Fünf vor 8:00: Die Verteidigung der westlichen Ordnung - Die Morgenkolumne heute von Matthias Naß

 
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FÜNF VOR 8:00
09.01.2019
 
 
 
   
 
Die Verteidigung der westlichen Ordnung
 
In den USA stößt Donald Trump an die Grenzen seiner Macht. Jetzt ist es an den Europäern, auch diesseits des Atlantiks dem Populismus und Nationalismus entgegenzutreten.
VON MATTHIAS NASS
 
   
 
 
   
 
   

Gute Wünsche zum Jahresbeginn – die Akteure der internationalen Politik nehmen sie dankbar entgegen. Woraus sonst sollten sie Hoffnung schöpfen? 2018 war schlimm genug, müssen sie überall lesen, aber 2019 wird schrecklich. Die Apokalyptiker – Trump sei's gedankt – haben Hochkonjunktur. Wenn schon nicht das Abendland, dann steht doch die westlich geprägte Weltordnung vor dem Untergang.
 
So schreibt der Spiegel: "Die Welt nach Amerika ist chaotisch, beängstigend und gefährlich." Und diese Welt erwartet uns keineswegs erst in einer fernen Zukunft, sie hat längst begonnen. "Denn die Welt nach Amerika ist die gegenwärtige Welt."
 
Nun ist in den letzten Tagen des alten Jahres tatsächlich einiges zusammengekommen. Die Art und Weise, wie Donald Trump den Truppenrückzug aus Syrien und die Verringerung der militärischen Präsenz in Afghanistan verkündet hat – gegen den Rat des Pentagons, ohne vorherige Information des Kongresses und ohne Konsultation der Verbündeten –, war verstörend. Verteidigungsminister James Mattis, dessen Verhältnis zum Präsidenten seit Langem zerrüttet ist, quittierte den Dienst. 
 
Mattis' Rücktrittsschreiben an den Präsidenten ist ein Lehrstück, wie man in der Demokratie mit übertragener Verantwortung umgeht: "Da Sie ein Recht auf einen Verteidigungsminister haben, dessen Ansichten (…) den Ihren besser entsprechen, halte ich es für richtig, von meinem Posten zurückzutreten."
 
Die "checks and balances" funktionieren
 
Viele Beobachterinnen und Beobachter sehen nur das irre Treiben Trumps im Weißen Haus, die Sprunghaftigkeit und Inkompetenz, das Cholerische und Ordinäre dieses Präsidenten. Sie unterschätzen, wie viele Politiker, Beamte, Diplomaten oder Militärs von ähnlicher Charakterstärke wie James Mattis bis auf den heutigen Tag in der US-Regierung ihren Dienst tun.
 
Vor allem aber nehmen sie nicht wahr, dass die checks and balances wirklich funktionieren. Der Kongress, in dem die Demokraten das Abgeordnetenhaus zurückerobert haben, setzt Trump Grenzen. Der Sonderermittler Robert Mueller, der sich bisher schon vollkommen unbeeindruckt gezeigt hat vom Zetern des Präsidenten, bekommt nun kräftigen parlamentarischen Rückhalt. Die Justiz und die Medien sind in den vergangenen beiden Jahren ihrer Aufgabe auf vorbildliche Weise gerecht geworden.
 
Es gibt die Tweets des Donald Trump, und es gibt die Wirklichkeit. Beides hat oft nicht viel miteinander zu tun. Als Präsidentschaftskandidat hat Trump die Nato für "obsolet" erklärt, als Präsident hat er die Alliierten beschimpft und beleidigt. Zugleich aber haben die USA ihre Ausgaben für die europäische Sicherheit gesteigert; seit dem Amtsantritt Trumps hat sich die Zahl der US-Truppen in Europa nicht verringert, sondern erhöht.
 
Über einen Abzug aus Syrien nachzudenken, ist legitim
 
Der angekündigte Truppenrückzug aus Syrien soll nun auch schon wieder nicht so rasch kommen. Im Übrigen, selbst wenn der Stil der Ankündigung indiskutabel ist: Über einen Rückzug der USA aus Syrien – und aus Afghanistan – nachzudenken, ist legitim. Amerikanische Soldaten stehen inzwischen seit 17 Jahren in Afghanistan, und die Taliban sind heute stärker als im Jahr 2001. Da stellt sich schon die Frage, wie lange man bleiben will, und mit welchem Ziel.
 
Ben Rhodes, einer der engsten Sicherheitsberater Barack Obamas, unterstützt Trumps geplanten Rückzug. Obama selbst hatte sich das Ziel gesetzt, die von George W. Bush begonnenen oder ausgeweiteten Kriegseinsätze zu beenden. Rhodes hat übrigens ein sehr lesenswertes Buch über Obamas Präsidentschaft geschrieben. Die quälende Entscheidung über ein militärisches Eingreifen in Syrien spielt darin eine große Rolle.

Nein, eine solche Rückzugsdebatte ist nicht zu kritisieren. Sie muss allerdings seriös geführt werden, nicht wie bei Trump impulsiv und frei von historischer und sicherheitspolitischer Kenntnis. Verantwortungslos ist es, in Syrien und Afghanistan auf das Beste zu hoffen und ansonsten zu einer Lösung der Konflikte politisch wenig beizutragen. Das ist bisher die europäische Haltung.
 
Wie überhaupt das Lamentieren in Europa über den Irrsinn im Weißen Haus wenig hilft. Die amerikanischen Wählerinnen und Wähler werden schon für die notwendigen Korrekturen sorgen, die Zusammensetzung des neuen Abgeordnetenhauses, das nie so jung, so weiblich, so bunt war, macht da Mut.
 
Steve Bannon will bei der Europawahl mitmischen
 
An den Europäern ist es, auf dieser Seite des Atlantiks den Kampf gegen Populismus und Nationalismus aufzunehmen. Gelegenheit dazu bietet sich bei den Europawahlen im Mai. Die Rechte mobilisiert bereits, sie will die Wahlen zur Abstimmung gegen den Euro, gegen die Einwanderung, gegen das europäische Projekt selbst machen. Auch Donald Trumps Ex-Berater Steve Bannon will bei dieser Wahl über die von ihm gegründete rechtspopulistische Organisation The Movement mitmischen.
 
Die westlich geprägte Weltordnung ist dem Untergang noch lange nicht geweiht. Vorausgesetzt, die Bürger des Westens wachen endlich auf und überwinden ihren apolitischen Schlendrian. Demokratie, Bürgerrechte, Sozialstaat, Klimaschutz – sie müssen schon verteidigt werden. Wenn wir – wie viele junge Briten bei der Brexit-Abstimmung – eher gleichgültig auf das diesmal wirklich wichtige Europa-Votum schauen; wenn Donald Trump uns schockiert, Boris Johnson, Matteo Salvini und Viktor Orbán uns aber nicht weiter kümmern – dann ist uns nicht zu helfen.
 
Denn eins ist klar: Die "Welt nach Europa", sie wäre für uns wirklich chaotisch, beängstigend und gefährlich.

 


 
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.