88 Cluster für ein Halleluja | Gastkommentar Carsten Schneider: Die CEU braucht Beistand | 3½ Fragen an Volker Balli | Rechtsnationale auf dem Campus

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
bekommt die Central European University wirklich ein Jahr Aufschub, wie wir am Montag geschrieben haben – beugt sich Orban? (Tagesspiegel) Aus Budapest selbst selbst erreicht uns eine ganz andere Einschätzung – heute zu lesen im Gastkommentar von Carsten Schneider, Politologe an der CEU. Und Volker Balli, der an der Leuphana-Universität in Lüneburg das Studium Individuale leitet, plädiert in den 3½ Fragen: „Europäisieren, internationalisieren, öffnen und vernetzen!“
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
88 Cluster für ein Halleluja
Die Entscheidung der DFG, welche Universitäten mit ihren Exzellenzclustern weiter im Rennen bleiben, hat quer durch die Republik für mittelschweres Erdbeben an den Hochschulen gesorgt. Gewinnerinnen und Verliererinnen bekommen nun Gutachten zugestellt, die das Deuten des eigenen (Miss-)Erfolgs erleichtern. Wir haben uns natürlich auch über die Liste der 88 gebeugt – und uns gefragt: Was kann man eigentlich aus den bisherigen Entscheidungen ableiten? Welche Standorte und Fächer fallen durch, welche sind nah an den Zukunftsthemen dran, wo (und warum) gelingt eine besonders gute Wissenschaftskommunikation? Die Analyse von Anant Agarwala und Anna-Lena Scholz lesen Sie in der neuen ZEIT (S. 70). Falls Sie eher zu jenen gehören, die beim Stichwort „Exzellenz“ rote Wutflecken auf den Wangen kriegen, wird Ihnen die Abrechnung mit dem Wissenschaftswettbewerb von Jens Jessen (S. 71) sicher aus der Seele sprechen.
  
 
 
Promovieren in „Schools“
Gestern beim schnellen Scannen der Pressemitteilungen im e-Mail-Postfach kurz gestutzt. „Helmholtz International Research Schools“ stand da: „neues Förderinstrument“, „internationale Promotion“ für „junge Nachwuchstalente“. Klingt irgendwie so ähnlich wie die „Max Planck Schools“, oder? (ZEIT 37/2017) Kurzer Anruf bei der Helmholtz-Gemeinschaft. Nein, die Helmholtz Research Schools seien kein Konkurrenz-Projekt, sondern im Grunde einfach ein Förderformat, das dem Stand der Dinge in Sachen Doktorandenausbildung entspreche – und die läuft inzwischen in internationalen Forschungsgruppen ab, in denen man auf Synergieeffekte und Austausch baut. Fazit: Man kann das Rad nicht mehrfach neu erfinden. Auch nicht das Wording einzelner Formate. Schools sind eben Schools sind eben Schools.
  
 
 
USA: Der politische Campus
Free Speech! Klar. Einerseits. Andererseits: Was tun, wenn an einer Universität ein Rechtsnationalist sprechen will? So wie am heutigen Donnerstag, an der University of Florida in Gainesville, wo Richard Spencer einen Vortrag halten will. Wie jüngst auch schon in Berkeley und Charlottesville schwelen die Proteste, bevor die Veranstaltung begonnen hat. Die Studierenden formieren sich, der Gouverneur von Florida, Rick Scott, hat den Notstand ausgerufen. (New York Times; Washington Post) Kent Fuchs, der Präsident der University of Florida, sagt über die Aneignung des Free Speech-Topos durch die Rechten: „I urge you: Do not provide Mr Spencer and his followers the spotlight that they are seeking.“ (Siehe auch unser heutiges c.t.)
  
 
 
Michael Kretschmer
Sachsens Ministerpräsident Tillich ist gestern zurückgetreten. Es übernimmt: Michael Kretschmer. Genau – jener Kretschmer, der in der Scientific Community immer wieder als Bildungsminister genannt wurde. (Auch von uns, in unserem Bildungsministerquartett – ZEIT 37/2017.) Wir sind gespannt, was diese Personalie langfristig für die Sächsische Hochschullandschaft bedeutet!
  
 
 
Wörterinflation
Ein vermutlich nicht ganz ernst gemeinter Vorschlag, hinter dem allerdings der berühmte Funken Wahrheit steckt: Wir brauchen ein Wörterlimit für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, schreibt Brian C. Martinson in Nature – denn es gebe eine Wörterinflation in der Forschung, die die Erkenntnisfindung erschwere. Zu viele Paper, zu viele ähnliche Abstracts: „Lifetime limits would create a natural incentive to do research that matters. Researchers would have to ask themselves, “Is this project I’m pursuing worth the words it will cost me?” I see several articles in my own CV that did not contribute much knowledge to the world. I cannot help but think that I might have pursued better questions had a word limit been in place.“. Discuss!
  
   
   
   
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Personen
 
 
   
   
Voll auf der Höhe
Sandra Richter bezieht demnächst einen neuen Arbeitsplatz: und zwar auf der Schillerhöhe in Marbach. Dort steht bekanntlich das Deutsche Literaturarchiv, derzeit noch geleitet von Ulrich Raulff. Die Stuttgarter Literaturwissenschaftlerin übernimmt zum 1. Januar 2019.

Für Europa
Die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder hat einen neuen Kanzler: den Juristen Niels Helle-Meyer. Er tritt sein Amt am 1. Dezember des Jahres an; derzeit ist er Vorsitzender der Geschäftsführung an der Naturwissenschaftlich-Technischen Akademie in Isny im Allgäu (Baden-Württemberg).

Austausch
Bjoern Wilck ist seit Anfang Oktober neuer Leiter der Pressestelle des DAAD; zuletzt hat er die Stabsstelle Strategie und Hochschulpolitik der Berliner Universität der Künste verantwortet. Seine Vorgängerin, Anke Sobieraj, wechselt innerhalb des DAAD in das Referat Externe Kommunikation, das sie auch leiten wird.

Ausgezeichnet
Wir sind sehr stolz: CHANCEN-Redakteur Anant Agarwala wurde vergangene Woche für sein ZEIT-Dossier „Abi für alle?“ (ZEIT 14/2017) mit dem Medienpreis Bildungsjournalismus der Telekom-Stiftung ausgezeichnet. 

Job: Studien, Beratung
Die Diskussion, ob sich in Deutschland zu viele junge Leute an der Hochschule immatrikulieren (s.o.), berührt auch die Frage: Werden die vielen Studierenden an ihrer Uni glücklich, finden Sie die richtigen Studienfächer und Karrierewege? Interessantes und wichtiges Arbeitsfeld. Wenn Ihnen Oldenburg zusagt, wäre das vielleicht was für Sie: die dortige Uni nämlich sucht zwei Studien- und Karriereberaterinnen (m/w). Details im ZEIT-Stellenmarkt.
   
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Volker Balli

Academic Director Studium Indviduale, Leuphana Universität Lüneburg
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
Ein Studium, das sich durch Gestaltungsfreiheit und fächerübergreifende Fragestellung auszeichnet, ist möglich, bedarf aber bestimmter Bedingungen: Erstens eine "academic community" von Studierenden und Lehrenden, die sich durch ein hohes Maß an gegenseitigem Vertrauen, Dialogbereitschaft als auch Interesse und Engagement jedes Einzelnen auszeichnet. Zweitens: vorgegebenen Strukturelemente, wie gemeinsame Lernziele, verbindliche Kernmodule und gezielte Beratung der Studierenden. Und drittens ein universitäres Umfeld, in dem Lernen und Lehre keine Nebensache sind, in dem Raum für neue Konzeptionen von "Kompetenz" und "Fachlichkeit" besteht und das Innovationen in Lernen und Lehre ermöglich statt in altehrwürdigen Traditionen – sei es aus dem 19. Jahrhundert oder auch den 1970er Jahren – zu verharren.

Welches wissenschaftspolitische Problem lässt sich ohne Geld lösen?
Gute Lehre. Sie benötigt in erster Linie einen Bewusstseinswandel statt Geld: dass sie sich nicht automatisch aus guter Forschung, quasi als Nebenprodukt, ergibt; dass man sie erlernen kann, und sollte; und dass, in einer student-centred perspective, es letztlich um das Lernen der Studierenden statt um das Lehren geht. Natürlich braucht gute, intensive Lehre auch Zeit – wobei hiermit dann doch die Ressourcenfrage berührt wird, oder vielleicht die der Prioritäten.

Lektüre muss sein. Welche?
Beyond the University von Michael S. Roth, dem Präsidenten der Wesleyan University. Es ist ein zeitgemäßes Plädoyer für Liberal Education als ein höchst relevanter Modus und Verständnis von (grundständigem) Studieren. Statt verschiedene Zwecke gegeneinander auszuspielen ist für Roth Liberal Education von persönlicher, gesellschaftlicher als auch beruflicher Relevanz zugleich. Er räumt dabei mit einigen gängigen Missverständnissen – der Fixierung auf ein gewisses Fächerspektrum, dem Vorwurf des Elitären oder auch der Weltferne eines solchen Studiums – auf. In Zeiten, in denen substantielle Implikationen der Bologna-Reform noch zu behandeln sind, eine inspirierende Lektüre.

Und sonst so?
Europäisieren, internationalisieren, öffnen und vernetzen! Wenn ein Studium den Anspruch erhebt, die Welt der Gegenwart besser zu verstehen, so sollten nicht nur in den Veranstaltungen globale Themen behandelt werden, sondern auch Studierende aus der ganzen Welt an diesen Diskussionen teilhaben. Zudem entspricht es einem Ethos der Neugier, der Aufklärung und des Lernen-Wollens, von wichtigen Entwicklungen (wie im Bereich des Lernens und Lehrens) jenseits des nationalen Tellerrands zu lernen und diese, adaptiert, sich zu eigen zu machen. Und ganz grundsätzlich sollten in Zeiten neuer Abschottung Hochschulen bewusst den grenzüberwindenden Anspruch von Lernen und Forschen betonen und diesen auch mutig praktizieren.
   
   
 
 
   
 
 
   
   
   
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Gastkommentar
 
 
   
   
von Carsten Schneider
   
   
Ohne Beistand scheitert die CEU
Orban gebe nach und ließe die Central European University (CEU) vom Haken, war dem ZEIT CHANCEN Brief am Montag zu entnehmen (Ausgabe vom 16.10.2017). Schön wär’s. Denn die am vergangenen Freitag zur Überraschung aller angekündigte Fristverlängerung, damit die CEU die Bedingungen des neuen ungarische Hochschulgesetzes erfüllen könne, bedeuten und bezwecken in Wahrheit das genaue Gegenteil. Warum?
Keine Uni kann es sich leisten, über Monate oder gar Jahre in rechtlicher Unsicherheit zu leben. Zudem erscheint diese – als Akt der Milde verkaufte – Verlängerung als schlechter Witz, wenn man weiß, dass eine einfache und unzweideutige Lösung des Problems bereits vorliegt. Und zwar seit mehr als einem Monat, direkt auf Orbans Schreibtisch: ein von Lex CEU geforderter internationaler Vertrag, ausgehandelt zwischen dem Gouverneur von New York State und – man halte sich fest – jener ungarischen Regierung, die sich nun weigert, diesen Vertrag zu unterschreiben. Alle Hindernisse für den Verbleib der CEU in Ungarn würden mit der Ratifizierung dieses Vertrags ausgeräumt.
Warum dann diese ungebetene Fristverlängerung? Um eine drohende Niederlage vor dem europäischen Gerichtshof zu vermeiden, meinen die einen. Um den Kollegen im europäischen Rat kurz vor dem Gipfel Sand in die Augen zu streuen, sagen die anderen. Vielleicht passt der Regierung eine Lösung der Causa CEU auch schlicht nicht ins politische Vorwahljahrprogramm, allzumal gerade die Bürger mittels einer „nationalen Konsultation“ zum vermeintlichen Soros-Plan in Wallung gebracht werden sollen.
Für die CEU ist es müßig und unnütz, über die wahren Beweggründe zu spekulieren. Fakt bleibt, dass Orban sich trotz gegenteiliger, auf internationaler Bühne gemachter Versprechen konstant weigert, die von ihm selbst herbeigeführte Krise im Sinne der Wissenschaftsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit zu lösen.
Entscheidend für das Überleben der CEU war bislang der überwältigende Beistand aus allen Teilen der Welt. Die Fristverlängerung hat den sinistren Effekt, diese Unterstützung zu untergraben. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt?
Ohne eine baldige echte Lösung läuft die Zeit der CEU in Budapest ab.

Prof. Dr. Carsten Schneider ist Professor für Politikwissenschaft an der Central European University in Budapest
   
   
 
 
   
 
   
   
 
Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
Ausgerechnet Hamburg? Schlechte Ergebnisse im Lesen und Rechnen – eine neue Studie zeigt: Deutschlands Grundschulen stürzen ab. Nur die Hansestadt verbessert sich. Was andere Bundesländer jetzt von ihr lernen können 

19 000 Fächer – was soll das? Fragen an den Datenanalysten Cort-Denis Hachmeister Sie warten schon … Das Wintersemester beginnt. Auch für diese sechs Uni-Charaktere. Eine Typologie 88 Cluster für ein Halleluja Im Wettbewerb der besten deutschen Universitäten geht es um die Förderung millionenschwerer Forschungsgruppen. Wer gewinnt, wer verliert? Forschst du noch, oder claimst du schon? Großmäulige Anträge, marktförmige Hochschulen – das Exzellenztheater ist absurd, findet Jens Jessen

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
   
   
 
c.t.
 
 
   
 
„We refuse to be defined by this event.“ Fuchs Kent, Präsident der University of Florida, über einen Auftritt des Rechtsnationalisten Richard Spencer.

Quelle: Youtube
 
 
 
 
 
 
 
 
   
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