In den USA gibt es den Begriff
inside the beltway ("innerhalb des Autobahnrings"). Damit ist gemeint, dass sich im Zentrum von Washington immer wieder eine Art Blase bildet, aus Politikern, Regierungsangestellten, Journalisten und Lobbyisten. Die bestimmt nicht nur, über welche politischen Themen öffentlich geredet wird. Sondern blendet auch viele, für normale Menschen wichtige Themen aus. Das geht solange gut, bis die Leute die Nase voll haben und jemand von
outside the beltway wählen. Einen, der anders redet. Der ihre Sorgen ernst nimmt oder manchmal leider auch nur so tut. Und dann Washington ordentlich aufmischt. Im Extremfall kann dadurch jemand wie Trump gewinnen.
Kurz schien es so, als ob in Deutschland etwas Ähnliches passiert, natürlich nicht ganz so schrill wie in den USA. Aber in den Hochzeiten der AfD schwappten auch hier die Wutwellen durchs Land, und plötzlich wurden Schimpfworte, die bis dahin Schmuddelfinken nur anonym im Netz gepostet hatten, mit Namen verschickt und auf Marktplätzen geschrien. Und die Angst kehrte in die Politik zurück: davor, dass etwas kippt.
Das, so scheint es jetzt im
Wahlkampf, ist dann doch nicht passiert. Zwar wird wohl eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag kommen, deren Mitglieder gegen andere Menschen mit anderen Haltungen oder Hautfarben hetzen. Das ist schlimm genug. Aber die meisten Wähler, darunter auch viele, die kurz mit der blinden Wut auf den Staat geflirtet hatten, haben wohl noch mal tief durchgeatmet. Und setzen doch lieber auf Parteien, für die Angst kein Mittel der Politik ist.
Das ist gut. Eines allerdings ist an dieser Rückkehr zum Normalzustand bitter: Sie hat zu einer viel zu großen Selbstzufriedenheit der etablierten Parteien geführt. Ablesen ließ sich das ganz deutlich beim
Kanzlerduell. Da stritten Angela Merkel und
Martin Schulz zwar ein wenig über den Umgang mit der Türkei, ansonsten waren sie sich aber in vielen Punkten erstaunlich ähnlich. Vor allem aber ähnelten sie sich in einer Haltung, die dieselbe Botschaft transportiert: Grundsätzlich muss sich gar nicht viel verändern in diesem Land. Ob sie das selbst glauben, oder ob sie nur diesen Eindruck vermitteln wollen, weil sie die Wähler nicht durch zu viel Reformideen beunruhigen wollen, ist da schon fast egal.
Bitter ist hingegen, dass sie damit offensichtlich durchkommen. An dem Abend fragte keiner der Kollegen offensiv danach, wie sich der Verkehr nach dem Dieselskandal verändern muss – immerhin einer der größten Arbeitgeber des Landes. Oder wie sie das Bildungssystem in Deutschland endlich besser finanzieren wollen: Wo doch angeblich die Kinder unser wichtigster Schatz sind. Keiner wollte ganz genau wissen, ob und wie sich Deutschland stärker als Friedensmacht engagieren muss: Durch einen höheren Verteidigungsetat, durch mehr Entwicklungshilfe oder wie sonst? Dabei ist die Angst vor Krieg nach einer kürzlich veröffentlichten Umfrage von Kantar Emnid die zweitgrößte Sorge der Bürger. Mehr Sorgen macht uns nur noch der Klimawandel. Aber der kam (sicher zur Erleichterung von Merkel und Schulz) in der Debatte erst gar nicht vor, auch nicht in der der kleinen Parteien am Folgeabend.
Wenn aber die größten Sorgen der Deutschen in diesem Wahlkampf kaum eine Rolle spielen, wenn die Umweltpolitik gefühlt bei den Grünen abgeladen wird und die anderen darüber kaum streiten, dann läuft irgendetwas schief. Dann ist Deutschland zwar angenehm wenig populistisch, aber zugleich auch fürchterlich unpolitisch. Denn dann wird eben keine große Debatte über alternative Lösungen geführt und um die besten Ideen zur Lösung der großen Probleme – damit auch das Gute gut bleibt. Sondern der Wahlkampf lullt ein. Er suggeriert den Bürgern: Wir machen das in Berlin schon irgendwie,
inside the beltway, geht ruhig schlafen. Genau das ist aber verkehrt.
Ein zivilisiertes Land müsste doch Wege finden – zwischen dem dumpfen Wutgeschrei der Populisten und dem müden Selbstgespräch einer großen Koalition. Sein Wahlkampf müsste die großen Fragen (Umweltzerstörung, Kriegsvermeidung) thematisieren, weil erstaunlicherweise gerade die uns Bürger doch auch umtreiben. Aber das setzte wohl voraus, dass wir klarere Antworten auf die als öde verschrienen Sachfragen verlangen. Oder anders formuliert: Mehr Politik in der Politik!