Man hat sich darauf geeinigt, und dagegen ist auch nichts weiter einzuwenden, dass der Deutsche Buchpreis die höchste Auszeichnung ist, die ein deutschsprachiger Autor für einen Roman erhalten kann. Es sagt über unsere bei jeglicher Gelegenheit hochgepriesene Kulturnation natürlich eine Menge, dass diese Auszeichnung erst 2005 ins Leben gerufen wurde. Die Franzosen haben mit ihrem Prix Goncourt eine mehr als 100-jährige Tradition und der britische Man Booker Prize wird immerhin auch seit einem halben Jahrhundert verliehen. Es ließe sich auf breiter Front eine ganze Menge über den Deutschen Buchpreis diskutieren. Über die Vorauswahl, über die Jurymitglieder, darüber, wer ihn finanziert, was es bedeutet, dass Montagabend Robert Menasse für Die Hauptstadt ausgezeichnet wurde. Ein "EU- Roman", wie ihn die Feuilletons einstimmig nannten. Bereits einige Jahre zuvor befasste sich Menasse in seinem Essay Der Europäische Landbote mit dem Thema, das gemeinhin als Verteidigungsschrift für die Europäische Kommission gelesen wurde. Themen der Stunde also, könnte man sagen. Nicht, dass es die Aufgabe eines Schriftstellers wäre, mit Fiktion auf Realpolitik zu reagieren, aber interessant ist es schon, dass man es hier mit einem solchen Fall zu tun hat. Menasse ist natürlich nicht der Einzige, der auf die großen Fragen der Politik mit – um mal an einen aus der Mode geratenen Vorgang zu erinnern – Denken reagiert. Quer durch Europa, den gesamten Mittelmeerraum und auch Asien finden sich Schriftsteller, denen Geschichte widerfährt und die dieser Herausforderung in ihrem Schreiben nicht aus dem Weg gehen. Robert Menasse jedenfalls erhält diesen Preis und man fragt sich, ob es eigentlich total abwegig wäre, dass das Montagsprogramm der ARD, das ja im Wesentlichen Frank-Plasberg-Showtime ist, mit seiner gemütlichen Plauderrunde Hart aber Fair zur Prime Time darauf reagiert? Warum gibt es keine einzige Stunde im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die sich im Anschluss an die Preisverleihung zur besten Sendezeit in einer Runde von Denkern und Schreibern, also Intellektuellen, mit dem neuen Roman eines soeben preisgekrönten Autors beschäftigt, der, wie eben erwähnt, genau das Thema der Stunde behandelt? Das interessiert einen doch, was so jemand zu sagen hat. Der Blickwinkel eines Schriftstellers (Perspektive ist hier der Fachbegriff, der sich nicht nur auf Narration bezieht) könnte doch in einer Zeit, in der Politiker so oft "neue Lösungen" beschwören, wenigstens inspirierend sein. Wieso ist Fußball Primetime-Programm und Buchpreis nicht? Der Prozess der Verlaberung irgendwelcher daher geworfener Formulierungen wie "Heimat", "urchristliche Werte", "Obergrenze", um nur drei Begriffe der vergangenen Woche aufzunehmen, ohne ein einziges Mal zum Kern des Anliegens vorzudringen, würde im Beisammensein eines Schriftstellers zeigen, dass sich unter der tagesaktuellen Semantik eine beispiellose Ideenlosigkeit verbrigt. Was genau macht denn eigentlich eine Kulturnation zu einer Kulturnation, wenn die Autoren, Künstler und Intellektuellen nicht mal an Tagen, an denen sie die höchsten Auszeichnungen des Landes erhalten, zu Wort kommen? Wieso werden sie in den Abendnachrichten zwischen Fußballergebnissen und Wetterbericht versendet? Wieso ist Fußball Primetime-Programm und Deutscher Buchpreis nicht? Warum werden in den Nachrichten abends nicht die Buchbestseller in Tabellen aufgezählt, wohl aber die Ergebnisse der Länderspiele? Man kennt die Antwort. Weil das, womit wir uns gegenüber Fremden in der Welt gern brüsten, einfach nicht stimmt. Kultur, Denken, Theorien haben in dieser Gesellschaft keinen Platz. Jedenfalls nicht zwischen 20.15 Uhr und 22.45 Uhr, nicht auf ARD und ZDF. Jeder breitbeinig formulierende Kommentator, der en passant im Gästebuch einer Polittalkshow mal eben seine Ansichten zu "Asyl und EU" abseiert, findet schneller Gehör vor einem Millionenpublikum als ein schreibender Preisträger, weil die Reflektionen von Herrn M. aus W. als bedeutender erachtet werden als die eines deutschen Schriftstellers. Mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ist es doch genauso. Wieso keine Brennpunkte, Sondersendungen und Formate, in denen sich Politiker mal von Angesicht zu Angesicht mit einem Schriftsteller auseinandersetzen müssen? Eine der Lieblingsbeschäftigungen der konservativen Kräfte ist es doch, bei jeder Gelegenheit den Wert der Bildung und Aufklärung hochzujubeln. Man hat eine öffentlich-rechtliche Struktur geschaffen, die den Bildungsauftrag im Statut hat – und dann so etwas. Deutschland ist das Land des Buchdrucks. 100.000 deutschsprachige Neuerscheinungen im Jahr. Die Frankfurter Buchmesse ist die wichtigste Bücherveranstaltung der Welt. Selbst in dieser einen Woche sucht man bei Illner und Co vergebens nach Navid Kermani, Robert Menasse oder Carolin Emcke. Da hat man schon einmal eine lebende Literaturnobelpreisträgerin, nämlich Herta Müller, und man hört und sieht sie nicht. Wie soll sich denn eine Nation mit Ideen und Theorien inspirieren, wenn ihre Denker kein prominentes Podium bekommen? Auf welcher Grundlage wird denn eigentlich die ganze Zeit geredet und verhandelt? Man kennt die Antwort und sie ist schrecklich. Nicht die Fremden bedrohen uns. Nicht der Kollaps der Sozialsysteme ist es. Dimap und Allensbach beeinflussen das Denken, Sprechen und Handeln in Politik und Gesellschaft. Wo kluge Menschen ein Forum finden sollten, öffnet Jörg Schönenborn seine Tortendiagramme und zitiert seine Umfragewerte.
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