| Guten Morgen, | | |
am Montagabend wurde in Neugraben-Fischbek ein zweijähriges Mädchen ermordet aufgefunden. Und wenn Sie seither in die Nähe einer Tageszeitung gekommen sind, wissen Sie vermutlich, auf genau welche Weise die Kleine zu Tode gekommen ist. Ebenfalls am Montagabend brachte die ZDF-»Heute«-Sendung einen ausführlichen Beitrag über eine Verletzung des in den USA spielenden deutschen Basketballers Dennis Schröder, komplett mit Schmerzensschrei und Zeitlupe des Moments, in dem der Unfall geschah. (Es entpuppte sich erfreulicherweise als lediglich leichte Verletzung, weshalb man sich umso mehr fragt, warum das dem »Heute«-Team 40 Sekunden seiner kostbaren Sendezeit wert war.) Bereits am Sonntag verfing sich ein zweijähriges Kind am U-Bahnhof Farmsen mit dem Fuß in der Rolltreppe. Auch hierzu konnte man, wenn man wollte, aus manchen Zeitungen erfahren, auf welche Weise das arme Kind vorab vom Notarzt behandelt werden musste, damit es die – vorsichtig ausgedrückt – mehrere Minuten dauernde Befreiungsaktion überstehen konnte. Da entstehen Bilder im Kopf, die man stundenlang nicht los wird. Und vergangene Woche konnte ich gar nicht schnell genug von der Webseite einer großen deutschen Boulevardzeitung wegklicken, um nicht doch – direkt auf der Homepage – ein scharfes Foto einer leider sehr sichtbar schweren Knöchelverletzung eines weiteren Sportlers sehen zu müssen. Gleichzeitig liest man allenthalben, dass die Einsatzkräfte nach Unfällen heutzutage nicht nur alle Hände voll zu tun haben, den Verletzten zu helfen, sondern auch damit, Schaulustige fernzuhalten, die – und hier setzt bei mir jedes Vorstellungsvermögen aus – mit ihren Handykameras draufhalten. Jedes Mal, wenn ich die Decken und Stoffbahnen sehe, die von mindestens zwei Personen gegen die Gaffer hochgehalten werden müssen, frage ich mich, was diese beiden Menschen in der gleichen Zeit Sinnvolles hätten tun können. Die entscheidende Frage ist hier wohl jene nach Henne oder Ei. Bringen manche Medien solche Gruselmeldungen in dem Wissen, dass sie Zuschauer oder Leser anlocken und Klicks generieren? Oder ist es ein verzweifelter Versuch, mit immer noch mehr Grusel aus dem Einheitsrauschen der vielen Kanäle herauszustechen? Werden wir dadurch so abgebrüht, dass wir nichts mehr daran finden, blutende Verkehrsopfer abzufilmen? Oder sind wir es längst? Muss ich genau wissen, auf welche Weise das kleine Mädchen getötet wurde, um die gesamte Tragweite dieser Tragödie erfassen zu können? Nein. Ich möchte es auch nicht wissen. Ebenso wenig möchte ich einen Teil der »Heute«-Sendung, so wie am Montag, mit geschlossenen Augen verfolgen müssen. Und ich möchte selbst entscheiden dürfen, ob mir beim Surfen im Internet übel wird oder nicht. (»Wenn Sie kotzen wollen, klicken Sie hier!«) Mark Spörrle hat vor einiger Zeit an dieser Stelle über Anstand und Feingefühl geschrieben. Beides stünde auch vielen Medien gut zu Gesicht. Und erst dann dürfen sie sich über fotografierende Unfallvoyeure echauffieren.
Hamburg kämpft vor dem Verfassungsgericht um Einwohner und Geld
500 Millionen Euro! Was man damit alles machen könnte: Wohnungen bauen, Parks anlegen, Radwege erneuern, mehr Lehrer an Schulen einstellen, den Müll öfter einsammeln lassen oder etwas mehr als eine halbe Elbphilharmonie finanzieren. Nicht nur wir hätten da ein paar Ideen. Deshalb steht Hamburg seit gestern als Klägerin vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Gemeinsam mit Berlin wehrt sich die Stadt gegen die Einbußen, die sich aus dem Zensus 2011 ergeben haben. Denn durch die Volkszählung schrumpfte Hamburg um mehr als 80.000 Einwohner und bekommt seitdem weniger Geld durch den Länderfinanzausgleich. »Es geht da um etwa 100 Millionen Euro jährlich. Da lohnt sich so ein Verfahren schon«, sagte uns gestern ein Sprecher der Finanzbehörde. Insgesamt sind der Stadt bislang durch die veränderte Einwohnerzahl rund eine halbe Millarde Euro durch die Lappen gegangen, allerdings ohne direkte Auswirkungen. »Dank der guten Einnahmesituation gibt es keine Projekte, die deshalb nicht umgesetzt werden konnten«, sagte der Sprecher. »Trotzdem: Das ist Geld, das uns eigentlich zusteht, und deshalb wollen wir das gerichtlich klären.« Stein des Anstoßes ist die Erhebungsmethode. Zum ersten Mal haben die Statistiker nur knapp zehn Prozent der Bürger befragt, aber vor allem die Daten der Einwohnermeldeämter und anderer Stellen ausgewertet. Berlin und Hamburg halten die Ergebnisse für ungenau und verzerrt. »Aus Sicht der Bundesregierung war der Zensus 2011 erfolgreich und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden«, sagte dagegen Staatssekretär Klaus Vitt gestern in Karlsruhe. Mit einem Urteil wird erst in einigen Monaten gerechnet. |
|
|