Kiyaks Deutschstunde: Sie reden doch die ganze Zeit

 
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Kiyaks Deutschstunde
18.10.2017
 
 
 
 
Was meinen Politiker, wenn sie sagen, was sie sagen? Und: Was meinen sie wirklich? Mely Kiyak sagt’s Ihnen!


Sie reden doch die ganze Zeit
 
Wer rechtsextrem ist, hat beste Chancen, in Deutschland gehört zu werden. Nach der Buchmesse stellt sich wieder die Frage, wie ziviler Widerstand dagegen aussehen soll.
VON MELY KIYAK

Mal wieder ein Eklat. Diesmal hat er sich auf der Frankfurter Buchmesse zugetragen. Rechtsextreme Ideologen wollen ihre Schriften öffentlich diskutieren, eine Handvoll Leute protestiert, Handgemenge, Polizei. Anschließend tagelange Eklat-Berichterstattung. Auftritt der abgeklärt demokratischen Kommentatoren, die gönnerhaft erlauben, "die Rechten" grundsätzlich reden zu lassen, wegen Meinungsvielfalt und so weiter und so fort. Gegenmeinung dazu, die Rechten inszenieren und provozieren ihre Spektakel und alle fallen darauf rein, besser gar nicht berichten. Dann warten auf den nächsten Skandal.
 
"Wie umgehen mit Rechten?" ist der Klassiker des "Wehret den Anfängen"-Diskurses. Dürfen sie reden, müssen sie reden, können sie reden? Der Witz dabei ist, dass sie permanent reden. AfD-Mitglieder hatten bereits ein Dauerabo auf Sendeplätze im deutschen Fernsehen und Radio, aber noch kein einziges Landtagsmandat.
 
Sympathisanten von Pegida, AfD, Identitären, Ein Prozent, Pro-Bewegung und vielen anderen rechtsextremen Vereinigungen sitzen in Universitäten, Polizeigewerkschaften, Verlagskonzernen, sind Rechtsanwälte oder Richter, sind in allen möglichen Institutionen vertreten, in Zeitungen, Sendern, betreiben Blogs, man braucht ihr Rederecht nicht zu verteidigen, sie haben es längst. Zu ihren erfolgreicheren Tricks gehört, dass sie ihre Stigmatisierung dauernd behaupten. Meistens in Fernsehtalkshows vor einem Millionenpublikum.
 
Die rechtsextremen Netzwerke sind politisch, gesellschaftlich und finanziell enorm einflussreich. Es handelt sich nicht um Benachteiligte. Wer rechtsextrem ist, hat beste Chancen, gehört zu werden.
 
Nun kreist die öffentliche Debatte ständig um die Frage, wie man mit der AfD politisch korrekt, demokratisch legitimiert, staatsrechtlich bis auf den hinterletzten Paragrafen abgeklopft, stilistisch, formal und auch sonst tippitoppi umgehen darf. Immer unter der Prämisse, die AfD-Anhänger nicht zu verschrecken, die Abgehängten nicht weiter zu marginalisieren, um das Klientel bloß nicht weiter in die Radikalität zu treiben. Dieses Verhalten ist arg sozialpädagogisch geprägt, was natürlich eine irre Wendung ist.
 
Es flippen immer die anderen aus
 
Sogar die Selbstbezeichnung der Rechtsextremen, dass sie doch keine Rechtsextremisten seien, wird berücksichtigt. Rechtspopulisten, Nationalpopulisten, Liberalpopulisten, lauter Verniedlichungen, die deshalb so entsetzlich sind, weil auf diesem Weg das politische Bewusstsein einer ganzen Gesellschaft manipuliert wird. Es ist üblich geworden, von der AfD als einer rechtspopulistischen Partei zu sprechen, die "auch" rechtsextreme Strömungen vereinigt. Dabei ist es umgekehrt, die AfD ist eine rechtsextreme Partei, die auch andere Strömungen umfasst. Sie ist nämlich eine politische Organisation, die sich ohne wenn und aber gegen "den Islam" richtet und damit den Boden der demokratischen Rechtsordnung, also das Grundgesetz, verlassen hat.
 
Zurück zum "Wehret den Anfängen"-Gedanken: In welchem Zeitabschnitt bewegen wir uns gerade? Haben die Anfänge schon begonnen, sind sie überschritten, liegen sie längst hinter oder noch weit vor uns? Die Antworten fallen bestimmt unterschiedlich aus.
 
Wie sehr man sich von der Tatsache, dass Deutschland von der rechtsextremen Ideologie nach und nach politisch beeinflusst wird, belästigt fühlt, ist eine individuelle, politische Entscheidung. Sie ist unter anderem auch davon abhängig, ob man zu jener Gruppe der volksfremden Terroristen und Gefährder der Inneren Sicherheit gezählt wird, oder zu den schutzbedürftigen und besorgten Deutschen.
 
Wer sich selbst für nicht rechtsextrem hält, Muslime aber am liebsten aus der Gesellschaft vertrieben sehen will, der hat zum Thema Widerstand gegen Rechts sicherlich ein anderes Verhältnis als ein gläubiger, rechtschaffener, deutscher Muslim. Letzterer müsste eigentlich schon längst ausgeflippt sein angesichts der Unverschämtheiten, mit denen man ihn konfrontiert. Es flippen aber seltsamerweise immer die anderen aus. Die auf den Straßen herumbrüllen und Häuser anzünden.
 
Es steht jedem Bürger in diesem Land zu, demokratiefeindliche Rechtsextreme niederzuschreien, sie am Sprechen und Publizieren oder an Auftritten zu hindern. Es geschieht interessanterweise aber kaum. Hin und wieder fliegt ein AfD-Mitglied mal aus dem Restaurant oder aus der Sauna. Gemessen daran, dass sich diese Gesellschaft geschworen hat, nie wieder, wirklich nie, nie wieder Menschen aufgrund kultureller, sexueller, ethnischer Hintergründe zu diskriminieren und stattdessen in der Welt für Frieden zu sorgen und Schutzbedürftigen zu helfen, und gemessen daran, dass dieses Versprechen Tag für Tag gebrochen wird, herrscht devote Stille.
 
Man hat ihnen zugehört. Und nun?
 
Vielleicht, weil es jenen, denen es bald an den Kragen gehen soll, und jenen, die das nicht mittragen wollen, einfach zu unelegant ist, auf der Buchmesse Stinkefinger hochzuhalten. Ist ja irgendwie auch unfein. So wie der ganze Ton so grausam vulgär geworden ist, dass man schon aus ästhetischen Gründen bei so etwas nicht mitmachen kann.
 
Aufstehen gegen Rassismus ist eine mutige Angelegenheit. Jeder, der irgendwo laut wird und sagt, dass er diese Art von Reden nicht duldet, muss damit rechnen, dass seine Stimme in diesem einen Moment eine singuläre Stimme bleibt. Das hat auch mit dem öffentlichen Klima in der Medienlandschaft zu tun, die in einer Tour beschwört, die Rechten in Gespräche zu verwickeln, um sie zu entlarven. Als ob es die Aufgabe der Gesellschaft sei, die Rechten zu "entlarven". Ist doch alles transparent, liegt unverschlüsselt und leicht verständlich da. Sie reden. Sie reden die ganze Zeit. Man kann es nachlesen, nachschauen, nachhören. Man hat ihnen zugehört. Und nun?
 
Es ist zutiefst befremdlich, einen einheitlichen kollektiven Umgang mit Rechtsextremismus einzufordern. Die Aufgabe der Journalisten bezüglich der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Manipulation ist eine andere als in der Zivilgesellschaft. Der Journalist muss prüfen und Gegenpositionen beschreiben. Der Theaterdirektor muss das nicht. In den Buchverlagen ist es bereits jetzt schon so, dass Autoren kollektiv den Verlag verlassen, wenn ein Buch erscheint, das rechtsextreme Positionen einnimmt. Jeder, der sich aktiv und mutig gegen Rechtsextremisten wehrt, muss anschließend mit heftigen Drohungen rechnen. Berndt Schmidt, Intendant des Berliner Friedrichstadt-Palastes, hat es zuletzt getroffen.
 
Freiheit und Meinungsvielfalt bedeutet, dass jeder für sich entscheiden darf, ob er Rechtsextreme aussprechen lassen oder unterbrechen will. Ob er ihnen zuhört oder laut gegen sie anschreit. Ob er protestiert, gegenargumentiert oder sie ignoriert. Ob er mit Witz, Satire, Pamphlet, Plakat, Essay, Sachbuch oder Manifest reagiert. Man darf schweigen oder sich bei Facebook kaputtkommentieren. Die Form des Widerstandes ändert sich auch mit dem Alter. Als junger Mensch schreit man lauthals "Nazis raus". Ein, zwei Jahrzehnte später will man das Phänomen anders durchdringen und begreifen, lernt die Ausdrücke der politischen Theorie dahinter und formuliert seinen Protest oder seine Gegenposition in anderen Begriffen.
 
Der Rechtsextremismus ist eine einflussreiche, politische Strömung. Sie hat Vordenker und Ideologen in Schreibstuben, sie hat die Bewegung draußen auf den Straßen und sie hat einen parlamentarischen Arm in den Landtagen und im Bundestag. Außerdem ist sie international vernetzt. Verfügt über Thinkthanks, Geld, Möglichkeiten. Es würde sich lohnen, sich mit ihr inhaltlich auseinanderzusetzen. Nicht auf der Ebene von Balkanroute und Obergrenze, sondern dort, wo sie mit ihrem nationalistisch-völkischen Deutschlandbild an die Romantik anknüpft. Dieser Aspekt der rechtsextremen Identitätspolitik wird im Großteil der deutschen Medien zugunsten von Skandalberichterstattung beharrlich ausgespart. Denn es gibt zwar viele Befürworter einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der AfD, aber enorm wenige Personen, die kenntnisreich mit den Chefdenkern der Neuen Rechten wie Götz Kubitschek, Marc Jongen, Hans-Thomas Tillschneider oder auch Björn Höcke reden könnten.


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