| Guten Morgen, | | |
die gestrige Forderung an dieser Stelle nach mehr Zurückhaltung der Medien hat bei vielen von Ihnen Zuspruch gefunden. Schön zu wissen, dass ich nicht einfach nur überempfindlich bin.
Leser Uwe-Carsten E. regt jedoch an, erst einmal zu ergründen, wieso vielen von uns der Reflex innewohnt, lieber hin- statt wegzuschauen. »Dient ganz unbewusst vielleicht das Hinschauen, das Nachvollziehen, das Verstehenwollen, das Aufsaugen einer Art vorbeugender Belehrung mit dem Ziel, dass einem selbst so etwas nicht eines Tages durch Unvorsicht geschieht?«, schreibt er. Das mag, evolutionär betrachtet, stimmen. Hätte ich bei der »heute«-Sendung die Augen offen gehalten, wäre ich endlich von diesem unstillbaren Drang befreit, in der amerikanischen NBA Profi-Basketball spielen zu wollen.
Doch zurück zur Ernsthaftigkeit des Themas: Es geht mir vielmehr um die Verantwortung der Medien, deren Aufgabe es nicht nur sein sollte, zu informieren, sondern auch zu filtern. So frage ich mich ebenso, wieso nach jeder Katastrophe, seien es Terrorattacken oder Flugzeugabstürze, trauernde Hinterbliebene gezeigt werden müssen, die – wer hätte das gedacht! – hemmungslos weinen. »Starke Bilder« nennen das die Kollegen vom Fernsehen vermutlich. Ich hingegen fühle mich jedes Mal extrem unbehaglich, wie eine Voyeurin wider Willen. Mit solchen Aufnahmen werden Grenzen überschritten, und zwar jene zum psychischen Intimbereich eines Menschen. Wer gerade in die tiefste Verzweiflung seines Lebens gestürzt wurde, hat wahrlich andere Dinge im Kopf, als sich vor aufdringlichen Kameras zu schützen.
Eine Ausnahme gibt es, wann man wirklich draufhalten und hinsehen sollte: wenn damit den Menschen, die man in ihrem Elend beobachtet, geholfen werden kann. Auch verhungernde Kinder oder ganze Volksgruppen, die auf der Flucht im Schlamm leben müssen, können sich nicht wehren, wenn sie von Kameras aus wohlhabenden Industriestaaten gefilmt werden. Auch bei diesen Bildern verspüre ich immer den Reflex, den voyeuristischen Blick abzuwenden. Doch das ist die einzige Situation, in der man wirklich bewusst hinsehen sollte. Und danach greift man idealerweise zur Kreditkarte.
»Nicht alle profitieren von dem Wohlstand, den wir haben«
Jedes fünfte Kind in Hamburg ist von andauernder Armut bedroht, gleichzeitig sind die Hamburger reicher und zufriedener als fast alle anderen Deutschen. Just diese beiden Meldungen erreichten uns innerhalb weniger Tage. Wir haben Kristin Alheit, Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Hamburg, gefragt, wieso die Einkommensdiskrepanz in Hamburg so groß ist. Elbvertiefung: Kinder mit lebenslangem Armutsrisiko einerseits, Spitzeneinkommen andererseits – wie passt das zusammen? Kristin Alheit: Wenn man die Zahlen übereinanderlegt, macht das deutlich, dass die soziale Ungleichheit hier in der Stadt noch größer wird. Nicht alle profitieren von dem Wohlstand, den wir haben. EV: Leben wir in einer Stadt mit zwei Gesichtern: hier die reichen Stadtteile, dort die armen? Alheit: So würde ich das nicht formulieren. Aber dass es stadtteilbezogene Unterschiede gibt, lässt sich nicht leugnen. Da muss man gerade in Hamburg schauen: Wo gibt es überhaupt noch günstigen Wohnraum? Menschen mit geringem Einkommen haben oft nicht die Wahl, sodass schon deshalb eine Ballung stattfindet. EV: Der Senat will nun überall zu gleichen Teilen geförderten, nicht geförderten und Eigentumswohnraum schaffen. Löst der Drittelmix das Problem? Alheit: Eine bessere Durchmischung der Stadtteile ist gut und wünschenswert. Man löst aber nicht das Armutsproblem, indem man Wohnungen für Menschen mit wenig Einkommen über die ganze Stadt verteilt. Ziel muss es sein, dass es diese Gruppen gar nicht mehr gibt. EV: Ist die soziale Spaltung typisch für Hamburg? Alheit: Nein, das ist ein bekanntes Phänomen in vielen Großstädten. Auch Berlin, Frankfurt und München zeigen diese Tendenzen. Was Hamburg unterscheidet, ist die Tatsache, dass wir hier das höchste Durchschnittseinkommen haben. In Hamburg gibt es gute Erwerbschancen. Nun sollte man klären, warum nicht alle in gleichem Maße von diesen Chancen profitieren. EV: Was muss passieren, damit es besser wird? Alheit: Bildung ist und bleibt der Schlüssel, um gegen Armut vorzubeugen. Daher sind Maßnahmen wie die beitragsfreie Kita wichtig. EV: Muss sich auch im sozialen Miteinander etwas ändern? Alheit: Ich glaube, dass wir vor allem staatliche Strukturen anders aufstellen müssen. Staatliche Zuschüsse zur Armutsbekämpfung werden in lauter Einzelleistungen gegeben und führen zu einem Förderungs-Wust, den kaum noch jemand durchschaut und bei dem auch gar nicht mehr gewährleistet ist, dass das Geld da ankommt, wo man es braucht. Das wissen wir seit mehreren Jahren. Es wird nur nicht richtig gehandelt. Maßnahmen in Form einer Kindergrundsicherung zu bündeln wäre sinnvoll. |
|
|