Fünf vor 8:00: Drei Stunden diskutieren mit Putin - Die Morgenkolumne heute von Theo Sommer

 
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FÜNF VOR 8:00
24.10.2017
 
 
 
   
 
Drei Stunden diskutieren mit Putin
 
Die Ukraine-Krise, Russlands Beziehungen zu China und den USA: Auf einer Konferenz in Sotschi gibt Wladimir Putin ungewohnt ausführliche Einblicke in seine Weltsicht.
VON THEO SOMMER
 
   
 
 
   
 
   
Jeden Herbst trifft sich in den kaukasischen Bergen oberhalb der Olympiastadt Sotschi der Valdai Discussion Club, eine gehobene Version des Bergedorfer Gesprächskreises. Seit 2004 erfreut sich das Treffen von Jahr zu Jahr größerer internationaler Beachtung. In diesem Jahr reisten 130 Teilnehmer aus 33 Ländern an, Russlandexperten, Politiker und Ex-Diplomaten, Akademiker und Journalisten, um sich vier Tage lang mit Moskauer Politprominenz über die Weltlage auszutauschen. Der Höhepunkt der Konferenz war wiederum die Diskussion mit einem regelmäßigen Gast: Wladimir Putin, Russlands Präsident, der sich nach einer detaillierten Ansprache fast drei Stunden für die Diskussion nahm.
 
Das Themenspektrum war weit gespannt. Es reichte von der Geopolitik über die Ungleichheit in der Welt, dem Klimawandel und der Digitalisierung bis zum Gegensatz zwischen technischem Fortschritt und menschlichen wie gesellschaftlichen Grundansprüchen. Über viele Themen wurde heiß und kontrovers diskutiert – ich will mich jedoch auf eine Dokumentation jener drei beschränken, zu denen Putin sich explizit geäußert hat: das russisch-amerikanische Verhältnis, die Ukraine-Krise und die Beziehungen zwischen Russland und China.
 
1. Russland-Amerika
 
Nach Donald Trump und dessen Unberechenbarkeit gefragt, gab Putin sich diplomatisch korrekt: "Wir arbeiten mit dem Präsidenten, den das amerikanische Volk gewählt hat. Und was die Unberechenbarkeit angeht – daran ist er nicht allein schuld. Das hat auch mit der heftigen Opposition im Lande zu tun, überhaupt mit dem ganzen politischen System Amerikas." Beschwichtigend fügte er hinzu: "Die Vereinigten Staaten sind eine Großmacht, wirtschaftlich und militärisch die größte der Welt." Zwar sei der bilaterale Handel leider vernachlässigenswert, nur 20 Milliarden Dollar. Dennoch seien die USA laut Putin ohne Zweifel einer der wichtigsten Partner Russlands. "Wir werden trotz aller Schwierigkeiten weiter mit ihnen arbeiten. Natürlich nur, wenn sie wollen. Sonst eben nicht."
 
Einen kleinen Seitenhieb konnte sich Putin gleichwohl nicht verkneifen. Auf die Verhängung neuer Sanktionen gegen Russland reagierte Moskau mit Gegensanktionen. Putin stellte das anschließende Gespräch mit dem amerikanischen Präsidenten wie folgt dar:
 
Trump: Warum haben Sie denn das gemacht?
Putin: Na, hör mal, ihr habt doch Sanktionen über uns verhängt!
Trump: Diese Sanktionen bedeuten doch nichts für euch, uns aber tun sie richtig weh!
Putin: Ja, haben Sie denn nicht gedacht, dass wir reagieren würden?
 
2. Der Ukraine-Konflikt
 
Natürlich kam auch das Thema Ukraine zur Sprache. Der Ball liege auf der russischen Hälfte des Spielfelds, sagte ein Norweger. Der Konflikt sei zu einem "halbgefrorenen" geworden, die Sanktionen seien nun halb-permanent. Was gedenke Russland zu tun? Und wie werde die Lage wohl in drei Jahren aussehen? 
 
"Nun, wir denken, dass der Ball in der Spielfeldhälfte Europas liegt", sagte Putin. Ehe er dies weiter erläuterte, griff er weit zurück in die Geschichte. Zu der Zurückweisung des EU-Assoziierungsabkommens mit der Ukraine durch Janukowitsch ("er wollte nur an dem Text noch ein bisschen arbeiten"). Zum Aufstand auf dem Maidan ("von den USA finanziert, politisch und medial unterstützt, auch von Europa"). Zur Ablösung Janukowitschs ("ein verfassungswidriger Staatsstreich"). Zur Rolle der Europäer ("Wo waren denn die europäischen Garanten des Abkommens zwischen Janukowitsch und der Opposition?"). Zur Unabhängigkeitserklärung der Krim und ihrer Wiedervereinigung mit Russland ("Ihr glaubt, wir seien dafür verantwortlich?").
 
Xi Jinping – ein Freund von Putin?
 
Dann erst äußerte sich Putin zum Minsker Abkommen: "Die gegenwärtige ukrainische Führung sabotiert jeden Paragrafen dieses Abkommens. Nicht ein einziger Schritt ist getan worden, um sie zu erfüllen. Dennoch sagt jeder: 'Die Sanktionen können nicht aufgehoben werden, ehe Russland sich an die Minsker Abkommen hält.' Aber jeder weiß doch, dass die gegenwärtige ukrainische Führung sich nicht daran hält. Es würde ein Blutbad geben, wenn es kein Amnestiegesetz gibt und der Donbass keinen Sonderstatus erhält. Das können wir nicht zulassen."
 
Und an die Europäer gerichtet sagte er: "Lasst uns zusammenarbeiten. Geht hin und übt euren Einfluss auf Kiew aus, damit sie wenigstens einige Schritte in Richtung Normalisierung der Lage tun. Wir brauchen eine demokratische und friedliche Ukraine."
 
3. Russland-China
 
"Was halten Sie von Xi Jinping, dem Präsidenten der Volksrepublik China?", wurde Putin von einem Chinesen gefragt. Putins Antwort: "Wir nennen uns öffentlich Freunde. Daraus mögen Sie entnehmen, wie sich unsere Beziehung auf der menschlichen Ebene entwickelt hat. Indessen, das setze ich hinzu, vertreten wir die Interessen unserer Staaten. Oft sind sie einander sehr ähnlich, ja, identisch. So ist eine erstaunliche Lage eingetreten, und, so Gott will, wird sie noch lange anhalten. Wir erreichen bei jedem Thema einen Konsens, selbst bei anscheinend kontroversen Themen. Wir kommen immer zur Übereinstimmung, suchen einen Kompromiss und finden ihn auch. Letztendlich nutzt dies beiden Ländern, weil wir nach vorn blicken, nicht stehen bleiben, sondern strittige Fragen lösen. Wir sehen sowohl Schwierigkeiten als auch neue Möglichkeiten."
 
Ein Meinungsaustausch zwischen Fu Ying, der Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Pekinger Nationalen Volkskongress, und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Igor Schuwalow vermittelte allerdings einen klareren Einblick in das Verhältnis der Staaten. Die beiden gerieten hart aneinander. Zwei neue Brücken zwischen Chinas Nordosten und Russisch-Fernost, sagte Frau Fu, erweckten in China hohe Erwartungen auf einen gesteigerten Austausch. "Was für einen russischen Plan gibt es denn, um Ihre Politik zu verbessern?", fragte sie den Moskauer Minister. "Wir wollen, dass die Hindernisse abgebaut werden." Der giftete zurück: "Die Chinesen müssen unsere Gewohnheiten respektieren. Die örtlichen Sitten und Gebräuche müssen beachtet und geachtet werden. Die Chinesen benehmen sich manchmal recht gemein." 
 
Das war ein überraschend ernüchternder Blick auf das chinesisch-russische Verhältnis. Die Entente zwischen Moskau und Peking, von Putin und Xi Jinping im Mai 2014 gegründet, ächzt unter mancherlei Belastungen. Mein Eindruck jedenfalls war, nachdem ich das herbstliche Krasnaja Poljana verlassen hatte: Moskaus Abwendung von Europa wird derzeit intensiv überdacht.
 
So bleiben die erhofften chinesischen Investitionen aus, das Handelsvolumen ist zurückgegangen. Chinas Banken haben sich nicht, wie erhofft, auf russische Anlageobjekte gestürzt. Die Eisenbahn-Bauprojekte stocken. Selbst über den Preis von Moskaus Erdgas und Erdöl wird weiter gestritten. Es ist sehr fraglich, ob das enge persönliche Verhältnis von Wladimir Putin und Xi Jinping die Unwucht zwischen China mit seiner zehnmal größeren Bevölkerung und seiner neunmal größeren Wirtschaftsleistung ausgleichen kann.
 
Kein Wunder, dass Putin sich neuerdings um Südkorea und Japan bemüht und auch deutschen Unternehmern wieder Avancen macht. Wir sollten uns nicht durch die von amerikanischen Hardlinern bestimmte Sanktionspolitik daran hindern lassen, darauf einzugehen. Europa hat nichts davon, wenn es Russland weiter in die Arme der Chinesen treibt.
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.