Zürcher Schikane | Akademie im Exil | 3 ½ Fragen an Leonard Borchert | Dr. acad. Sommer berät Forscherin mit Kinderwunsch

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
diese Woche lässt sich gut an. Erst die Zeitumstellung (eine Stunde länger schlafen!), und dann ist morgen auch schon wieder frei (500 Jahre Reformation feiern!). Der Gedenktag ist geradezu ideal, um zum Beispiel die eigene Nachwuchsförderung zu überprüfen. Muss da nicht doch endlich was reformiert werden? An der ETH Zürich stellt sich diese Frage nach Schikane-Vorwürfen von Doktoranden ganz akut. Wem das Zürcher Drama als Anstoß zum Nachdenken nicht ausreicht, möge in diesem CHANCEN Brief Leonard Borchert lesen. Der Doktorand erinnert im Fragebogen an den Wert von Diversität in der Wissenschaft, und Dr. acad. Sommer berät dazu passend gleich eine Wissenschaftlerin mit Kinderwunsch.
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Zürcher Schikane
Die ETH Zürich, Fixstern am europäischen Elite-Himmel, ist schwer ins Trudeln geraten. Konfrontiert mit Schikane-Vorwürfen liefert die Schweizer Vorzeige-Uni in diesen Tagen ein Diskussionspaket im XXXL-Format zu fünf Topthemen der Wissenschaft: 1) Doktorandenausbildung 2)  Führungs- und Personalarbeit, 3) Integrität 4) Konfliktmanagement und Mediation sowie 5) Krisenmanagement. Das wahre Ausmaß des Dramas um Demütigung und Ausbeutung an der ETH ist dabei noch nicht einmal absehbar. Seitdem vor einer Woche massive Vorwürfe einer Ex-Doktorandin bekannt wurden (NZZ am Sonntag), berichten immer mehr Wissenschaftler von Mobbing an der ETH und sprechen von „strukturellen Problemen“ (Watson). Im Zentrum der Kritik steht die international renommierte Astronomin Marcella Carollo, die zusammen mit ihrem Ehemann Simon Lilly ab 2002 das Institut für Astronomie an der ETH aufbaute (Science). Intern bekannt sind die Vorwürfe gegen Carollo seit Februar, Betroffene hatten sich Ombudspersonen anvertraut. Im März reagierte Uni-Präsident Lino Guzella, teilte die Doktoranden anderen Betreuern zu und vereinbarte ein Sabbatical mit den Spitzenforschern. In geradezu rekordverdächtiger Zeit gelang Guzella bis zum Sommer zudem die Institutsschließung. Der akuten Schadensbegrenzung folgt nun reichlich verzögert die Aufarbeitung. Eine tiefer gehende Untersuchung kündigte die ETH-Spitze via Pressemitteilung jedenfalls erst vor wenigen Tagen nach massivem öffentlichen Druck an. Dabei ist die Klärung der anonymen Vorwürfe umso dringlicher, als ihnen ein Schreiben entgegensteht, das Carollos Führungsstil und Nachwuchsarbeit verteidigt: “She has been unusually dedicated to her students,” zitiert Science das Unterstützungsschreiben, “If at times she comes across as a relentless task master, this owes to her commitment to her students and desire to maximise their career chances.”
  
 
 
Akademie im Exil
Viele Tausend türkische Wissenschaftler sind seit vergangenem Jahr vor Repressionen und Verfolgung aus ihrem Heimatland geflohen. Sie leben im Exil von – ja, was eigentlich? Ein paar Stipendienprogramme wie die Philipp Schwartz-Initiative der Humboldt-Stiftung immerhin gibt es. Die Volkswagenstiftung weitet ihr Engagement für bedrohte Forscher jetzt erfreulicherweise aus und unterstützt die „Akademie im Exil“. Gegründet vom Institut für Turkistik der Universität Duisburg-Essen (UDE), dem
Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen (KWI) und dem Forum
Transregionale Studien in Berlin will die Initiative Gegnern des Regime Erdogan ermöglichen, ihre Forschung fortzuführen (Welt). Ein Gewinn auch für die Türkeistudien in Deutschland. Sie werden bislang vor allem von der Mercator-Stiftung im Programm Blickwechsel gefördert. Die „Akademie im Exil“ kommt nun hinzu. 10 Fellowships mit insgesamt 900.000 Euro sind zu vergeben. Bewerbungsschluss bei der Volkswagenstiftung ist der 15. November. Welcome!
  
 
 
Wenn Parlamentarier fragen
"Ich habe mich gefragt, ob Sie mir freundlicherweise die Namen der Professoren an Ihrem Institut mitteilen könnten, die sich mit europäischen Beziehungen beschäftigen, insbesondere in Bezug auf den Brexit…“ Ist solch eine Parlamentarier-Anfrage an Universitäten und Instituten pc or not-pc? Publish! fand der Tory-Abgeordnete Chris Heaton-Harris und schickte den Brief gleich als Rundschreiben raus. Das war Anfang Oktober. Heute, nach einem Sturm der Empörung, weiß es Heaton-Harris besser. Perish! heißt die korrekte Antwort. Der Brief triggerte Unis, Öffentlichkeit und Politik in UK (Guardian, THE, Spiegel Online). Am Ende musste Wissenschaftsminister Jo Johnson für seinen Parteifreund in THE stammeln: „I am sure Chris is regretting this very much“.
  
 
 
Santander Group wird Ranking-Finanzier
Der weltweite Hochschulvergleich U-Multirank hängt finanziell nicht mehr nur am Tropf der EU-Kommission. Aus Mitteln des Erasmus+ Programm hatte Brüssel das Ranking bislang jährlich mit einer Million Euro allein getragen. Bis Mitte 2019 sieht die Finanzierung anders aus: 1,2 Millionen Euro kommen aus der EU, die spanische Santander Group und die Bertelsmann Stiftung steuern jeweils weitere 600.000 Euro bei, teilte das CHE mit. Mit seinem multi–dimensionalen Ansatz ermöglicht U–Multi seinen Nutzern, sich über Stärken und Schwächen von Hochschulen zu informieren. Die mehr als 30 Indikatoren machen die individuellen Profile von Hochschulen sichtbar. Wie sich die Hidden Champions in U-Multirank entdecken lassen, erklärt Isabel Roessler vom Centrum für Hochschulentwicklung im Blog von Jan-Martin Wiarda.
  
 
 
Am Puls der Unichefs
Einmal im Jahr misst der Stifterverband den Hochschulleitungen den Puls – und veröffentlicht den Befund im Hochschulbarometer (Finanznachrichten, Deutschlandfunk). Die neueste Ausgabe findet sich hier. Wer sich durchklickt bis zum Punkt „Gesellschaftliches Klima“, wird überrascht die Stirn runzeln. Während sich das Gros der Hochschulen von der Gesellschaft wertgeschätzt fühlt, werden offenbar ausgerechnet die Unis von Insuffizienz-Gefühlen geplagt, die in der Exzellenzinitiative bestens abschnitten. Bei den Eliteuni-Chefs sank die Stimmung binnen eines Jahres um 20 Prozentpunkte.
  
 
 
 
   
   
   
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Die Zahl
 
 
   
1.480

Euro beträgt zwischen den Bundesländern mittlerweile der Unterschied bei der Professorenbesoldung
 
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Leonard Borchert

Doktorand am Institut für Meereskunde der Universität Hamburg und am Max-Planck-Institut für Meteorologie; Sprecher des Max-Planck PhDnet
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
Ein Großteil der Promovierenden in Deutschland kann nicht für immer in der Forschung arbeiten – dafür sind die Stellen nicht da. Das berührt mich als Doktorand auch ganz persönlich. Trotzdem werden nur einem Bruchteil von uns während der Promotion alternative Karriereperspektiven aufgezeigt. Karrieremessen können hier helfen, neue Perspektiven aufzuzeigen (z.B. www.visions-in-science.org). Zudem ergibt sich so die Chance eines effizienteren Transfers hochqualifizierter Menschen zwischen Wissenschaft und Industrie. Hier gibt es immer noch einiges an ungenutztem Potenzial.
 
Welches wissenschaftspolitische Problem lässt sich ohne Geld lösen?
Wissenschaft lebt davon, dass Menschen unterschiedlichster Hintergründe mit vielfältigen Perspektiven gemeinsam forschen. Auf unteren Karrierestufen besteht in Deutschland oft noch große Vielfalt bezüglich Geschlecht oder Herkunft. Danach verlieren wir zum Beispiel mit jeder Karrierestufe 10% Frauen. Als Sprecher des Promovierendennetzwerks der Max-Planck-Gesellschaft setze ich mich dafür ein, Diversität auch nach der Promotionsphase hoch zu halten. Dazu braucht es auf allen Karrierestufen Sensibilisierung für und offenen Umgang mit Themen der Diversität und der Gleichberechtigung. Das kostet zwar Zeit und eine Umstellung der täglichen Arbeit, kann aber dazu beitragen, einen nachhaltigen Kulturwandel in der Wissenschaft herbeizuführen.
 
Lektüre muss sein. Welche?
Zeitoun von Dave Eggers, die wahre Geschichte eines in die USA immigrierten Syrers und seiner Familie. Im von Hurrikan Katrina verwüsteten New Orleans versucht Familienvater Abdulrahman, seinen Betrieb vor den Fluten zu schützen, hilft dabei anderen Bürgern der Stadt und sieht sich trotzdem oft mit Vorurteilen konfrontiert. Eine Geschichte, die viele Facetten der aktuellen Gesellschaft widerspiegelt. Zumindest im Englischen ist Zeitoun zudem ein tolles Beispiel für präzise und unterhaltsame Wiedergabe von Fakten – hier können viele Wissenschaftler_innen noch lernen.
 
Und sonst so?
Die vielen Menschen, die sich neben ihrer Promotion in den Promovierendennetzwerken engagieren zeigen mir täglich, dass eine diverse und nachhaltige Wissenschaft möglich ist. Das motiviert mich, meinen Rechner auch mal stehen zu lassen und mich am Wandel zu beteiligen.
   
   
 
 
   
   
   
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Dr. acad. Sommer
 
 
   
   
"Ich habe eine sehr gute Stelle als Akademische Rätin auf Zeit und möchte unbedingt Professorin werden. Allerdings ist mein Kinderwunsch (Plural!) genauso groß. Wie lässt sich beides vereinbaren?”

Liebe Frau X,
ein sehr berechtigtes Anliegen! Leider gibt es keinen Standard-Karrierepfad, auf dem das möglich wäre. Aber es gibt ein Mosaik aus institutionellen und individuellen Lösungsangeboten, die Sie nutzen können:
Universitätsprofessuren werden nicht in Teilzeit ausgeschrieben. Es ist aber beamtenrechtlich möglich nach der Geburt des Kindes den Umfang der Professur vorübergehend zu reduzieren. 
Auch das Lehrdeputat kann vorübergehend reduziert oder flexibel über mehrere Semester verteilt werden.
Im Vorfeld einer Bewerbung gilt es, Kontakt mit Gleichstellungs- und Familienbüro der Hochschule aufzunehmen und herauszufinden, welche familienfreundlichen Angebote die Institution vorhält. Nutzen Sie auch Ihr Netzwerk, um sich über Lösungen und Erfahrungen auszutauschen.
Sind Sie bis zur Berufungsverhandlung vorgedrungen, bringen Sie Themen der Vereinbarkeit und der „Dual Career“ unbedingt ein. Eine Stelle für Ihre*n Partner*in oder ein Platz in der Uni-Kita können Teil Ihres Berufungspakets sein.
Lernen Sie delegieren - sowohl im professionellen Alltag als auch zu Hause. Setzen Sie sich kritisch mit Ihren eignen Ansprüchen bezüglich Ihrer Rolle als Professorin und Mutter auseinander. Wer ist schon perfekt …
Ein weiterer, sehr zentraler, Erfolgsfaktor von Akademikerinnen mit Kindern: Ihr*e Partner*in sollte seinen/ihren Anteil an der Kinderbetreuung gleichberechtigt übernehmen. Das heißt z.B. Sie sind nicht immer und nicht automatisch die Ansprechpartnerin, wenn Ihr Nachwuchs krank aus der Krippe abgeholt werden muss.
Seien Sie flexibel, mutig und kreativ in der Ausgestaltung Ihrer Stelle: Heimarbeit, Familienzimmer, Kinderbetreuung auf Konferenzen, Kinderbetreuung gemeinsam mit Kolleg*innen, Vorlesung mit Kind auf dem Arm… das eine oder andere kann Ihr Umfeld irritieren, überlegen Sie also im Vorfeld, was zu Ihnen passt
Für Wagemutige: Sie können sich im Tandem auf eine Professur bewerben, um diese zu teilen. Sie sollten sich inhaltlich mit der anderen Person gut ergänzen und im Team arbeiten können. Denken Sie daran, sich für den Fall Gedanken zu machen, dass eine*r von Ihnen die Professur früher verlassen möchte als die/der andere. Tandembewerbungen haben schon Erfolg gehabt!

Verbessern Sie Ihr Verhandlungsgeschick, dann können Sie vieles für sich möglich machen. In diesem Sinne: Viel Erfolg!

Dr. Neela Enke, Scienza Science Coaching, Berlin. Coach, Trainerin und Mediatorin. Sie schreibt für das Coachingnetz Wissenschaft als Dr. acad. Sommer.
   
   
Auch eine Frage an Dr. acad. Sommer? Schreiben Sie an chancen-brief@zeit.de, twittern Sie unter #ChancenBrief – oder hinterlassen Sie uns in diesem Kontaktformular anonym Ihre Frage!
   
 
 
   
 
   
   
 
Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
   
Wie der Faust aufs Auge Laut, schrill und schlau: »Fack ju Göhte 3« mischt die Bildungsdebatte auf, dass es wehtut 

»Als Einzelkämpfer kommt man nicht weit« Hans-Christian Pape wird neuer Präsident der Humboldt-Stiftung Umdenken oder untergehen! Auf der Suche nach einem neuen Bildungsbegriff: Das Ideal der Aufklärung ist am Ende – es hat den Planeten zerstört. Der Mensch muss lernen, seine eigene Freiheit zu begrenzen Tagen im Zwielicht Windige Anbieter ködern Wissenschaftler mit Pseudokonferenzen Glänzende Aussichten Privatschulen boomen. Liegt das allein an ihrer pädagogischen Qualität – oder an ihrer Kundschaft?

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
 
   
   
   
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Speek out, Science! Die Organisatorinnen und Organisatoren des diesjährigen March for Science sind bei einer gemeinsamen Tagung der VolkswagenStiftung, der Robert Bosch Stiftung, der Leopoldina und der ZEIT für ihr Engagement gewürdigt worden. In 22 deutschen Städten waren über 37.000 Menschen für die Wissenschaft mobilisiert worden. Das Bündnis hat mittlerweile den gemeinnützigen Verein „March for Science“ gegründet und beschlossen: Im April 2018 geht die Wissenschaft wieder auf die Straße. Auf dem Laufenden bleiben Sie hier.

Quelle: Philip Bartz für VolkswagenStiftung
 
 
 
 
 
 
 
 
 
   
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