Vermutlich irgendwann in den vergangenen Jahren sind Transportflugzeuge der US-Luftwaffe mit neuen Atombomben auf dem Militärflugplatz Büchel in Rheinland-Pfalz gelandet. Oder aber sie werden in den kommenden Jahren landen. Oder beides. Details darüber, wie und wann genau die US-Regierung ihre Nuklearbomben in Deutschland durch eine modernere Version ersetzt, sind nicht öffentlich. Bekannt ist allerdings, dass die neuen Gravitationsbomben die Typenbezeichnung B61-12 tragen und eine neue Steuertechnik besitzen, die einen deutlich zielgenaueren Einsatz erlaubt, als er mit ihrem Vorgängermodell möglich war. Zwischen 10 und 20 Bomben, glauben Experten, sind auf dem Bundeswehrfliegerhorst Büchel in der Eifel eingelagert.
Da fragt man sich doch: Wieso nimmt Bundeskanzlerin
Angela Merkel das Risiko, das von Atomwaffen ausgeht, weiterhin in Kauf, während sie das Risiko, das von Atomkraftwerken ausgeht, für unvertretbar erklärt hat?
Anders als die SPD steht die CDU weiterhin zur sogenannten nuklearen Teilhabe, also zur Einbindung Deutschlands in die atomare Abschreckung der Nato. Tornados der Bundeswehr sollen im Ernstfall die amerikanischen B61-Bomben abwerfen. Der Gedanke, dass dies jemals geschehen könnte, erscheint zwar einigermaßen entlegen. Doch bei der nuklearen Teilhabe geht es vor allem um ein politisches Signal: dass der atomare Schutzschirm der Nato – und damit seine Risiken – auf mehrere Schultern verteilt ist. Weitere sogenannte taktische Atombomben lagern in Belgien, Italien und (wahrscheinlich noch) in der Türkei. Innerhalb der Abschreckungsstrategie der Nato ist diese Lastenteilung nur fair.
Nur, wie verträgt sich das
Risiko von Nuklearbomben auf deutschem Boden mit Merkels Atomausstiegslogik?
In einem Interview mit der ZEIT hat die Kanzlerin nach der Havarie des japanischen AKW in Fukushima im Frühjahr 2011 den Ausstieg damit begründet, dass das Risiko einer Techniknutzung nicht vertretbar sei, wenn die möglichen Folgen dieser Nutzung katastrophal sind:
"
Das Restrisiko der Kernenergie kann man deshalb überhaupt nur akzeptieren, wenn man überzeugt ist, es tritt nach menschlichem Ermessen nicht ein."
Genau dieses Nichteintreten sei nach Fukushima eben nicht mehr sicher.
Warum gilt dieses Im-Zweifel-Finger-weg-Gebot nicht auch für Atomwaffen? Ein Unfall mit einem nuklearen Sprengkopf wäre schließlich weitaus verheerender als eine Kernschmelze in einem Atomkraftwerk.
Als Physikerin würde Merkel vermutlich entgegnen, dass es sich um zwei völlig unterschiedliche technische Ausgangslagen handelt. In einem Atomkraftwerk laufen ständig Kernreaktionen ab, das Spaltmaterial befindet sich also in Betrieb. Atombomben hingegen bestehen aus unaktiviertem Spaltmaterial. Ihr Sprengkopf muss erst durch einen – hochkomplexen – Zünder scharf geschaltet werden, was wiederum nur mit Autorisierung des US-Präsidenten möglich ist; von Bomben geht also die Gefahr eines Betriebsunfalls gar nicht aus.
Das mag so sein.
Bloß, wie steht es um die Unfallsicherheit an der entscheidenden Stelle, im Kopf des US-Präsidenten? Ist es nach menschlichem Ermessen möglich, dass es in der Gedanken- und Impulswelt Donald Trumps weniger zuverlässig zugehen könnte als in einem japanischen AKW? Ist seine Psyche bekannt und erprobt genug, um sie auch unter einer seltenen Verkettung unglücklicher Umstände für zuverlässig halten zu können? Einer dieser unglücklichen Umstände lautet, dass der russische Präsident Wladimir Putin das Arsenal seiner taktischen Atomwaffen gerade aufstocken und ihren Einsatz proben lässt.
Sowohl in Moskau wie in Washington gibt es Strategen, die an die Möglichkeit eines "begrenzten Atomkriegs" glauben, eines Krieges, der nach dem gegenseitigen Austausch kleinerer, präzise geführter Nuklearschläge beendet werden könnte. Selbst wenn man annimmt, dass dies stimmt: Ein begrenzter Atomkrieg würde innerhalb Europas eine ziemlich entgrenzte Wirkung entfalten.
Es ist ein fernliegendes Risiko, absolut. Aber wo bitte liegt der prinzipielle Unterschied zur
Fukushima-Abwägung?