Fünf vor 8:00: Nun retten wir auch noch Flughäfen - Die Morgenkolumne heute von Petra Pinzler

 
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FÜNF VOR 8:00
21.09.2017
 
 
 
   
 
Nun retten wir auch noch Flughäfen
 
Parallel zur Wahl stimmen die Berliner darüber ab, ob sie den Flughafen Tegel auch dann behalten wollen, wenn der neue BER öffnet. Schon mal was von Klimawandel gehört?
VON PETRA PINZLER
 
   
 
 
   
 
   
Tegel ist ein Flughafen in Berlin, und normalerweise hätte der in dieser Kolumne nichts zu suchen. Schließlich geht es hier eher ums Große und Globale, meistens jedenfalls. Doch genau deswegen passt Tegel hierher. Denn das Theater, dass gerade in Berlin um diesen Flughafen tobt, sagt viel über Deutschland, über unser Selbstbild – und warum das gerade ziemlich schräg wird.
 
Kurz die Fakten für die Nichtberliner: Tegel soll geschlossen werden, wenn der neue Flughafen BER irgendwann mal aufmacht. Wann das passiert, weiß keiner. Aber das ist eine andere Geschichte, eine über Berliner Schlamperei. Jedenfalls hat die FDP in diesem Kuddelmuddel nun ein Bürgerbegehren gestartet. Das fordert den dauerhaften Weiterbetrieb von Tegel. Zeitgleich zur Bundestagswahl dürfen die Berliner dazu ihre Meinung abgeben. Die Abstimmung hat zwar keine rechtlich bindende Wirkung für den Senat, deswegen sprechen manche auch von Wählerveräppelung. Aber für die FDP ist das Ganze bereits jetzt eine ziemlich erfolgreiche Aktion, denn sie hat sich damit ziemlich gut ins Gespräch gebracht. Und die Idee verbreitet, dass eine "moderne Großstadt" zwei Flughäfen haben müsse.
 
Ja, Sie haben das ganz richtig gelesen! "Modern" ist nach FDP-Definition, wenn eine Großstadt nicht nur einen Flughafen am Rande hat, sondern auch einen fast im Zentrum. Genau das nämlich ist bei Tegel der Fall. Für sie ist modern, wenn unter dem Fluglärm viele Hunderttausend Leute leiden. Wenn täglich Kerosin und Feinstaub auf große Viertel regnen. Wenn ein Flugzeugabsturz direkt über der Stadt passieren würde, die sind nämlich bei der Landung am häufigsten. Modern ist offensichtlich, wenn man das Flugzeug um die Ecke hat – selbst aber nicht direkt in der Einflugschneise wohnt. Geht es noch?
 
Schon mal was von Lebensqualität in Städten gehört? Alle Städte von Weltrang haben in in den vergangenen Jahren nicht dann an Attraktivität gewonnen, wenn sie mehr Flughäfen gesammelt haben. Sondern wenn der dreckige Verkehr weniger wurde. Am Flatiron Building in New York sitzen heute Passanten im Straßencafé. Melbourne, die laut Economist lebenswerteste Stadt der Welt, hat horrende Parkgebühren, aber ein beachtliches Trambahnnetz und viel Platz für Fußgänger. Und Amsterdam ist so nett, weil man dort mit dem Fahrrad am besten vorankommt. Ruhe, saubere Luft, eine gesunde Umgebung – das sind moderne Standortfaktoren. Deswegen werden im 21. Jahrhundert die "modern" sein, die Verkehr neu organisieren – und Alternativen zu Billigflügen quer durchs Land schaffen. Die also Bahntrassen retten, nicht Flughäfen. Schon wegen des Klimawandels.
 
Ja, der Klimawandel nervt, und daran erinnert zu werden, ist öde. Kennt man ja. Das Problem ist nur: Der geht nicht dadurch weg, dass man ihn ignoriert. Jedes Jahr, in dem wir damit warten, wirklich CO2 zu sparen, macht die Sache teurer. Wer jetzt nichts tut, wird künftig viel Geld für hohe Dämme, Klimaanlagen oder die Beseitigung von Sturmschäden ausgeben. Alle Länder und Städte, die hingegen an Lösungen arbeiten, sind künftig im Vorteil. Das ist so sicher wie das Sterben der Eisbären – wenn nicht was passiert. Und beim Fliegen, um auf Tegel zurückzukommen, muss auf jeden Fall was passieren. Ein Flug eines Menschen von Berlin nach Köln verursacht etwa 248 Kilogramm CO2, eine Bahnfahrt 42 Kilo. Die private Wahl des Verkehrsmittels macht einen Unterschied! Denn gerade die Emissionen durch Verkehr nehmen in Deutschland dramatisch zu, auch wegen der Flüge.
 
Wer sich also für Tegel entscheidet und damit für immer mehr Fliegen ist, muss wissen: Das verstärkt den Klimawandel, und der führt zu schlimmeren Stürmen, mehr Überschwemmungen, mehr Hitzewellen. Womit wir beim Großen und Globalen wären: Es gab mal eine Zeit, in der Deutsche glücklich über eine Klimakanzlerin waren, mit der sie sich als globaler Vorreiter beim Schutz der Umwelt fühlen konnten. Inzwischen sind aber beim Klimaschutz weder Merkel noch Deutschland besonders weit vorn: Wir fördern mehr dreckige Braunkohle als jedes andere Land. Wir sind die Einzigen, die noch glauben, dass Diesel zu fahren dem Klima nützt – was offensichtlich Blödsinn ist, auch wenn die Bundeskanzlerin es behauptet. Nicht mal mehr beim Ausbau der erneuerbaren Energien führen wir in der EU.
 
Und nun retten wir auch noch Flughäfen – statt Wale?
 
Ich wohne in Berlin. Ich kann also verstehen, warum jemand SPD und CDU am Wahltag mit einer Stimme für Tegel eins auswischen will. Ganz offensichtlich hat eine disfunktionale Verwaltung unter abwechselnder Leitung dieser beiden Parteien den Bau des neuen Flughafens nicht hingekriegt. Aber deswegen mit der FDP fürs Tegel-Retten zu stimmen, wäre etwa so konstruktiv wie das Schmollen eines Dreijährigen, der kein drittes Eis bekommt. Wählen darf man glücklicherweise erst ab 18.
 
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.