| »Die Überforderung ist strukturell«
Die Strategie der Ordnungshüter dieser Tage bei G20 wirft immer wieder Fragen nach Augenmaß und Verhältnismäßigkeit auf. Aber der Job ist schließlich alles andere als einfach. Wir sprachen mit dem Berliner Soziologen Peter Ullrich vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung über die Mammutaufgabe, welche die Polizei derzeit in Hamburg zu lösen hat.
Elbvertiefung: Herr Ullrich, die Polizei in Hamburg muss aktuell einerseits die Versammlungsfreiheit gewährleisten, andererseits die Sicherheit der Gipfelteilnehmer ... Peter Ullrich: Das ist ein Dilemma. Es hilft dabei schon, wenn man anerkennt: Das ist ein manifester Konflikt, der sich nicht einfach so in Wohlgefallen auflösen lässt.
Elbvertiefung: Nun hat es im Vorfeld des Gipfels schon Situationen gegeben, in denen das Auftreten der Polizei als überzogen in der Kritik stand. Wie lässt sich das erklären? Ullrich: Weil es tatsächlich völlig überzogen ist. Die Polizei hat von der Politik freie Hand bekommen. Das Hauptziel scheint zu sein, den Gipfel störungsfrei absolvieren zu können. Deshalb sind beim Demonstrations- und Versammlungsrecht massive Abstriche gemacht worden. Aber die Strategie der harten Hand, die hier angewendet wird, ist für deutsche Verhältnisse schon extrem: Die Polizei hat die gesetzlich definierte Aufgabe, das Versammlungsrecht zu schützen. Was sie aber bisher macht, ist, Protest zu verhindern.
Elbvertiefung: Allerdings, so berichten auch viele Hamburger, treten die Beamten, etwa vorgestern Abend bei der Tanzdemonstration, erst mal recht entspannt auf, wirken fast wie eigens geschult ... Ullrich: Fast 20.000 Beamte und Beamtinnen sind zum Glück auch unterschiedlich. Sie kommen außerdem aus mehreren Bundesländern und verschiedenen Einheiten mit jeweils verschiedenen Kulturen und Einsatzstilen. Und es ist ja nicht so, dass die Polizei grundsätzlich keine Deeskalation und Ermöglichung beherrscht. Die Verhinderungstaktik scheint sich ja auch vor allem gegen die entschlosseneren oder radikaleren Teile der Protestierenden zu richten. Aber der Polizei steht keine inhaltliche Bewertung zu.
Elbvertiefung: Wie kommt es dazu, dass schon bei scheinbar harmlosen Anlässen wie dem Cornern gleich Hundertschaften und Wasserwerfer in Bewegung gesetzt werden? Ullrich: Das hat – neben der deutlich erkennbaren Verhinderungsstrategie – auch mit dem Bild von Protesten zu tun, das bei der Polizei herrscht. Noch haben zu viele Führungskräfte ein ordnungspolitisches Verständnis von Demonstrationen, das nicht mehr zeitgemäß ist, das ist der geordnete Aufmarsch. Aber heute ist Protest eben viel diffuser, bunter und vielfältiger. Hinzu kommt, dass viele Polizisten zwar wissen, dass sie Versammlungen schützen müssen, aber ihnen das Verständnis für die Welt des Protests an sich fehlt.
Elbvertiefung: Was heißt das? Ullrich: Eine Studie von mir hat gezeigt, dass eine absolute Minderheit der befragten Polizisten jemals auf einer Demonstration mit grundlegenden politischen Anliegen war. Das heißt noch, dass bei Protesten einfach oft einander völlig fremde Welten aufeinanderprallen. Aber entscheidender ist die Strategie, die die Führung vorgibt.
Elbvertiefung: Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes sagte den Kollegen von tagesschau.de, die Polizei müsse hier Aufgaben erfüllen, für die sie eigentlich nicht ausgebildet sei. Aufgrund der abzusehenden Überforderung hätte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer den Auftrag ablehnen müssen. Ullrich: Die Überforderung ist strukturell. Eine Großstadt ist kein guter Ort für einen solchen Gipfel, aber wohl der einzige, der die entsprechende Infrastruktur, wie ausreichend Hotelbetten, bietet. Das ist vielleicht eine politisch unkluge Entscheidung. Aber so werden hoffentlich wenigstens die grundlegenden gesellschaftlichen Konflikte, um die es geht, deutlich. Mehr zur Polizeistrategie im Porträt des Polizeieinsatzleiters Hartmut Dudde von ZEIT:Hamburg-Kollegen Marc Widmann.
Demokritik Global Citizen Festival
Beim Global Citizen Festival in der Barclaycard Arena konnte man angesichts der Promidichte schon mal durcheinanderkommen: Wer war noch gleich der Südkoreaner auf der Bühne, der gerade »Moin, Moin« ruft und »ich bin Hamburger«? Ach klar, der Präsident der Weltbank, Jim Yong Kim. Im Minutentakt treten hier die Stars auf, mal heißen sie Justin Trudeau (»poverty and diseases like polio must be eliminated«), mal Sigmar Gabriel (»Ich habe die Sorge, dass wir in eine gewaltige Aufrüstungsspirale hineingeraten«). Doch die bewegendsten Momente schafft die Musik. Wenn Coldplay gemeinsam mit Shakira »A Sky Full Of Stars« singen und die rund 10.000 meist jungen Zuschauer ihre blinkenden Armbänder schwenken, wirkt der Weltfrieden tatsächlich erreichbar, auch wenn ein paar Kilometer weiter gerade die Wasserwerfer losspritzen. Und wie ruft Andreas Bourani? »Die Welt ist eine Riesenbaustelle. Aber ihr dürft nicht vergessen: So mancher Politiker wird gehen, aber ihr seid dann immer noch da – macht weiter!« Das Publikum jubelt. Nicht irgendein Publikum: Wer eine Eintrittskarte wollte, hat sich zuvor an politischen Aktionen beteiligen, zum Beispiel für die gute Sache twittern müssen. |
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