Freiheit. Gleichheit. Brüder- und Schwesterlichkeit. Lohnungerechtigkeit ist so schmerzhaft, dass viele sie lieber ignorieren. Wo steuern wir hin, wenn Männer und Frauen glauben, dieses Problem beträfe nicht alle gemeinsam. VON ANJA MAIER |
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| | Wenn beide im selben Topf rühren, muss auch dasselbe drin sein. © Elizabethsalleebauer/Getty Images |
Ist auch schon ein bissl her, aber die Erinnerung ist taufrisch. Am 30. Juni war das. Ich saß mit einer Bekannten beim Feierabendgetränk in Berlins frühsommerlich gestimmter Mitte. Am Vormittag hatte der Bundestag die Ehe für alle beschlossen, im Parlament war Konfetti geflogen. Jetzt, am Abend, tranken wir Wein.
Über dem Regierungsviertel, das ja im allgemeinen den Charme eines Leitz-Ordners versprüht, lag ein klitzekleines Sirren: Die sogenannte Homoehe würde ein Recht werden. Dinge konnten sich also tatsächlich ändern. Ich fühlte mich, das weiß ich noch genau, beschwingt. Und in jenem Maße glücklich, wie Politik einen Menschen ganz, ganz selten glücklich machen kann.
Meine Bekannte lauschte geduldig meinem euphorischen Gequatsche. Sie selbst, mit einer Frau zusammen, freute sich auch, das schon. Was sie jedoch gerade nicht ganz raffte, war, wieso eine mittelalte Hetera, verheiratet seit quasi immer und also ausgestattet mit sämtlichen Steuerprivilegien, die Ehe für andere so dermaßen feierte. "Was geht dich das eigentlich an", unterbrach sie mich also, "könnte dir doch egal sein."
Ihrer Frage, das spürte ich, wohnte ein gewisses Misstrauen inne. Hübschte da eine ihre Gefühlslage auf, indem sie das von anderen erkämpfte Recht pünktlich am Tag des Gelingens zu ihrem eigenen Anliegen machte? Ich dachte kurz über eine Antwort nach, sah sie an und sagte dann: "Na ja, Equality?!" Und damit war im Grunde alles geklärt zwischen uns.
Equality, Gleichheit war es doch, um die es bei der Ehe für alle gegangen war. Mit dem 30. Juni war das drückende Wissen um die Ungleichheit von Männern, die Männer, und Frauen, die Frauen heiraten wollen, verschwunden. Einfach weg. Dass jemand anderes nicht dieselben Rechte und Möglichkeiten hat, die man qua sexueller Orientierung oder Prägung ganz selbstverständlich eingeräumt bekommen hat – das ist ja grundsätzlich ein ungutes, ein drückendes Gefühl. Es ist wie in einer Beziehung: Wenn von zweien einer ein Problem hat, haben doch beide das Problem. Da hilft nur: gemeinsam was verändern.
Warum ist das überhaupt noch ein Thema?
Daran, an die Sache mit dem Problem des einen und dem Gefühl des anderen, musste ich denken, als ich im aktuellen Spiegel den Text Lücke im Gesetz las. Sieben Journalistinnen, ausschließlich Frauen, gehen darin der Frage nach, warum das Thema Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen nicht längst abgeräumt ist. Warum der Gender Pay Gap im Wahljahr 2017 ein Thema ist, über das überhaupt noch geredet werden muss. Müsste es sich da nicht verhalten wie bei der Ehe für alle? Equality?!
Laut Statistischem Bundesamt bekommen Frauen in diesem Land für dieselben Tätigkeiten durchschnittlich sechs Prozent weniger Gehalt als ihre männlichen Kollegen. Auf absurde 21 Prozent kommen die StatistikerInnen gar, wenn sie hinzurechnen, dass mehr Frauen die wichtigen – aber eben leider, leider schlechter bezahlten – Jobs machen. Also Bildung und Pflege, was ja im Klartext heißt: allein acht Stunden lang sechs Kleinkinder betreuen. Oder im Akkord PatientInnen die Windeln wechseln und dabei ein mitfühlender Mensch sein. Steht, etwas netter ausgedrückt, im aktuellen Gleichstellungsbe...
… äh, hallo! Kleinen Moment bitte noch! Bevor Sie sich aus diesem Text verabschieden: Macht keinen Spaß, von diesem Gender-Pay-Quatsch zu lesen, oder? Fühlt sich einfach nicht so gut an. Für Frauen, weil sie in dieser Geschichte Opfer sind. Für Männer, weil sie persönlich dafür jetzt auch nix können.
Stimmt. Aber für die Ehe für alle zu sein, sich also auch öffentlich oder am Tisch der CSU wählenden Schwiegereltern dafür einzusetzen, gehörte in den vergangenen Jahren schlicht zum guten Ton. "Homoehe? Aber sowas von fällig!" Meine Frage: Wann genau wäre jetzt mal diese Lohnungleichheit fällig? Rechnen wir da in Legislaturen? In Jahrzehnten? Generationen? Zur Einordnung: Weniger Geld auf dem Konto haben Frauen Monat für Monat. Da käme die Solidarität der Männer spätestens ab jetzt gerade recht.
Um Frauensachen sollen sich mal schön die Frauen kümmern
Von der Bundesregierung ist nämlich diesbezüglich vorerst nichts mehr zu erwarten. Die Spiegel-Autorinnen haben sehr schön auseinandergefummelt, warum das erst im März unter großem gegenseitigem Schulterklopfen verabschiedete "Entgelttransparenzgesetz" sogar schlechter für die Lohngleichheit ist als gar kein Gesetz. Der zum Beginn der Großen Koalition von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig eingebrachte Entwurf wurde seitens des Kanzleramts, der ArbeitgeberInnen, sogar der Gewerkschaften und Andrea Nahles' Arbeitsministeriums derart torpediert und "zerpflückt", dass Frauenverbände der SPD-Politikerin rieten, ihn "zurückzuziehen, um der Frauensache nicht zu schaden".
Bei dem Wort Frauensache wird mir persönlich ja immer ein bisschen übel. Frauensachen, das sind in der öffentlichen Wahrnehmung und in der Verkaufe der Politik nur deren Angelegenheiten. Jedenfalls: keine Männersachen. Um Frauensachen sollen sich mal schön die Frauen kümmern. Aber Moment mal. Sichere Geburten zum Beispiel – gehen die Männer nichts an? Na also. Warum sollte es bei der Lohnungleichheit anders sein?
Bloß keine schlechte Laune verbreiten
Ein Riesenproblem ist, dass diese blöde Lohnungleichheit immer so opferig müffelt. Ein mitteleuropäisches Land im 21. Jahrhundert, in dem Frauen weniger verdienen als Männer – ja, muss sowas Hässliches denn sein? Und könnte das "die Politik" nicht mal diskret beseitigen? Könnte sie. Macht sie aber nicht. Und zwar unter anderem deshalb, weil Leute, in diesem Falle fast immer Frauen, die darauf aufmerksam machen, erstens schlechte Laune verbreiten und zweitens von irgendwelchen Schlaumeiern auch noch wegen ihres angeblichen Gejammeres lächerlich gemacht werden.
Es stehe den Frauen frei, jeden Beruf ihrer Wahl zu ergreifen – das ist ein beliebtes Sprachbesteck der Abwiegelung. Oder: Voll gelogen mit den 21 Prozent, es sind nur 6. Oder: Nie sieht man Frauen Klaviere tragen. Oder: Männer werden gezwungen, megärenhaften Exfrauen Unterhalt zu zahlen. Oder einfach: Ich kenne keine Frau, die 21 Prozent weniger verdient als ich.
Mag alles stimmen oder nicht, es lebe die Ich-Empirie! Das Problem aber bleibt, dass selten eine gesellschaftlich derart tief verankerte Entsolidarisierung widerspruchsfrei verinnerlicht worden ist. Um das mal auf die Frage meiner Bekannten zur Homoehe an alle bis zur Lohnungerechtigkeit nicht Betroffenen weiterzudenken: "Gender Pay Gap, was geht dich das eigentlich an?" – "Na ja, Equality?!"
Anja Maier, Jahrgang 1965, ist "taz"-Journalistin, hat mehrere Bücher veröffentlich und ist Gastautorin von "10 nach 8". Sie wollen der Diskussion unter dem Text folgen? Hier geht es zum Kommentarbereich. |
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