Freitext: Lucy Fricke: Dont smoke on the horse!

 
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22.09.2017
 
 
 
 
Freitext


Don’t smoke on the horse!
 
 
Tuschetien? Den Namen auf der Einladung habe ich noch nie gehört. Dorthin gelangt man nur über die gefährlichste Straße der Welt? Ich kichere vor Freude und fahre los.
VON LUCY FRICKE

 
Die georgische Bergregion Tuschetien © Lucy Fricke
 
Sie werden seltener, aber es gibt sie noch, die Einladungen, zu denen ich nicht nein sagen will. Je abwegiger, desto besser. Und wenn jemand fragt, ob ich Lust habe, nach Tuschetien zu reisen, und ich denke: Tuschetien? Nie gehört, dann sage ich sofort zu. Eine ferne Bergregion in Nordosten Georgiens, die ausschließlich in den Sommermonaten zugänglich sei, da in der übrigen Zeit des Jahres der Pass nicht befahrbar ist, heißt es in der Einladung. Vom Gebirge verstehe ich nichts, vom Wandern erst recht nicht und in Georgien bin ich nie gewesen. Das alles spricht dafür.
 
Der besagte Pass ist unter dem Namen Abano-Pass durchaus bekannt, er gilt als eine der gefährlichsten Straßen der Welt. Kein anderer Weg führt nach Tuschetien, dorthin gelangt man nur mit Allrad, Pferd oder Helikopter. Ich schaue mir Videos an, und kichere vor Freude. Diese Strecke ist mörderisch, es ist genau die milde Form von Todesangst, die mir gefällt. Bei einer nahenden Depression unternehme ich gern einen Tandemsprung aus einem Flugzeug, jetzt also ein Pass in Georgien. Man verspricht mir, dass es einen Fahrer geben wird, der in der Region aufgewachsen ist. Eine andere Angst ist die vor dem Wandern. Ich hasse wandern. Ich kann überhaupt nicht wandern. Dieser Körper hat das letzte Jahr an einem Schreibtisch gesessen, hat einen seit Monaten schmerzenden Tennisarm (vom Schreiben!) und kaum noch Muskeln in den Beinen. Dieser Körper ist ein Sack, und der wird jetzt ausgerechnet in den Großen Kaukasus verschickt. Ich halte es für möglich, auf 3000 Metern einfach zu kollabieren.
 
Freunde leihen mir Wanderschuhe und eine Multifunktionsjacke, denn zum Anziehen hat dieser Körper auch nichts. Ich lese die Biografie über den jungen Stalin, packe die Sachen und fliege nach Tiflis. Viel Zeit blieb nicht, ich war nicht die erste Wahl für diese Reise, vor mir hat irgendein Waschlappen gekniffen, und ich bin gern die zweite Wahl, das senkt die Erwartungen enorm. Sehr bald werde ich verstehen, dass ich nicht die schlechteste zweite Wahl bin, wenn ich auch nicht wandern kann, so verfüge ich doch über gewisse Fähigkeiten, mit denen man in Georgien offenbar ziemlich weit kommt: Essen, rauchen, trinken und über das Unglück lachen. (Worüber man besser schweigt: Stalin und Religion.)
 
Wir fahren in die Berge und verschenken Schnaps
 
Wir starten an einem warmen Morgen um acht Uhr. Der Fahrer G. wartet mit seinem alten Landrover vor dem Hotel und mein georgischer Schriftstellerkollege A. liegt bereits auf der Rückbank, nachdem er die letzten drei Nächte seinen Geburtstag gefeiert hat.
 
Heute müssen wir nur die Fahrt überleben und dieses Überleben liegt nicht in unseren Händen, sondern einzig und allein in der Hand von unserem Fahrer G. Es scheint mir eine gute Hand zu sein, wahrscheinlich die beste.


...

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