10 nach 8: Elisabeth Wellershaus über Afrika

 
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11.10.2017
 
 
 
 
10 nach 8


Aber Rhythmus haben sie im Blut, jaja
 
Dumme Stereotype verstellen den Blick der Deutschen auf die Kulturen und Länder Afrikas. Mein Vater kam aus Äquatorialguinea und entsprach keinem Klischee.
VON ELISABETH WELLERSHAUS

Elisabeth Wellershaus, 1974 geboren, lebt in Berlin. Sie ist Journalistin und arbeitet unter anderem als Redakteurin für das Kunstmagazin "Contemporary And". Sie ist Mitglied der Redaktion von "10 nach 8". © ZEIT ONLINE
 
Elisabeth Wellershaus, 1974 geboren, lebt in Berlin. Sie ist Journalistin und arbeitet unter anderem als Redakteurin für das Kunstmagazin "Contemporary And". Sie ist Mitglied der Redaktion von "10 nach 8". © ZEIT ONLINE
 
 

Über manche Dinge spreche ich nicht mehr mit weißen Menschen, schreibt Reni Eddo-Lodge. Ihr Buch Why I’m no longer talking to white people about race liegt aufgeschlagen auf dem Esstisch, und ich denke über all die Selbstgespräche nach, die ich führen würde, wenn ich so dächte wie sie. Mein Mann und unsere multiethnischen Sprösslinge sitzen mir gegenüber. "Warum bist du so still?", fragt mein Sohn. Ich bin still, weil ich darüber nachdenke, warum ich den Ansatz der Autorin gar nicht so absurd finde.

Vielleicht, weil sie auf Dauer eben doch mühsam sind: die hartnäckigen Fragen nach der echten Heimat und das trotzige Unverständnis bei komplexen Antworten. Weiße Bekannte, die glauben, Rassismus ende beim AfD-Parteitag. Die schrillen Töne der Identitätsdebatte. Oft schwanke ich zwischen Erklärungshysterie und Verdrängen. Beruflich habe ich jahrelang über Kunst und Gesellschaft geschrieben, nur eben kaum über das eine Thema, das anscheinend alle fasziniert: meine Hautfarbe.

Ich will es auch jetzt nicht tun. Doch seitdem neulich selbst Nachbarskinder fragten, warum ich besser Deutsch als "Afrikanisch" spreche, habe ich das Gefühl, es gibt Dinge zu klären. Und zwar nicht meine Identität, sondern etwas, das uns alle viel eher angeht: unser verzerrtes Bild von Afrika. Denn noch immer denken die meisten hierzulande den Kontinent in Klischees, während die Klischees an schwarzen Menschen jeglicher Herkunft kleben bleiben.

Mag sein,dass man Afrikas Diversität mittlerweile in der internationalen Kunst feiert und auch in Deutschland einige fleißig Dekolonisierung diskutieren. Für viele aber bleibt der Kontinent wohl eher diffuser Sammelbegriff für ein exotisches Anderswo. Ein kulturell undefinierbares Gegenüber, an dem man aus sicherer Distanz den eigenen Zivilisationsgrad abmisst. Es sind Bilder von Kriegen und Krankheiten, Nachrichten von Hilfs- oder Abschottungsmaßnahmen, die diese Sicht noch immer bestimmen und sich mit unserem nicht klein zu kriegenden Verständnis von kultureller Überlegenheit mischen. Denn spätestens seit der Verbreitung aberwitziger Rassentheorienhält sie sich im gesamten Westen hartnäckig: die Vorstellung des unterlegenen, unselbstständigenund gebeuteltenSchwarzen. Selbst wenn der – mein Vater hat es mir immer wieder vorgemacht – gar nicht mitspielt.

Wenn ich als Kind frühmorgens in sein Zimmer stürmte, lag er meist unter einem dünnen Bettlaken, das er sich über den Kopf gezogen hatte und unter dem nur die Füße raus guckten. Mit gepackter Badetasche stellte ich mich ans Kopfende seines Bettes und konfrontierte ihn mit Plänen: Schwimmbad! Spielen! Pommes! Ich liebte unsere Sommer bei ihm: die Costa del Sol, den Strand, die Bars und Diskotheken. Eine meiner frühesten Erinnerungen habe ich an die Lichtbrechungen von Diskokugeln. Ich sehe meinen Vater, wie er nach langen Nächten zerknautscht unter dem Bettlaken liegt. Wie er sich wortkarg mit mir zum Strand schleppt. Wie er erst abends hinter dem Tresen seines charmanten Restaurants in Form kommt. Und wie die Gäste – Schauspieler, Möchtegern-Adlige und Halbwelt-Bekannte – an seinen Lippen hängen.

Die Eltern meiner deutschen Freunde hielten das Leben, das meine Mutter und ich jeden Sommer mit ihm teilten, für kinderuntauglich. Schlimmer jedoch: Es erschütterte ihr Bild von Afrika. Mein Vater war so gar nicht der Elendsmigrant aus ihren Vorstellungen, es gab ja nicht mal eine anständige Fluchtgeschichte. Immerhin lag sein Land in gesellschaftlichen Trümmern, der aktuelle Präsident hatte ein Terrorregime errichtet und die Ethnie von Papas Familie dezimiert. Doch seine Eltern hatten ihn rechtzeitig ins spanische "Mutterland" geschickt. Und da amüsierte er sich doch glatt.

Wer zurückblieb, tat das nicht. Äquatorialguinea leidet bis heute unter dem katastrophalen Zusammenspiel von Kolonisierung, dem Aufhetzen einzelner Ethnien gegeneinander und der kleptokratischen Diktatur, die folgte. Nur ist das Schicksal eines Landes natürlich kein Beispiel für den Zustand eines ganzen Kontinents. Doch Afrika existiert in unserer Wahrnehmung als Pauschale. Besonders gern benutzen Politik und Medien das zähe Bild der Entwicklung. Es wird suggeriert, dass der gesamte "schwarze Kontinent" dem vermeintlich idealen Vorbild des euro-amerikanischen Westens nacheifern sollte, um sich dorthin zu entwickeln, was wir gemeinhin Zivilisation nennen. Die Schattenseiten der westlichen Moderne werden dabei oft verdrängt. Und überhaupt ist Europa ja auch derzeit kein leuchtendes Vorbild. Andererseits: Was sind ein paar rechte Ideologien, britische Spalter oder Wirtschaftskrisen gegen das Chaos bei den Afrikanern?

Ach, Afrika

Ich will da gar nichts schönreden. Natürlich gibt es Probleme, die viele Länder auf dem Kontinent betreffen. Die meisten liegen geografisch ungünstig zwischen Wüsten, Regenwald und Hochland, haben unwirtliche Böden. Sie haben mit klimatischen Extremen und kaum bezwingbaren Krankheiten zu kämpfen. Nur liegt das eben nicht an der Unfähigkeit ihrer Bewohner*innen. Entgegen vielfach bemühter Bilder vom primitiven Stammesgewusel gab es in Afrika lange stabile Reiche. Bei ungünstigen Bedingungen für Transport und Handel und diversen (Sprach-)Kulturen ist das nun nicht selbstverständlich. Königreiche wie die von Aksum und Ghana oder das mittelalterliche Mali belegen aber, dass es auf dem Kontinent schon länger so was wie Organisation gibt. Und dass Afrika im Vergleich dazu erst seit Kurzem vor dem Scherbenhaufen imperialer Ausbeutung und kolonialer Grenzziehungen steht. Trotzdem fragen wir nach wie vor hartnäckig, warum die da drüben eigentlich nie was auf die Reihe kriegen.

Dabei kann es gar nicht überall schlecht laufen, sonst würden nicht immer mehr junge Menschen aus der Diaspora in die verschiedensten Metropolen Afrikas ziehen. Auch in Europasind schwarze Menschen natürlich nicht alle Opfer, unsere weißen Mitmenschen in der Regel keine Monster, und obwohl selbst Philosophen von Kant bis Hegel rassistische Gedankenkultivierten, kommen die meisten von uns heute miteinander klar. Dummerweise klammern sich derzeit dennoch wieder viele Deutsche an die Skepsis vor vermeintlich Fremdem. Es passiert zwar nicht täglich, dass mir besoffene Frauen in der U-Bahn hinterhergrölen, ich solle die Finger von den "niedlichen hellhäutigen Kindern" (meinen eigenen) lassen und "nach Hause" gehen. Aber es passiert. Und es passiert vermutlich nicht nur, weil es hier allen so schlecht geht und eine "Fremde" wie ich Jobs stiehlt und vermeintliche Leitkulturen unterwandert. Sondern weil die Vorurteile deutlich älter sind als aktuelle Krisen. Vermutlich hilft es auch nicht, dass Afrika in Filmschmonzetten oder Modemagazinen noch immer aussieht wie bei Karen Blixen.

Ach, Afrika, du Land, in dem man hübsche Safaris machen, indigene Völker bestaunen und mal so richtig "Wildnis" erleben kann. Wo man es abseits der Resorts nur leider, leider meist mit Armut, Hunger und Chaos zu tun hat. Irgendwo ist immer Krieg und jeder will weg. Dafür haben auch alle Rhythmus, und gelacht wird immer trotzdem. Wer so aussieht wie ich, muss das wissen, denn wer schwarz ist, hat den Dschungel im Blut. Ich persönlich fände das eigentlich prima. Doch wie auch die meisten Menschen aus afrikanischen Metropolen käme ich kaum ohne Guide durch den Regenwald. Mich würde vermutlich schon das Stadtleben in vielen afrikanischen Ländern kleinkriegen: die Angst vor Malaria, das Leben mit eingeschränkter Infrastruktur, Massenarbeitslosigkeit, korrupten Machthabern und all den Europäern, die mich retten wollten.

Allerdings gehen Millionen Menschen zwischen Atlas-Gebirge und Namib längst kreativ mit vielen dieser Probleme um. Freunde in Nairobi und Johannesburg jedenfalls erzählen von Leuten, die Urban Farming in Vorgärten und vor mehrspurigen Straßen betreiben, die Internetplattformen gründen, um der Korruption zu trotzen, die Malaria-Früherkennungs-Apps entwickeln, berufliche Nischen im aufstrebenden Tech-Sektor suchen und sich, unabhängig von Europa, Existenzen auf den heimischen Märkten aufbauen. Es gibt sogar jene, die vom wirtschaftlichen Aufschwung in Ländern wie Botswana, Ruanda oder Äthiopien profitieren, wo es längst solide Mittelschichten gibt. Wo junge Menschen von der Idee eines neuen Pan-Afrikanismus träumen und gemeinsam nach Alternativen zu den altersschwachen Diktatoren suchen. Blogger*innen, Student*innen, Künstler*innen, aber auch Ärzt*innen, Lehrer*innen und Beamte. Denn ja, es gibt ein Afrika jenseits von Bürgerkriegen, Entwicklungshilfe und Perspektivlosigkeit – auch wenn uns das bislang unangemessen komplex erscheint.

"Wie viele Frauen hat dein Vater eigentlich?", fragte neulich ein Freund meines Sohnes. Tja, das weiß man bei ihm nie so genau. Aber das hat nichts mit Afrika zu tun.


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