Freitext: Paula Fürstenberg: Es geht nicht ums Hinterntätscheln

 
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20.09.2017
 
 
 
 
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Es geht nicht ums Hinterntätscheln
 
 
Immerhin: Über den Sexismus im Kulturbetrieb wird jetzt gesprochen. Aber es bleibt schwierig, strukturelle Veränderungen zu erreichen. Fünf Plädoyers zu einer Debatte.
VON PAULA FÜRSTENBERG

 
© rawpixel.com / unsplash.com (https://unsplash.com/@rawpixel)
 
Künstlerinnen verdienen deutlich weniger als Künstler, Führungsfunktionen sind vor allem von Männern besetzt, Frauen partizipieren weniger an der individuellen Künstlerinnen- und Künstlerförderung als Männer, obwohl mehr Studentinnen als Studenten künstlerische Disziplinen studieren: Das sind die ernüchternden Ergebnisse der Studie zu Frauen in Kultur und Medien, auf Basis derer die Kulturstaatsministerin Monika Grütters einen Runden Tisch einberuft, der Forderungen an Politik, Verbände und Wirtschaft erarbeitet. Unterdessen eröffnet auf dem Blog des Merkur-Magazins ein Dossier, das sich mit Sexismus an Hochschulen auseinandersetzt. Binnen weniger Wochen erscheinen 29 Texte, die das, was Grütters Studie in Zahlen beschreibt, mit Berichten aus der eigenen Erfahrungswelt bebildert.
 
Es ist Sommer 2017, und an den Küchentischen des Kulturbetriebs ist in Geschlechterfragen der Teufel los, auch an meinem. Der Sexismus der Gegenwart, über den wir sprechen, äußert sich weniger in Hintern tätschelnder Altherrenmanier als vielmehr in strukturellen Ungleichheiten, und entsprechend würden wir gerne über strukturell wirksame Maßnahmen nachdenken. Zunächst haben wir am Küchentisch allerdings ganz andere Schwierigkeiten. Zwischenstand einer Debatte in fünf problematischen Denkfiguren und ebensovielen Plädoyers.
 
1. Während wir am Küchentisch versuchen, unsere feministischen Positionen in Worte zu fassen, sagt der Nachrichtensprecher im Radio, dass in der Antarktis ein Eisberg in der siebenfachen Größe Berlins abgebrochen sei. Er treibe Richtung Norden und werde in zwei bis drei Jahren abgeschmolzen sein. Wir sagen: Oh, und führen unser Gespräch weiter. Bis jemand sagt: Wen interessieren hier drinnen Geschlechterfragen, wenn da draußen die Welt schmilzt?
 
Diese rhetorische Figur nennt sich Whataboutism und besteht in dem Versuch, durch den Hinweis auf vermeintlich Wichtigeres einem Thema die Relevanz abzusprechen. Mich hat der Eisberg auch tagelang beschäftigt, besonders der Größenvergleich: Ist es nicht merkwürdig, etwas strukturell so vertikales wie einen Berg mit etwas strukturell so horizontalem wie Berlin zu vergleichen? Aber der Eisberg tut in der Sexismusdebatte nichts zur Sache. Ich wünschte, es wäre anders, aber die Welt hält mehr als ein Problem bereit, das es zu diskutieren gilt.
 
Erstes Plädoyer: Spielen wir kein Problem gegen ein anderes aus. Halten wir die Gleichzeitigkeit aus.
 
2. Aus der Beobachtung von ausschließlich weißen Schwänen schließen wir, dass es nur weiße Schwäne gibt. An meinem Küchentisch kennt jemand eine Frau, die viel erfolgreicher ist als ihre männlichen Kollegen. Wir machen uns eine Vorstellung von der Welt anhand der Einfachheit, mit der uns Beispiele einfallen. Aber natürlich kommt etwas nicht deshalb häufiger oder seltener vor, weil unsere spezifische Erfahrungswelt das suggeriert. Die Kognitionspsychologie nennt dieses Phänomen den Verfügbarkeitsfehler.
 
Zweites Plädoyer: Nur weil wir eine Erfahrung nicht gemacht haben und auch niemanden kennen, der diese Erfahrung gemacht hat, und nur weil wir eine gegenteilige Erfahrung gemacht haben oder jemanden kennen, der eine gegenteilige Erfahrung gemacht hat, heißt das niemals, dass diese Erfahrung nicht zu Hauf gemacht wird.


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