Forschungsriese Amazon | Stresstest nach ExStra-Schlappe | Wolfgang Marquardt über Elsevier | 3 ½ Fragen an Katja Rade

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
kommen Sie wissenschaftspolitisch noch mit? Das ist gar nicht so leicht in diesen ereignisreichen Oktober-Tagen. In Baden-Württemberg investiert der Onlineriese Amazon Millionen von Euros in die Forschung zur Künstlichen Intelligenz. In Hessen bröckelt das Bündnis der Rhein-Main-Unis nach seiner ExStra-Schlappe, und die Düsseldorfer Böckler-Stiftung offenbart in einer Studie, wie fies die Arbeitsbedingungen in der Hochschulverwaltung sind. Erfahren Sie in diesem CHANCEN Brief außerdem, wieso Wolfgang Marquardt nicht mehr für Elsevier tätig ist, und nach welcher Maxime Hochschulrektorin Katja Rade handelt (3 ½ Fragen).
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Forschungskrösus Amazon
Eine dringende Durchsage für Drittmittelhaie: Das ganz große Forschungsgeld gibt es jetzt beim US-Online-Giganten Amazon – und nicht mehr bei der Volkswagen AG (ZEIT, Spiegel Online, FAZ, Deutsche Welle). Jahrelang führte der deutsche Autobauer im weltweiten Ranking der Forschungsriesen. 2017 lässt sich VW (12,1 Milliarden Forschungsausgaben) nicht nur von Amazon (16,1 Milliarden), sondern auch von der Google-Mutter Alphabet (13,9 Milliarden), Intel (12,7 Milliarden) und Samsung (12,7 Milliarden) überholen, zeigt eine Studie. Von Amazons Investitionseifer profitiert in Deutschland ganz aktuell die Max-Planck-Gesellschaft, die im Raum Stuttgart/Tübingen im sogenannten Cyber-Valley zusammen mit weiteren Industriepartnern zu künstlicher Intelligenz forscht. Amazon steigt dort mit rund 1,25 Millionen Euro ein, plant in Tübingen ein neues Forschungszentrum mit etwa 100 Stellen, gibt der MPG jährlich 420.000 Euro für Doktoranden- und Postdocstellen (Schwäbisches Tagblatt) und lässt die beiden Tübinger MPI-Direktoren Michael Black und Bernhard Schölkop auch für sich arbeiten. Was sich Amazon von all dem verspricht, erklärt der verantwortliche Manager Ralf Herbrich in der FAZ.
  
 
 
Hochschulen, schaut aufs große Ganze! 
Die Debatte zu den vielen Studiengängen in Deutschland geht weiter. Rund 19.000 unterschiedliche Angebote gibt es mittlerweile an Hochschulen. Das sind 2000 mehr als noch vor zwei Jahren, zeigt eine kürzlich veröffentlichte CHE-Studie (ZEIT, Neue Westfälische, Juraforum). Ist das klug? Nein, meint Manuel J. Hartung im Leitartikel der aktuellen ZEIT und erinnert die Hochschulen an ihren Bildungsauftrag: „Bildung heißt: sich die Welt aneignen. Heißt nicht: nur ein Planquadrat verstehen. Wenn ganze Teile eines Jahrgangs sich aber nicht in der Welt, sondern nur in einem Weltwinkelchen zurechtfinden, wer soll sich dann den Feinden der Freiheit angstfrei entgegenstellen?“ Brisant ist die Frage nicht nur in Deutschland. Auch in anderen Wissenschaftsnationen differenzieren Hochschulen ihre Studienangebote aus. In den USA zum Beispiel gibt es an mindestens 15 Colleges  Kurse für Drohnenpiloten (Technology Review). Die  Arbeitsmarktchancen der Absolventen – Fragezeichen.
  
 
 
Stresstest nach der ExStra-Schlappe
Niederlagen sind Bewährungsproben. Und nicht alle bestehen sie. Die Erfahrung machen gerade die Universitäten Mainz, Frankfurt/Main und die TU Darmstadt. Mit Blick auf den ExStra-Wettbewerb kooperieren die drei seit 2015 in der Allianz der Rhein-Main-Universitäten. Gemeinsam wollten sie im Elite-Contest richtig durchstarten. Nach der Schlappe in der ersten Vorentscheidung haben sich die drei nicht nur von ihren hohen Zielen verabschiedet (Darmstädter Echo), ihr Bündnis hat mit der Niederlage auch einen kräftigen Schlag bekommen. Die Unis gehen in der ExStra jetzt getrennte Wege (Mannheimer Morgen, Lampertheimer Zeitung, Burstädter Zeitung).
  
 
 
Stephen Hawking legt Webseiten lahm
Fast punktgenau zur internationalen Open-Access-Week, hat die Universität Cambridge der weltweiten OA-Gemeinde eine Lehrstunde fürs Leben erteilt. Wer Open Access will, braucht starke Server. An dem Tag, an dem Cambridge Stephen Hawkings Diss frei zugänglich ins Netz stellte, war – genau – nichts zu sehen. Über 60.000 Aufrufe für den gescannten Schreibmaschinentext legten die Server des Apollo-Online-Archivs lahm. Auf den Ansturm war die Eliteuni nicht gefasst. Wie ein Sprecher erklärte, würden besonders beliebte Arbeiten sonst höchstens 100 Mal pro Monat heruntergeladen (Wired, Süddeutsche Zeitung).
  
 
 
12 Formulare mindestens
Bürokratiemüde? Seien Sie bloß froh, dass Sie in Forschung und Lehre gelandet sind – und nicht in der Verwaltung. Wie es den rund 160.000 nicht-wissenschaftlichen Beschäftigten in Rechenzentren, Haustechnik, Sekretariaten, Bibliotheken und Laboren geht, haben Andrä Wolter (Humboldt-Universität) und Ulf Banscherus (TU Berlin) jetzt herausgefunden (Süddeutsche Zeitung). Für ihre Studie befragten die beiden Wissenschaftler die Hochschul-Beschäftigten, die der akademischen Dokumentations- und Berichtswut jahrein jahraus die Stirn bieten müssen. "Früher habe ich, um einen Euro auszugeben, drei Formulare gebraucht. Heute brauche ich für diesen gleichen Euro zwölf Formulare mindestens", heißt es in der Studie, die die Böcklerstiftung finanzierte. Sie offenbart, wie stark die Leistungsanforderungen in der Verwaltung bei gleichbleibend geringer Bezahlung gestiegen sind, und zeigt: Beschäftige im nicht-wissenschaftlichen Dienst müssen mit verdammt wenig Wertschätzung auskommen.
  
 
 
 
   
   
   
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Christian Pape wird Humboldt-Präsident
Der Münsteraner Hirnforscher Hans-Christian Pape ist ab Januar 2018 Präsident der Humboldt-Stiftung. Ein Interview mit ihm findet sich in der aktuellen ZEIT-Ausgabe. Pape folgt in dem Amt auf Helmut Schwarz. Der Berliner Chemiker steht seit 2008 an der Spitze der Stiftung.  
 
Führungswechsel an der Viadrina
Unruhige Zeiten an der Viadrina-Universität in Frankfurt/Oder. Präsident Alexander Wöll legt sein Amt zum 1. Januar 2018 nieder – nach gerade einmal der Hälfte seiner Amtszeit. Der 49-jährige Slavist möchte zurück in die Wissenschaft (Märkische Oderzeitung, Tagesspiegel) und wird so also nur noch ganz kurz mit Niels Helle-Meyer zusammenarbeiten. Der Jurist wird am 1. Dezember 2017 Kanzler an der Viadrina. Davor war der 46-Jährige unter anderem an der HafenCity Universität in Hamburg und der privaten Zeppelin-Universität in Friedrichshafen am Bodensee Kanzler.
 
Ulmer Hochschulgemeinde hat wieder einen Pfarrer
Nach einem Jahr Vakanz hat die evangelische Hochschulgemeinde Ulm mit Stephan Schwarz wieder einen Pfarrer. Seine Kernanliegen sind die Ökumene und (Achtung!) die Vernetzung der Hochschulen in der Region. Der 47-Jährige studierte in Tübingen, Bonn und Edinburgh. Von  2002 an arbeitete Schwarz in Genf im Institut des Ökumenischen Rats der Kirchen (Südwestpresse).
 
Deutscher Psychologiepreis für Heinz Schuler
Der Pionier der bundesdeutschen Arbeits- und Organisationspsychologie, Heinz Schuler, erhält den Deutschen Psychologie Preis 2017. Der gebürtige Österreicher ist Spezialist im Berufsprofiling und geht vor allem der Frage nach, wie Menschen und Berufe zusammenpassen. Schulers Arbeiten finden Sie hier.
 
Merseburg sucht Kanzler
In ihrem Logo nennt sich die Hochschule Merseburg selbst liebevoll HoME. Realisten wissen: So kuschelig kann es selbst an dieser mit 330 Beschäftigten eher kleinen Hochschule nicht zugehen. In Forschung, Lehre und Wissenschaftsmanagement muss um die Zukunft gestritten werden. So ist das auch in Merseburg. Für die Kanzlerposition wird nicht umsonst eine „teamfähige strategisch denkende Persönlichkeit“ gesucht, die „lösungsorienrt arbeitet“. Nichts wie hin! Die Ausschreibung findet sich im Stellenmarkt der ZEIT.
   
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Prof. Dr. Katja Rade

Rektorin der SRH Hochschule Heidelberg
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen? 
Kants kategorischer Imperativ „handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte“ hat für mich bis heute eine hohe Gültigkeit und ist die Grundlage meines täglichen Handelns. Kafkaeske Strukturen innerhalb von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft können die Umsetzung allerdings deutlich erschweren.

Welches wissenschaftspolitische Problem lässt sich ohne Geld lösen? 
Das Promotionsrecht könnte ausschließlich abhängig von der Forschungsqualität und damit unabhängig vom formalen Status einer Hochschule vergeben werden.

Lektüre muss sein. Welche? 
„Die Hauptstadt“ von Robert Menasse – ein Roman, der wirklich das hält, was nahezu alle Literaturkritiker versprechen: intelligent aufgebaut, genial geschrieben, unterhaltsam, aber dennoch tiefgehend, informativ und spannend. Dass dies einem Roman, der im Kontext des Alltagspanoramas der Hauptstadt Brüssel spielt, gelingen könnte, hätte ich vor dieser Lektüre verneint.

Und sonst so?
Mit Transparenz und Offenheit allein lässt sich die Welt leider nicht retten.
   
   
 
 
   
 
 
   
   
   
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Gastkommentar
 
 
   
   
Interview mit Wolfgang Marquardt
   
   
DIE ZEIT: Herr Marquardt, Sie haben gerade, während der laufenden Verhandlungen um die Bundeslizenzen DEAL, Ihre Herausgebertätigkeit für Zeitschriften des Elsevier-Verlags niedergelegt. Warum?
Wolfgang Marquardt: Es war ein symbolischer Akt. Mir ist wichtig, dass wir auf dem Open Access-Gebiet weiterkommen. Die Verlage müssen dafür aber guten Willen zeigen.
 
ZEIT: Welche Reaktionen haben Sie erreicht?
Marquardt: Bisher ist es ruhig. Ich bin aber sicher, dass das wahrgenommen wurde.
 
ZEIT: Es klingt ein bisschen nach Kaltem Krieg...​
Marquardt: Hoffentlich nicht. Mein Protest sollte dazu dienen, die Verhandlungen nochmal in die Gänge zu bringen und tatsächlich beiden Parteien zu zeigen: Wir müssen vorankommen, und zwar am Verhandlungstisch. Wir brauchen eine faire Lösung, die beiden Interessen dient.
 
ZEIT: Wie geht es jetzt weiter?
Marquardt: Der Knackpunkt ist: Wir befinden uns in einer Übergangsphase, in der zwei Systeme parallel laufen. Kurzfristig brauchen wir eine Übereinkunft für diese Transmissionsphase, in der es transkriptionsbasierte Vergütungssysteme für Verlage und zugleich Open Access-Publikationsgebühren gibt. Die Wissenschaft erhebt die Forderung, dass die Verlage nicht doppelt verdienen. Wie diese Lösung aussehen kann, kann ich selbst gar nicht sagen – da müssen Fachleute technische Lösungen finden.
 
ZEIT: Und was ist Ihre langfristige Vision?
Marquardt: Wir sind uns alle einig, dass wir langfristig ein Golden Open Access-Modell in der Wissenschaft haben wollen – und werden. Die Frage ist: Wie gelingt ein sanfter Übergang, bei dem weder die Verlage noch die Wissenschaft auf der Strecke bleiben? Wir stehen schließlich in der Verantwortung, unsere Forschungsergebnisse auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Übrigens glaube ich nicht, dass es gut wäre, auf die Zusammenarbeit mit den Verlagen zu verzichten. Wir sollten nicht glauben, dass wir diese Arbeit selbst machen können. Da sage ich nur: Schuster bleib bei Deinen Leisten.
 
Prof. Dr. Wolfgang Marquardt ist Vorstandsvorsitzender des Forschungszentrums Jülich. Die Fragen stellte Anna-Lena Scholz
   
   
 
 
   
 
   
   
 
Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
Wie der Faust aufs Auge Laut, schrill und schlau: »Fack ju Göhte 3« mischt die Bildungsdebatte auf, dass es wehtut 

»Als Einzelkämpfer kommt man nicht weit« Hans-Christian Pape wird neuer Präsident der Humboldt-Stiftung Umdenken oder untergehen! Auf der Suche nach einem neuen Bildungsbegriff: Das Ideal der Aufklärung ist am Ende – es hat den Planeten zerstört. Der Mensch muss lernen, seine eigene Freiheit zu begrenzen Tagen im Zwielicht Windige Anbieter ködern Wissenschaftler mit Pseudokonferenzen Glänzende Aussichten Privatschulen boomen. Liegt das allein an ihrer pädagogischen Qualität – oder an ihrer Kundschaft?

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
   
   
 
c.t.
 
 
   
 
"Stilles bescheidenes Leben gibt mehr Glück als erfolgreiches Streben, verbunden mit beständiger Unruhe", schrieb Albert Einstein vor fast 100 Jahren auf das Briefpapier seines Hotels in Tokio und steckte den Zettel einem Pagen zu – möglicherweise als Anerkennung für dessen Dienste. Der Dankesschrieb ist jetzt in Jerusalem versteigert worden – für 1,56 Millionen Dollar (New York Times, Washington Post). Der Käufer will unbekannt bleiben, das Video zur Auktion findet sich hier.
 
 
 
 
 
 
 
 
   
Durch Einsteins Sinnspruch geläutert grüßen wir heute mindestens doppelt so bescheiden wie sonst

Ihr CHANCEN-Team

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