie frischer in Erinnerung.
 
Soll man noch die Kameraeinstellung kommentieren? Weil das Publikum nicht gewöhnt ist, sechseinhalb Minuten einem Menschen beim Reden zuzuhören, wird die Kamera bedeutungsvoll an Merkels Körper heran- und wieder weggezoomt. Demokratie lebe davon, dass Staatsdiener sich fragen und prüfen (die "Staatsdienerin"! Auch so ein verzweifelter Versuch an den Erfolg anzuknüpfen, den sie mit dem Begriff hatte, als sie ihn bei der anderen, der guten Rede, verwendete). Sie habe das getan, also sich zu prüfen und zu hinterfragen, "ich habe das getan", die Kamera zoomt heran, weil sie "ich" sagt. Außerdem ist völlig klar, dass im Teleprompter "lächeln" steht, denn nun lächelt sie, und man erschreckt sich zu Tode: Text und Mimik könnten nicht weiter auseinander sein als jetzt. Musste sie wirklich auch noch lächeln, um dieses "ich" optisch medial maximal aufzuwerten?
 
Braun statt grün
 
Später wird es kurz unangenehm. Da werden nämlich die "Mittel für die humanitäre Hilfe" erhöht. Die Kamera geht auf Distanz, zwischen Wahlvolk und Kanzlerin stehen nun wieder Tischplatte, Arbeitsmodus, Zweckgemeinschaft. Wenn schon das Konzept "Mehr Geld für Afrika" den Deutschen als nötige Maßnahme verkauft werden muss, dann ganz vorsichtig, von ganz weit weg. Und den Bildrand bitte nur so abschneiden, dass die Europafahne zur Not weg kann, aber niemals, wirklich niemals die schwarz-rot-goldene Fahne verlassen. Das ist der äußerste rechte Bildrand, da verläuft nämlich die alles entscheidende Grenze. Das ist jetzt zugegebenermaßen ein Kalauer, aber selbst Alexander Gersts Bilder aus dem Weltraum auf Deutschland und die Welt, die in die Ansprache hineingeschnitten werden, zeigen, dass es in diesem Sommer ungewöhnlich "braun statt grün aussah". Sagt die Kanzlerin, und man hofft, dass es dieser eine subversive Moment ist, nach dem man sich so sehnt. Doch man ahnt, dass man irrt.

Der Auftritt der Kanzlerin nach einem Jahr allgemeiner politischer Niedertracht in den Parlamenten und auch im politischen Untergrund, verfolgte bloß ein Ziel: das fehlerfreie Ablesen eines toten Textes. Ein Auftritt, dessen größte Herausforderung darin bestand, so zu tun, als spreche Angela Merkel frei und ohne Lesehilfe. Das Revers ihres Neujahrsjacketts aber – nicht dass das in der Kritik untergeht – war wirklich ausgesprochen zeitlos, schön und elegant.


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