| »Ich ertrage es nicht mehr, ohnmächtig zu Hause zu sitzen«
Wenn die Besatzung des Rettungsschiffs »Sea-Eye« im Mittelmeer Flüchtlinge in Seenot entdeckt, ist der Hamburger Gorden Isler einer der Ersten, die mit dem Schlauchboot hinfahren und Rettungswesten verteilen. Gestern brach der 35-jährige Finanzberater aus Eidelstedt zu einem neuen Rettungseinsatz auf. Kurz vorm Ablegen hat er mit uns gesprochen – und uns erklärt, warum die Lage vor Ort immer gefährlicher wird. Elbvertiefung: Herr Isler, die Grenzschutzagentur Frontex wirft Ihnen vor, Schlepper zu unterstützen… Gorden Isler: Das ist Unsinn. Wir hatten noch nie mit Schleusern Kontakt, keiner NGO wurde nachgewiesen, dass sie je mit den Banden kooperiert hätte. Wir sind keine Kriminelle, im Gegenteil: Wir halten uns an das Völkerrecht, denn laut dem UN-Seerechtsübereinkommen hat jeder Mensch auf See die Pflicht, Menschen in Not zu helfen. Der Vorwurf ist unverantwortlich, denn er gefährdet leider unseren Rückhalt in der Bevölkerung, die uns mit Spenden finanziert. EV: Dann fahren Ihre Boote nicht immer näher an die libysche Grenze heran und erleichtern so Schleppern die Arbeit? Isler: Nein, es gibt eine 12-Meilen-Zone zwischen Küste und hoher See, die für uns tabu ist, wir fahren nur in internationalen Gewässern. Und die Menschen flüchten ja nicht deshalb, weil Retter da sind, sondern weil ihre Not so groß ist. Als die Mission Mare Nostrum der italienischen Küstenwache Ende 2014 auf Druck europäischer Politiker eingestellt wurde, fuhren trotzdem weiter Flüchtlingsboote aufs Meer. Tausende ertranken. Das Geschäftsmodell der Schleuser braucht also keine NGOs. EV: Auch von anderer Seite kommt Druck: Italien hat Ihnen einen »Verhaltenskodex« vorgelegt, der Sie dazu verpflichtet, bewaffnete Polizisten an Bord zu nehmen. Einige NGOs fühlten sich kriminalisiert, Sie von »Sea-Eye« haben unterschrieben. Warum? Isler: Weil wir auf die Kooperation mit der italienischen Küstenwache angewiesen sind, deren Unterstützung aber an den Kodex geknüpft wurde. Da blieb uns gar nichts anderes übrig als zuzustimmen. Geändert hat sich für unsere Arbeit bisher aber wenig. Ich sehe in dem Kodex eher einen symbolpolitischen Akt, denn in Italien ist gerade Wahlkampf, und das Land wird von anderen EU-Staaten mit der Last der Fluchtbewegung völlig allein gelassen. Und mit italienischen Polizisten als Schutz gegen die Libyer würde ich mich, ehrlich gesagt, sogar sicherer fühlen. EV: Wieso das? Isler: Es gibt immer wieder Probleme mit libyischen Milizen, die den NGOs gerettete Flüchtlinge auf hoher See regelrecht abjagen und diese zurück nach Libyen bringen wollen. Das ist extrem gefährlich. Ich selbst habe zum Glück noch keinen Zusammenstoß erlebt, die Mission Lifeline, eine private Seenotrettungsinitiative aus Dresden, wurde Ende September aber von der libyischen Küstenwache beschossen. EV: Sie machen dennoch schon beim dritten Rettungseinsatz mit. Warum? Isler: Ich kann nicht anders. Gerade weil sich politisch nichts ändert, ertrage ich es nicht mehr, ohnmächtig zu Hause zu sitzen. Zum Glück halten meine Familie und Kollegen mir den Rücken frei – als Selbstständiger kann ich mir freinehmen, andere Helfer opfern ihren Urlaub für den Einsatz. Auch wenn wir hier zwischen allen Fronten stehen: Wir hören nicht auf, Leben zu retten.
Grippe – Impfen oder nicht?
Woran merken wir, dass Herbst ist? An den nervigen Laubbläsern, klar. Und das Robert Koch-Institut erinnert in guter Tradition an die Grippeimpfung – denn die verfällt spätestens nach zwölf Monaten wieder, erklärt Institutssprecherin Susanne Glasmacher. Nur: Viele vertrauen nicht auf die Wirksamkeit des Impfstoffs. Und so ganz von der Hand zu weisen ist diese Befürchtung wohl nicht, gibt Glasmacher zu: »Der Impfstoff wirkt nie so, wie wir das gerne hätten.« Woran das liegt? Viren mutieren gern – oft nachdem ein Impfstoff entwickelt wurde oder noch während der Produktion. Dann wirkt das Gegenmittel nicht mehr. Selbst wenn alles passt, sind ältere Erwachsene nur zu 41 bis 63 Prozent geschützt, ihr Immunsystem reagiert weniger stark auf das Serum. Das Institut rät dennoch zur Impfung: Die verringere immerhin das Risiko einer Erkrankung – und wenn die Viren dann doch zuschlagen, sei der Verlauf der Grippe in der Regel milder. Wer sich nun impfen lassen sollte: über 60-Jährige (weil ihr Immunsystem schwächer ist), Schwangere, chronisch Kranke, Bewohner von Altenheimen. Für fitte junge Leute ist die Spritze nur nötig, wenn sie im Krankenhaus arbeiten, Angehörige pflegen oder beruflich mit vielen Menschen in Kontakt stehen. Und wann? Jetzt. Bis Ende November ist aber auch noch Zeit – der Aufbau des Impfschutzes dauert zwar bis zu 14 Tage, so Glasmacher, aber die Grippewelle beginne meist erst Mitte Januar. | |
|
|