10 nach 8: Sally McGrane über die USA

 
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20.09.2017
 
 
 
 
10 nach 8


Ist es so toll, wie alle sagen?
 
Deutschlands Fremdbild hat sich in den letzten Jahren rasant verändert. Meine amerikanischen Freunde schwärmen von Merkel und überlegen, die USA wegen Trump zu verlassen.
VON SALLY MCGRANE

Amerikaner entdecken ihre Zuneigung für Deutschland © Odd Andersen/AFP/Getty Images
 
Amerikaner entdecken ihre Zuneigung für Deutschland © Odd Andersen/AFP/Getty Images
 
 

Ich war auf einer Party in Manhattan am Wochenende nach den rechtsextremen Demonstrationen in Charlottesville. Zum ersten Mal seit Trumps Wahl war ich zurück in meiner Heimat. Es war eine dunkle, schwüle Nacht. Als ich auf der Dachterrasse in der Lower East Side stand, dachte ich daran, was ich gerade erst erfahren hatte: Dass einer meiner Freunde, dessen Eltern aus Pakistan in die USA migriert waren, sich während der Demonstrationen in Charlottesville nur zufällig nicht dort aufgehalten hatte, wo das Auto hineingefahren war. Das Geburtstagskind, ein Anwalt, der zum Tech-Unternehmer avanciert war, begrüßte mich kurz darauf voller Begeisterung: "Wow! Du lebst in Deutschland?"

"Ihr könnt euch so glücklich schätzen, Merkel zu haben", fügte seine Freundin hinzu.

Ich war nach Berlin gezogen, kurz bevor Merkel Kanzlerin wurde, und ich kann mich nicht daran erinnern, dass Merkels Name in dieser ganzen Zeit jemals so schnell oder überhaupt auf einer Party aufkam. Nicht minder überrascht war ich von der Art und Weise, wie die Partygäste – überwiegend Anwälte – plötzlich über Deutschland sprachen. "Ist es dort genauso toll wie alle sagen?" "Es muss so schön sein, dort zu leben."

Der Klang der Sprache erschreckte mich zutiefst

Das war nicht immer so gewesen. 1993 hatten zwei meiner Highschool-Freundinnen und ich nach unserem Abschluss beschlossen, durch Europa zu reisen. Frankreich und Italien standen ganz oben auf unserer Liste; und wir wären nie auf die Idee gekommen, nach Deutschland zu fahren, hätte einer unserer Freunde nicht gerade ein Austauschjahr in Schwerin gemacht. Wir saßen zu dritt in unserem Stammcafé in San Francisco und planten unsere Reiseroute, als Laurel vehement ihren Kopf schüttelte. "Nein", sagte sie, "ich bin Jüdin. Ich fahre auf keinen Fall nach Deutschland."

Ich erinnerte mich an meine Grundschullehrerin, die uns während einer Schulwanderung erzählte, sie sei nach einer Freundin ihrer Mutter benannt worden, die im Holocaust umgekommen war. Oder meine Montessori-Lehrerin, die einmal bei einem Dinner erzählte, dass sie und ihre Schwestern immer schon einen Mercedes haben wollten, aber dass ihr Vater niemals zugelassen hätte, dass eine seiner Töchter ein deutsches Auto fährt.

Am Ende reisten Meghan und ich nach Deutschland, weil wir Nathan sehen wollten, und Laurel blieb etwas länger in Amsterdam. Als der Schaffner im Zug nach Köln nach meinem Ticket verlangte, fuhr ich fast aus der Haut: Etwas an dem Klang der deutschen Sprache erschreckte mich zutiefst. Später, nachdem wir Zeit mit Nathan und den anderen Mitgliedern der ostdeutschen Blues-Band verbracht hatten, deren Teil er geworden war, stellte ich fest, dass ich in jenem Moment im Zug zum ersten Mal jemanden Deutsch sprechen gehört hatte, der keine Figur in einem Nazifilm war.

Ein amerikanischer Traum ist gescheitert

Über die Jahre hinweg änderten sich die Dinge. Es war ein weiter Weg von der Frage einer Großtante in den späten Neunzigern, warum in aller Welt ich einen ganzen Sommer in Berlin verbringen wollte, deutscher Freund hin oder her – bis zum heutigen Hype um Berlin und seine Coolness.

Nach Trumps Wahl hat sich Deutschlands Ruf in den USA, der über die Jahre langsam ein bisschen besser geworden war, schlagartig und exponential verbessert. Sogar in Seth Meyers' Late Night Show werden nun Gags gemacht, in denen Deutschland als das Vorzeigeland gepriesen wird, samt Angela Merkel als Anführerin der freien Welt.
Doch vielleicht sagt die wiedererlangte deutsche Popularität in den USA mehr über die Amerikaner aus als über die Deutschen; vielleicht ist sie ein Beleg dafür, dass ein amerikanischer Traum gescheitert ist, dass wir kein Gespür mehr für uns selbst und für unsere Sicherheit haben. Daran dachte ich während der Geburtstagsparty auf der schwülen Dachterrasse, als ich mit zwei jüdisch-amerikanischen Anwälten in ihren Dreißigern dieses Gespräch führte, das so anders war als alle, die ich je zuvor in den USA erlebt hatte.

Soll ich mir jetzt auch eine Waffe beschaffen?

Roman war als Kind aus Usbekistan in die USA emigriert. Ari war in Boston geboren und aufgewachsen. Sie sprachen über Charlottesville und die Parole der weißen Nationalisten: "Juden werden nicht unseren Platz einnehmen."

"Ich werde mir eine Waffe anschaffen, Alter", sagte Roman. "Genau das werde ich tun. Wir müssen uns ja bewaffnen!"

"Ach komm, Alter", sagte Ari und schüttelte den Kopf  "Es ist doch schwer genug, in New York zu leben. Jetzt soll ich mir auch noch eine Waffe beschaffen?"

"Genau", sagte Roman, während er seine Arme in die Luft gestreckt hielt und seinen Oberkörper hüftwackelnd in Position brachte, als wäre er Rambo. "Und wenn diese Typen dann hier aufkreuzen, werde ich einfach losballern – bam bam bam."

"Alter", sagte Ari, während er seinen Freund skeptisch betrachtete. "Was soll das da werden, ein Striptease?"

Ari sagte, dass er gelesen habe, wie bewaffnete Bürgermilizen sich vor die Synagoge in Charlottesville gestellt hätten; dass ein alter Kindheitsfreund in Boston, ein hochgewachsener weißer Typ zu Ari gesagt hätte, er habe keine Angst vor den weißen Nationalisten, woraufhin er geantwortet habe: "Du hast keine Angst, weil du nicht ich bist!" Roman meinte daraufhin, er würde kein großes Ding draus machen: Über die Jahrhunderte hinweg sei seine Familie zuerst aus Nordafrika geflohen, dann nach Russland und schließlich nach Amerika. Die USA waren lange ein sicherer Ort gewesen, aber das konnte sich jederzeit ändern und dann musste man einfach einen neuen Platz für sich auf der Welt suchen. Roman fing an, Länder aufzuzählen, in die er emigrieren könnte, wenn es hart auf hart käme. "Vielleicht die Schweiz", sagte er. Ich wies ihn darauf hin, dass die Schweiz auch nicht gerade ein Paradies für Asylsuchende war und ist, und er antwortete: "Ach, die Schweizer interessiert doch nur Geld. Und reich bin ich!"

"Alter", sagte Ari. "Von wegen reich! Du bist ein zweitklassiger Patentanwalt. Du solltest wirklich nach Deutschland gehen."

Aus dem Englischen von Lina Muzur 

Sally McGrane kommt aus Berkeley in Kalifornien und lebt seit mehr als zehn Jahren in Berlin. Sie ist Journalistin und schreibt unter anderem für die "New York Times" und den "New Yorker". Ihr Spionageroman "Moskau um Mitternacht“ ist im März 2016 im Europaverlag erschienen. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8". 


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