Theresa May lässt grüßen. Ohne jede Not rief Großbritanniens Regierungschefin im Frühjahr vorgezogene Neuwahlen aus, die von den Tories dann
krachend verloren wurden. Das gleiche Schicksal könnte jetzt Shinzō Abe ereilen. Japans Premierminister hat für den 22. Oktober Neuwahlen zum Unterhaus angekündigt, um, wie er sagt, die doppelte "nationale Krise" aus demografischem Niedergang und Nordkoreakonflikt mit einem erneuerten Mandat besser bewältigen zu können. Dabei verfügte Abe im Parlament bisher über eine Zweidrittelmehrheit. Zeit hätte er bis zum Dezember 2018 gehabt, erst dann hätte in Japan wieder gewählt werden müssen. Warum also ruft er die Bürger schon 14 Monate früher an die Wahlurnen?
Weil Abe – wie May – rein taktisch denkt und dabei die eigene Stärke und die Schwäche der Opposition falsch einschätzen könnte. Seine Stärke: Japan geht es derzeit recht gut. Die Wirtschaft wächst, wenn auch langsam, die Löhne steigen, die Arbeitslosigkeit liegt unter drei Prozent. Zudem hat der Premier bei seinem harten, an Donald Trump angelehnten Kurs im
Nordkoreakonflikt die Mehrheit der Japaner hinter sich. Seine Popularitätswerte sind wieder auf knapp 50 Prozent gestiegen, nachdem sie im Juli nur noch bei etwa 30 Prozent lagen; es war Abe nicht gelungen, Vorwürfe der Günstlingswirtschaft auszuräumen.
Die Demokratische Partei liegt in Trümmern Mehr noch als die guten eigenen Zahlen könnten ihn die schlechten Werte der Opposition zu vorgezogenen Wahlen verführt haben. Die Demokratische Partei, die Japan zwischen 2009 und 2012 regierte, liegt in Trümmern. Sie kam bei den jüngsten Umfragen gerade noch auf zehn Prozent. Also jetzt schnell wählen lassen, die satte Mehrheit seiner Liberaldemokratischen Partei (LDP) für weitere vier Jahre sichern und so genügend Zeit haben, um die seit Langem angestrebte Änderung der pazifistischen Nachkriegsverfassung durchzusetzen. Das war Abes Plan.
Dann kam Yuriko Koike. Die machtbewusste Gouverneurin von Tokio, einst selber Mitglied der LDP und für kurze Zeit Abes Verteidigungsministerin, hatte sich im vergangenen Jahr gegen den ausdrücklichen Wunsch des Premiers um den Gouverneursposten in der Hauptstadt beworben und den Kandidaten der Regierungspartei klar besiegt. Nicht nur das: Bei den Wahlen zum Regionalparlament in diesem Sommer fügte ihre Tomin-Partei der LDP eine bittere Niederlage zu.
Konkurrenz von einer Frau Jetzt erwischte Yuriko Koike, risikofreudig und mit einem ausgeprägten Sinn für gutes Timing, Shinzō Abe erneut auf dem falschen Fuß. Nur Stunden, bevor dieser offiziell den 22. Oktober als
Tag der Neuwahlen bekannt gab, verkündete sie die Gründung ihrer neuen Partei der Hoffnung. Sie selbst will nach eigenen Angaben nicht bei den Wahlen als Kandidatin antreten, aber schon schreiben die Medien in Japan über den bevorstehenden Showdown zwischen Koike und Abe. Ja, manche spekulieren bereits über Japans erste Premierministerin.
Das mag etwas verfrüht sein, aber Shinzō Abe hat allen Grund, die Rivalin zu fürchten. Die daniederliegende oppositionelle Demokratische Partei kündigte inzwischen an, bei den Wahlen nicht mehr antreten zu wollen. Parteichef Seiji Maehara, gerade drei Wochen im Amt, empfahl seinen Abgeordneten, für Koikes Partei der Hoffnung zu kandidieren. Zwei weitere kleine Parteien scheinen zur Zusammenarbeit mit Koike bereit zu sein.
Es fehlt eine politische Alternative Zudem hofft Koike auf Unterstützung des immer noch populären Ex-Premiers Jun'ichirō Koizumi, der von 2001 bis 2006 amtierte. Beide sind unter dem Eindruck der Katastrophe von Fukushima zu Gegnern der Atomkraft geworden, während Abe an der Nutzung der Kernenergie festhalten will. Ansonsten sind Koike und Abe in ihren politischen Grundüberzeugungen nahe beieinander. Beide sind konservative Nationalisten (Koike nennt sich eine "Reformkonservative"). Beide plädieren für eine größere Verteidigungsbereitschaft. Beide sind zum Yasukuni-Schrein gepilgert, in dem Japan seiner Kriegstoten gedenkt – auch der einst zum Tode verurteilten Kriegsverbrecher.
Und das ist die Crux dieses Duells: Es fehlt ihm die grundsätzliche politische Alternative. Mit dem Scheitern der Demokratischen Partei haben die Japaner nicht mehr die Wahl zwischen einer starken konservativen Kraft, der LDP, und einer liberalen oder linksliberalen Opposition. Nun stehen sich zwei konservative Lager gegenüber, die in allen wesentlichen Punkten einer Meinung sind. Immerhin: Es gibt bei den Demokraten eine Gruppe um den stellvertretenden Parteivorsitzenden Yukio Edano, die den Schwenk zu Koike nicht mitmachen will. Diese Gruppe möchte das liberale Erbe der Demokraten verteidigen und hat jetzt die Gründung einer eigenen Partei angekündigt.
Dennoch ist fürs Erste die Hoffnung begraben, in Japan könnte sich ein stabiles Zweiparteiensystem herausbilden, das von einem klar zu unterscheidenden politischen Angebot und vom demokratischen Wechsel lebt. Jetzt geht es wieder mehr um die Persönlichkeit der Kontrahenten als um ihre Politik – so wie es schon immer war im Kampf zwischen den verschiedenen LDP-Fraktionen. Ein politischer Fortschritt ist dies für Japan nicht.