| ... oder lieber Schotten dicht?
Banken und Geschäfte, die zentrumsnah liegen, wählen da lieber die andere Variante: Pünktlich zum Gipfel werden so manche Türen verschlossen und Fenster vernagelt. Die Haspa-Filiale am Schulterblatt etwa bleibt Freitag und Samstag zu, die Filialen am Kaiserkai in der HafenCity und am Jungfernstieg schließen am Samstag. Und dort, wo schon oft bei Demonstrationen Scheiben eingeschlagen wurden, wolle man sich »entsprechend sichern«, sagt Sprecherin Simone Naujoks. Die Budni-Filialen öffnen indes alle weiter wie gehabt. Erst einmal jedenfalls: Schließungen seien durchaus möglich, jene Geschäfte in und nahe der Sicherheitszonen werden schon jetzt durch Barrikaden geschützt, so Sprecherin Wiebke Spannuth. Auch in den Colonnaden wollen einige Geschäfte schließen, ebenso im Levante-Haus – und der Lieblingsbäcker einer Teamkollegin (die Bramfelder Backstube auf St. Pauli) schließt gar von Donnerstag bis Samstag. Das einjährige Jubiläum der Eventreihe Kleine Läden in der Nacht am Donnerstag wurde abgesagt – nur sechs von 40 Läden wollten noch mitmachen, mittlerweile wollten sogar Geschäfte in Vierteln wie Winterhude und Ottensen an den Gipfeltagen schließen, sagte uns Initiatorin Katharina Walter. Und im Karolinenviertel, also in direkter Nähe zum Tagungsort Messehallen? Dort machen einige Läden die ganze Woche über zu, und in so manchem Schaufenster heißt es: »G20 go home!« oder auch »G20 nicht in der Nähe von Kindern«.
»Die Polizei putscht gegen die Justiz«
Mehr als 30 Demonstrationen sind beim G20-Gipfel in Hamburg angemeldet: jede Menge Potenzial für Auseinandersetzungen mit der Polizei, bei denen rechtliche Fragen eine große Rolle spielen. Um die kümmert sich aufseiten der Demonstranten der sogenannte Anwaltliche Notdienst, rund 120 Anwälte, die sich unter dem Dach des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins e.V. zusammengeschlossen haben und deren Einsatz durch Spenden finanziert wird. Einer aus dem »Legal-Team« ist Rechtsanwalt Dirk Audörsch, Fachanwalt für Sozialrecht und Lehrbeauftragter an der HAW Hamburg. Elbvertiefung: Herr Audörsch, wie funktioniert der anwaltliche Notdienst? Dirk Audörsch: Bei Ereignissen, bei denen insbesondere mit freiheitsentziehenden Maßnahmen zu rechnen ist, können Demonstranten über die Telefonnummer 040/432 78 77 88 Namen von Personen durchgeben, die in Gewahrsam genommen werden oder wurden. Die Anwältinnen und Anwälte kümmern sich dann darum, dass diese Menschen ein rechtsstaatliches Verfahren bekommen. Einerseits geht es darum, ihre Freilassung schnellstmöglich zu erreichen, andererseits darum, bestimmte Maßnahmen im Vorfeld zu verhindern. EV: Was können die Anwälte erreichen? Audörsch: Wir können zum Beispiel den freien Zugang zu angemeldeten Demonstrationen ermöglichen, wenn die Polizei zeitraubende Vorkontrollen vornimmt. Die Anwälte fahren auch zur Gefangenensammelstelle, um sich dafür einzusetzen, dass in Gewahrsam Genommene innerhalb von drei bis sechs Stunden einem Richter vorgeführt werden. Erst vor einigen Tagen wurde das missachtet: Da waren nach einer politischen Aktion auf der Elbe ein paar Menschen 13 Stunden lang in Polizeigewahrsam, ohne einen Richter gesehen zu haben. Dieses Vorgehen missachtet Verfassungsrecht. EV: Solcher Rechtsmissbrauch kommt bei uns tatsächlich noch vor? Audörsch: Ja. Es müssen beispielsweise bestimmte Voraussetzungen vorliegen, damit die Polizei Schlagstöcke einsetzen darf; dieses findet jedoch auch statt, ohne dass die Voraussetzungen für die Zulässigkeit von unmittelbarem Zwang vorliegen, sodass der Schlagstockeinsatz rechtswidrig ist. Oder die Polizei beschlagnahmt zum Beispiel Plakate mit einer Länge von 2,50 Metern, obwohl das Verwaltungsgericht drei Meter Länge erlaubt hatte. Dann gilt es, diese Vorgaben vor Ort durchzusetzen. Denn wenn dies erst nachträglich durch Gerichte geklärt wird, kommt es für die konkrete Versammlung zu spät. EV: Die Rechtsanwälte des anwaltlichen Notdienstes laufen ja zum Teil mit den Demonstranten mit, manche von ihnen tragen neonfarbene Westen mit der Aufschrift »Legal-Team«. Warum ist das nötig? Audörsch: Die Westen dienen einerseits unserem Schutz vor der Polizei und andererseits dazu, schneller erkannt zu werden für mögliche Rechtsgespräche mit der Polizei. EV: Heute werden bei der »Welcome to Hell«-Demo rund 10.000 Teilnehmer erwartet, darunter sollen mindestens etwa 5000 Militante sein. Wird das für Sie ein Schwerpunkteinsatz? Audörsch: Wie viele von uns vor Ort sein werden, hängt auch davon ab, ob die Polizei entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben versammlungsfreundlich vorgehen wird. EV: Was erwarten Sie sich vom weiteren Verlauf des G20-Gipfels? Audörsch: Dass die Polizei sich leider noch mehr über Recht und Gesetz hinwegsetzen könnte. So war es auch in Entenwerder: Es gab einen für die Anmelder positiven Beschluss, und trotzdem wurden Zelte beschlagnahmt und mit Polizeigewalt entrissen. Ein Kollege hat es so formuliert: Die Polizei putscht gegen die Justiz.
Demoreport (1): »Nachttanzdemo«
Wummernde Beats und junge Leute, die mit Bierflasche in der Hand über die Straße tänzeln: So war es gestern Abend an den Landungsbrücken, wo etwa 3000 Gipfelgegner sich zu einer »Nachttanzdemo« zusammenfanden, Motto: »Lieber tanz ich als G20!« Aufgerufen zu dem fröhlichen Protest hatte das Kollektiv »Alles Allen«. Drei Stunden lang ging es zunächst am Hafen entlang, dann kreuz und quer durch St. Pauli. Die Stimmung: ausgelassen, wie bei einem Festival (wenn Herr Grote das gesehen hätte!), das Publikum: sehr jung, bunt, trotzig. »Wir können es nicht ertragen, dass Autokraten in unsere Stadt kommen; dagegen wollen wir ein fröhliches Zeichen setzen«, sagt die 23-jährige Carmen. Sieben Lautsprecherwagen begleiteten die bunte Menge, auf ihnen standen Parolen wie »G20 in die Tonne kloppen«. »Seit Dienstagabend hat sich die Stimmung in der Szene verändert. Das Massencornern hat gezeigt, dass wir uns den öffentlichen Raum friedlich zurückerobern können«, sagt Maarten Thiele, der die Demo angemeldet hatte. »Allerdings war es völlig unverhältnismäßig, den Pferdemarkt am Dienstagabend mit Wasserwerfern räumen zu lassen.« Von Anspannung war hier gestern Abend aber nichts zu spüren. Auch die Polizei sprach von einem bunten Protest und guter Stimmung. |
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